Die kluge Else

Es gibt Leu­te, die machen sich schon in die Hosen, wenn sie sich nur vor­stel­len, was viel­leicht unter Umstän­den irgend­wann ein­mal pas­sie­ren könn­te.
So eine war auch die klu­ge Else. Ihre Eltern hiel­ten sie für beson­ders klug, weil sie sich immer schon im vor­aus vor­stell­te, was viel­leicht unter Umstän­den irgend­wann ein­mal Furcht­ba­res pas­sie­ren könn­te. Ein jun­ger Mann, der Hans hieß, hör­te von Elses Klug­heit und woll­te sie ger­ne hei­ra­ten, weil ihn alle den dum­men Hans nann­ten und er dach­te, dass er des­we­gen eine klu­ge Frau brauch­te. Also zog er sei­nen Sonn­tags­an­zug an und ging zu Elses Vater: „Wärst du ein­ver­stan­den, dass ich die klu­ge Else hei­ra­te?“
„Ja, wenn ihre Mut­ter und die Else nichts dage­gen haben“, mein­te der Vater, „dann sollst du sie haben.“
Da ging Hans zu Elses Mut­ter: „Wärst du ein­ver­stan­den, dass ich die klu­ge Else hei­ra­te?“
„Ja, wenn ihr Vater und die Else nichts dage­gen haben“, mein­te die Mut­ter, „dann sollst du sie haben.“
Da ging Hans zur klu­gen Else: „Wärst du ein­ver­stan­den, mich zu hei­ra­ten?“
„Ja wenn mein Vater und mei­ne Mut­ter nichts dage­gen haben, kannst du mich haben.“

Sie waren sich also alle einig und dar­auf woll­ten sie einen trin­ken. Dar­um schick­te der Vater die klu­ge Else in den Kel­ler, um am Wein­fass einen Krug Wein zu zap­fen. Wäh­rend der Wein aus dem Fass­hahn in den Krug lief, schau­te die Else an die Kel­ler­de­cke und was muss­te sie da erbli­cken? Da hing doch von der Kel­ler­de­cke ein schwe­rer dicker Eisen­ha­ken, um dar­an Vor­rä­te auf­zu­hän­gen.
Was krieg­te die klu­ge Else für einen Schreck! „Ach­got­tach­gott,“ dach­te sie, „Wenn ich den Hans hei­ra­te und wir bekom­men ein Kind und ich wür­de das Kind in den Kel­ler schi­cken, um einen Krug Wein zu holen, und die­ser Haken wür­de sich aus dem Mau­er­werk lösen, von der Decke fal­len und unser Kind tot­schla­gen. Nicht aus­zu­den­ken! Wie furcht­bar!“
Und da stand die klu­ge Else im Kel­ler, jam­mer­te und heul­te um das furcht­ba­re Unglück, das viel­leicht ein­mal unter Umstän­den ihrem Kind zustos­sen könn­te. Und dabei lief und lief der Wein aus dem Fass­hahn in den Krug.

„Ja, wo bleibt denn nur die Else mit dem Wein?“ frag­te sich der Vater und schick­te die Mut­ter in den Kel­ler, nach der Else und dem Wein zu sehen.
Im Kel­ler stand die klu­ge Else vor dem Fass, jam­mer­te und heul­te. „Ja Kind, was heulst und jam­merst du denn?“

Und was erklär­te ihr die klu­ge Else?

Ach­got­tach­gott! Stell dir  nur vor: Wenn ich den Hans hei­ra­te und wir bekom­men ein Kind und ich wür­de das Kind in den Kel­ler schi­cken, um einen Krug Wein zu holen, und die­ser Haken wür­de sich aus dem Mau­er­werk lösen, von der Decke fal­len und unser Kind tot­schla­gen. Nicht aus­zu­den­ken! Wie furcht­bar!“
Was krieg­te da die Mut­ter für einen Schreck! „Ach­got­tach­gott,“ stöhn­te die Mut­ter und stand mit Else vor dem Fass und heul­te und jam­mer­te mit ihr um das furcht­ba­re Unglück, das viel­leicht ein­mal unter Umstän­denn ihrem Enkel­kind zustos­sen könn­te. Und der Wein lief und lief aus dem Fass­hahn in den vol­len Krug und aus dem vol­len Krug auf den Kellerboden.

