1.
Luise liebte ihren Teddybär. Er war fast so groß wie sie selber und sie nahm ihn überall mit. Damit sie ihn bequem tragen konnte, hatte ihre Mama Ösen an den Teddy genäht. Durch die Ösen wurden zwei Riemen gezogen und damit konnte Luise den Teddy wie einen Rucksack tragen. Wenn sie mit ihm wegging, hing der Teddy an ihrem Rücken und schaute mit seinen gelben Knopfaugen über ihre Schulter. Und weil sie ihn so oft auf dem Rücken trug, war das Fell ihres Teddys am Bauch schon ganz abgewetzt.
Leider aber verlor Luise ihren geliebten Teddy und das kam so: Sie fuhr mit ihrer Mama und dem Teddy im Stadtbus. Im Bus waren alle Sitze besetzt, aber ein freundlicher Herr bot Luises Mama seinen Platz an. Luise setzte sich auf Mamas Schoß, dafür musste sie ihren Teddy vom Rücken nehmen und nahm ihn auf ihren Schoss. Aber ihre Mama wusste nicht genau, wo sie aussteigen mussten. Als der Bus an einer Haltestelle hielt, rief sie plötzlich: „Mist! Wir müssen raus!“
Sie sprangen auf, drückten sich durch die Menschen im Bus und schafften es gerade noch den Bus zu verlassen, als sich schon die Türen schlossen. Jetzt erst bemerkte Luise, dass ihr Teddy weg war.
„Mein Teddy!“ schrie sie. „Halt! Mein Teddy ist noch drin!“
Aber da fuhr der Bus schon los. Luise heulte.
„Den kriegen wir doch wieder!“ versuchte sie die Mama zu trösten. „Wir gehen auch gleich heute Nachmittag auf das Fundbüro der Verkehrsbetriebe.“
Was aber war aus dem Teddy in dem voll besetzten Bus geworden? Als Luise aufsprang, war er unter den Sitz gerutscht. Dort lag er, während der Bus den ganzen Tag auf seiner Strecke durch die Stadt fuhr. Niemand beachtete ihn. Manchmal stießen die Füße von Fahrgästen gegen ihn und schoben ihn noch weiter unter den Sitz. Am Abend wurde der Bus im Depot abgestellt, der Fahrer ging einmal durch die Sitzreihen und sammelte ein, was die Fahrgäste vergessen hatten. Aber den Teddy unter dem Sitz bemerkte er nicht.
2.
Am Nachmittag ging Luise mit ihrer Mutter auf das Fundbüro der Verkehrsbetriebe. Dort gab es ein ganzes Regal voller Spielzeuge, die Fahrgäste in Bussen oder Straßenbahnen verloren hatten. Auch drei Teddybären saßen in den Regalfächern. Aber Luises Teddy war nicht dabei. Er konnte ja auch gar nicht dabei sein, er lag ja immer noch unter dem Sitz und fuhr mit dem Bus durch die Stadt.
Luise weinte.
„Dann nimmst du eben den da, den schenk ich dir,“ meinte der Mann im Fundbüro und holte den größten Teddy aus dem Regal.
„Den will ich nicht!“ schluchzte Luise. „Ich will meinen Teddy wieder haben!“
Als sie rausgingen, sagte ihre Mama: „Luise, es tut mir leid. Aber ich kauf dir einen neuen Teddy. Genau den gleichen.“
„Ich will keinen neuen!“ schluchzte Luise. „Ich will meinen Teddy wieder haben!“
Aber da war nichts zu machen, der Teddy war weg.
Auch am nächsten Tag lag Luises Teddy noch unter dem Sitz und fuhr mit dem Bus durch die Stadt. Unter Mittag stieg eine Gruppe Schüler ein. Ein Mädchen setzte sich auf den Sitz, unter dem der Teddy lag. Ein Junge wollte dieses Mädchen ärgern und heimlich ihre Schnürsenkel aufmachen. Er kroch von hinten unter den Sitz und dabei stieß er auf den Teddy. „Schaut mal, was ich gefunden habe!“
„Iiihh! Ist der dreckig! Schmeiß ihn weg!“ meinten seine Freunde. Und wirklich, der Teddy war von dem Schmutz, der sich auf dem Boden angesammelt hatte, und von den Füßen, die gegen ihn gestoßen waren, voller Flecken.
„Den schenk ich dir!“ sagte der Junge, der ihn gefunden hatte, und setzte den Teddy auf den Schoss des Mädchens, das er hatte ärgern wollen.
„Blödmann!“ schimpfte das Mädchen und ließ den Teddy auf den Boden kullern.
Nach und nach stiegen alle Schüler wieder aus, nur ein Junge blieb noch übrig. Der fuhr an diesem Tag zu seiner Oma, weil seine Eltern nicht zu Hause waren. Als er ausstieg, nahm er den Teddy mit.
„Wo hast du denn diesen Dreckfang her?“ fragte ihn die Oma.
„Im Bus gefunden. Den kann man doch wieder saubermachen!“
„Das kann man, aber ich mach das nicht! Und so wie er ausschaut, kommt er mir nicht ins Haus! Du kannst ihn von mir aus in die Garage bringen!“
Der Junge brachte ihn in die Garage und legte ihn dort ganz oben auf ein Regal mit ausgedienten Sachen. Am nächsten Tag aber war er wieder bei seinen Eltern und hatte den Teddy längst vergessen. Der lag in der Garage und niemand beachtete ihn mehr.
3.
Luise aber heulte sich die Augen nach ihrem Teddy raus. Die Mama ging mit ihr noch einmal auf die Fundstelle der Verkehrsbetriebe, aber ihr Teddy war noch immer nicht gefunden worden.
„Vielleicht versuchen wir es auf dem städtischen Fundamt,“ meinte die Mama und sie gingen auf das Fundamt, wo Sachen aus der ganzen Stadt abgegeben werden. Aber auch da war Luises Teddy nicht abgegeben worden.
Weil Luise ihren Tedyy nicht vergessen konnte, schlug der Vater vor, Suchanzeigen in der Stadt auszuhängen. Mit seinem Drucker druckte er Zettel aus, auf denen ein Foto von Luises Teddy zu sehen war, und darunter stand: „Wer hat diesen Teddy gesehen? Er wurde am Montag, den 16. März, um zehn Uhr morgens im Bus der Linie 26 verloren. Wer ihn wiederbeschaffen kann oder Angaben macht, die zur Auffindung führen, erhält eine Belohnung von 50 Euro.“
Mit einem Stapel solcher Zettel fuhren sie mit dem Bus der Linie 26 von Haltestelle zu Haltestelle und klebten diese Suchanzeige mit Klebeband an Bäume oder Ampelmasten. Sie gingen auch in Geschäfte und fragten, ob sie diese Anzeige ins Schaufenster hängen dürfen. Dann fuhren sie wieder nach Haus und warteten, dass sich jemand meldete.
Schon am Nachmittag rief eine ältere Dame an und meinte, sie sollten mal vorbeischauen, sie hätte so einen Teddy. Aufgeregt ging Luise mit ihrem Papa zu ihr. Ihr verstorbener Mann hatte Teddybären gesammelt und die ganze Wohnung war voller Teddys. Und darunter war sogar einer, der aufs Haar Luises Teddy glich. Nur hatte er nicht diese abgewetzte Stelle am Bauch.
„Das ist nicht mein Teddy!“ sagte Luise.
„Aber willst du ihn nicht trotzdem haben?“ fragte ihr Papa.
„Nein. Ich will meinen Teddy wieder haben!“
Da gingen sie ohne Teddy wieder nach Hause.
Leider war die Oma, in deren Garage noch immer Luises Teddy lag, kurzsichtig. Oft genug kam sie an den Anzeigen vorbei, die Luises Papa an die Bäume geklebt hatte. Aber ohne ihre Brille konnte sie nicht lesen, was da stand. Und es fiel ihr im Traum nicht ein, die Brille aufzusetzen, um zu erfahren, was Leute an Bäumen verkündeten. Darum blieb Luises Teddy weiter unbeachtet auf dem Regal in der Garage liegen.