„Ja, wo bleibt denn nur die Mut­ter mit der Else und dem Wein?“ frag­te sich der Vater und ging sel­ber in den Kel­ler, nach der Mut­ter und der Else und dem Wein zu sehen.
Im Kel­ler stan­den die klu­ge Else und die Mut­ter vor dem Wein­fass, jam­mer­ten und heul­ten. „Ja was jam­mert und heult ihr denn?“

Und was erklär­te ihm die Mutter?

Ach­got­tach­gott! Stell dir nur vor: Wenn unse­re Else den Hans hei­ra­tet und sie bekom­men ein Kind und wir wür­den unser Enkel­kind in den Kel­ler schi­cken, um einen Krug Wein zu holen, und die­ser Haken wür­de sich aus dem Mau­er­werk lösen, von der Decke fal­len und unser Enkel­kind tot­schla­gen. Nicht aus­zu­den­ken! Wie furcht­bar!“
„Ach­got­tach­gott,“ jam­mer­te da auch der Vater um das furcht­ba­re Unglück, das viel­leicht ein­mal unter Umstän­den ihrem Enkel­kind zustos­sen könn­te. Und alle drei stan­den sie vor dem Fass und heul­ten und jam­mer­ten, und der Wein lief und lief aus dem Fass­hahn in den vol­len Krug und aus dem vol­len Krug auf den Kel­ler­bo­den und sie stan­den schon bis zu den Knö­cheln im Wein.

„Wo nur der Vater mit der Mut­ter, der Else und dem Wein bleibt?“ frag­te sich Hans und ging schließ­lich sel­ber in den Kel­ler.
Im Kel­ler stan­den die klu­ge Else mit der Mut­ter und dem Vater vor dem Wein­fass, der aus­ge­lau­fe­ne Wein stand ihnen schon bis zu den Schien­bei­nen und jam­mer­ten und heul­ten. „Ja, was jam­mert und heult ihr denn?“

Und was erklär­te ihm der Vater?

Ach­got­tach­gott! Stell dir vor, wenn du die Else hei­ra­test und ihr bekommt ein Kind und du wür­dest das Kind in den Kel­ler schi­cken, Wein zu holen und die­ser Haken wür­de sich aus dem Mau­er­werk lösen, von der Decke fal­len und dein Kind tot­schla­gen. Nicht aus­zu­den­ken! Wie furchtbar!“

Na, was glaubt ihr, mach­te da der dum­me Hans? Er lach­te und sag­te:
„Hät­tet ihr die klu­ge Else nicht in den Kel­ler geschickt, um Wein zu holen, und die Klu­ge Else hät­te den Haken an der Decke nicht gese­hen und hät­te den Wein gebracht und wir hät­ten auf unse­re Hoch­zeit ange­sto­ßen, dann hät­te ich die klu­ge Else gehei­ra­tet und hät­te gar nicht gemerkt, dass sie viel zu klug für mich ist. Ach­got­tach­gott, nicht aus­zu­den­ken! Wie furcht­bar!“
Und damit ging der dum­me Hans, sich eine düm­me­re Frau suchen.

Was aber aus der klu­gen Else gewor­den ist, das weiß ich nicht. Viel­leicht steht sie noch immer mit ihren Eltern im Kel­ler, der Wein läuft noch immer aus dem Fass und sie ste­hen schon bis zum Kinn im Wein, heu­len und jam­mern, wie furcht­bar es wäre, wenn die Else ein Kind bekä­me und sie schick­ten es in den Kel­ler, Wein zu holen – naja, und so wei­ter. Nein, nicht aus­zu­den­ken! Wie furchtbar!

Nach dem gleich­na­mi­gen Mär­chen der Brü­der Grimm (dort Nr. 34)

Die­ses Mär­chen erlaubt, sich über die gemein­sa­me Wie­der­ho­lung der For­mel mit dem Gebrauch des Kon­di­tio­nals  ver­traut zu machen.