Vielleicht würde er da heute noch liegen, hätte die Oma nicht für den nächsten Tag einen Sperrmüllermin angemeldet gehabt. Dafür stellte sie am Morgen alle Sachen, die sie nicht mehr brauchte, auf den Gehsteig vor das Haus. Beim Ausräumen kam ihr auch der schmutzige Teddy in die Hand und sie legte ihn oben auf den Sperrmüllhaufen neben einen ausgedienten Regenschirm.
Kurz darauf stiefelten drei Jugendliche vorbei.
„He, schau mal!“ rief einer und griff sich Luises Teddy.
Ein anderer griff sich den alten Regenschirm und meinte: „Ich hab eine Idee!“
Erst brachen sie den Stil des Regenschirms ab. Dann lösten sie die Schnur von einem Karton und banden damit den Teddy in das Gestänge des Schirms. Es war ein stürmischer Tag, sie brauchten den Schirm mit dem Teddy nur kurz in die Luft zu werfen und schon wurde er vom Wind erfasst, stieg hoch und schwebte davon. Sie sahen ihm zu, wie er über die Häuser davon schwebte, und gingen lachend weiter.
4.
Der Teddy aber flog mit dem Sturmwind über das Land. Er flog über die Stadt hinaus, flog über Wiesen und Wälder, über Dörfer und Straßen bis zu einer anderen Stadt. Weil der Sturmwind nachließ, verlor der Regenschirm mit Luises Teddy an Höhe und landete schließlich in einem breiten Graben. Der Teddy ging unter, aber der Regenschirm blieb auf dem Wasser liegen und trieb mit der Strömung durch den Graben.
Am Rand des Grabens hockten zwei Stadtstreicher und frühstückten. Als der Regenschirm vorbeitrieb, fischten sie ihn mit einem langen Ast aus dem Wasser. Sie staunten nicht schlecht, als unter dem Schirm ein wassertriefender Teddy hing.
„Der ist doch echt noch gut beieinander!“ meinte der eine.
Sie legten ihn zum Trocknen in die Sonne.
Am nächsten Tag brachten sie den Teddy zu einem Bekannten, der einen Verkaufsstand auf dem Flohmarkt betrieb, und setzten den Teddy zwischen alten Tellern, Kaffeelöffeln, einem Kassettenrecorder und einem Fernglas auf den Verkaufstisch.
Zum Glück wohnte in dieser Stadt ein Onkel von Luise, und ein noch größeres Glück war es, dass dieser Onkel gerade an diesem Sonntagmorgen Lust hatte, über den Flohmarkt zu gehen. Von Luises Mama hatte er gehört, wie untröstlich Luise wegen des verlorenen Teddys war. Und als er den alten Teddy auf dem Verkaufstisch liegen sah, dachte er: „Den schenk ich ihr! Vielleicht vergisst sie ja darüber ihren verlorenen Teddy.“
Und darum kaufte er den Teddy, wickelte ihn zu Hause in Geschenkpapier ein, legte ihn in eine Schachtel und schickte diese Schachtel als Paket an Luise. Danach rief er Luises Mutter an und sagte ihr, dass er für Luise einen alten Teddy erstanden hatte und dass der mit der Post ankommen würde.
„Das ist nett von dir!“ meinte Luises Mama. „Aber ich fürchte, das wird wenig bringen. Sie heult ihrem Teddy hinterher und nur den will sie wieder zurück haben!“
Am nächsten Tag brachte die Paketpost ein großes Paket für Luise. Ganz gespannt machte sie es auf und hob den in Geschenkpapier eingewickelten Teddy heraus. Mit der Hand fuhr sie über das Geschenkpapier und sagte enttäuscht: „Das ist ein Teddy. Aber den will ich nicht. Ich will meinen Teddy!“
Sie wollte ihn unausgepackt liegen lassen, da sagte ihre Mama: „Aber nun pack ihn doch wenigstens aus!“
Luise riss das Geschenkpapier weg und sah den abgewetzten Fleck auf dem Bauch des Teddys.
„Das ist mein Teddy!“ rief sie aufgeregt. „Das ist mein Teddy!“
Und so hatte sie schließlich doch ihren verlorenen Teddy wieder gefunden.