Die Goldene Gans

Eine Mut­ter hat­te drei Söh­ne groß gezo­gen und, als sie erwach­sen waren, sag­te sie zu dem Ältes­ten: „Ich kann dich nicht län­ger ernäh­ren. Zieh in die Welt und suche dein Glück!“ Sie buk ihm einen Kuchen, gab ihm eine Fla­sche Wein mit und damit mach­te sich der Ältes­te auf den Weg.

Er ging und ging und schließ­lich kam er an einen gro­ßen Wald. Am Wald­rand begeg­ne­te ihm ein altes Müt­ter­chen, das bet­tel­te: „Ich hab Hun­ger, ich hab Durst. Gib mir was zu essen, gib mir was zu trin­ken!“

„So schaust du aus! Ich hab sel­ber nur einen Kuchen und eine Fla­sche Wein, die brauch ich für mich.“ Und damit ging er sei­nes Weges.

„Wirst schon sehen, wie weit du kommst,“ rief ihm die Alte hin­ter­her.

Was küm­mer­te ihn das Gere­de der Alten? Er ging wei­ter, aber der Weg wur­de immer schma­ler, schließ­lich hör­te er ganz auf und er stand vor einem undurch­dring­li­chem Dickicht. Da kehr­te der Ältes­te um und ging wie­der nach Haus.

Am nächs­ten Tag beschloss der Zweit­äl­tes­te: „Heu­te will ich ver­su­chen, mein Glück zu machen.“ Die Mut­ter buk auch ihm einen Kuchen, gab ihm eine Fla­sche Wein und er mach­te sich auf den Weg.
Er ging und ging, bis er an den Wald­rand kam. Da begeg­ne­te auch ihm das alte Müt­ter­chen und bet­tel­te: „Ich hab Hun­ger, ich hab Durst. Gib mir was zu essen, gib mir was zu trin­ken!“

„So schaust du aus! Ich hab sel­ber nur einen Kuchen und eine Fla­sche Wein, die brauch ich für mich.“ Und damit ging er sei­nes Weges.

„Wirst schon sehen, wie weit du kommst,“ rief ihm die Alte hin­ter­her.
Was küm­mer­te ihn das Gere­de der Alten? Er ging wei­ter, aber der Weg wur­de immer schma­ler, schließ­lich hör­te er ganz auf und er stand vor einem undurch­dring­li­chem Dickicht. Da kehr­te auch der Zwei­te um und ging wie­der nach Haus.

Am drit­ten Tag beschloss der Jüngs­te: „Heu­te will ich ver­su­chen, mein Glück zu machen.“ Sei­ne Brü­der lach­ten ihn aus. Sie erklär­ten ihm, der Weg ende im Dickicht, da gebe es kein Durch­kom­men. Wenn sie es nicht geschafft hat­ten durch­zu­kom­men, wie soll­te er das schaf­fen? Aber der Jüngs­te ließ sich nicht abhal­ten.
Die Mut­ter buk auch ihm einen Kuchen, gab ihm eine Fla­sche Wein und er mach­te sich auf den Weg.
Er ging und ging, bis er an den Wald­rand kam. Da begeg­ne­te ihm das alte Müt­ter­chen und bet­tel­te: „Ich hab Hun­ger, ich hab Durst. Gib mir was zu essen, gib mir was zu trin­ken!“

„Einen Bis­sen hab ich wohl übrig,“ mein­te der Jüngs­te. Er woll­te ihr ein Stück von dem Kuchen abbre­chen, aber die Alte riss ihm den Kuchen aus den Hän­den und Mampf! Mampf! Mampf! hat­te sie ihn schon auf­ge­ges­sen.
„Na, du kannst aber fut­tern!“ staun­te der Jüngs­te und bot ihr auch einen Schluck Wein an, aber die Alte riss ihm die Fla­sche aus der Hand und Gluck! Gluck! Gluck! war sie aus­ge­trun­ken.

„Was macht es schon aus?“ dach­te der Jüngste.„Weit hät­te es sowie­so nicht gereicht.“ Und damit woll­te wei­ter­ge­hen.

„Halt, mein Jun­ge,“ rief die Alte. „Hör zu! Wenn du in den Wald kommst, wird eine gol­de­ne Gans hin­ter dir her­wat­scheln. Wenn ihr jemand an die Federn will, dann sage: ‚Gute Gon­da, es blei­be an dir han­gen, was an dir ist!‘ Und schon wird er an ihr fest hän­gen und nicht mehr los­kom­men.“
„Lass die Alte schwat­zen!“ dach­te sich der Jüngs­te und ging sei­nes Weges. Aber kaum hat­te er den Wald betre­ten, hör­te er ein Schnat­tern hin­ter sich, und als er sich umdreh­te, wat­schel­te eine gol­de­ne Gans hin­ter ihm her. Er ließ sie schnat­tern und wat­scheln, ging wei­ter und wei­ter.
Kein Dickicht ver­sperr­te ihm den Durch­gang und schließ­lich führ­te ihn der Weg wie­der aus dem Wald her­aus. Und noch immer folg­te die gol­de­ne Gans drei Schrit­te hin­ter ihm. 

Als er an ein Gast­haus kam, kehr­te der Jüngs­te ein. Die Gäs­te staun­ten nicht schlecht, als hin­ter ihm eine gol­de­ne Gans in die Gast­stu­be kam. Er trug zwar kei­nen müden Gro­schen in der Tasche, aber weil er mit einer gol­de­ne Gans daher­kam, dach­te der Wirt, es wird sich um einen rei­chen Her­ren han­deln. Das kam dem Jun­gen gera­de recht. Er bestell­te sich ein ordent­li­ches Essen und dazu eine gute Fla­sche Wein.

Hin­ter der The­ke tuschel­ten die drei Töch­ter des Wir­tes. Alle drei hät­ten sie gar zu gern eine Feder der gol­de­nen Gans an ihrem Hut getra­gen. Dar­um frag­ten sie den Jüngs­ten, ob er ihnen nicht eine Feder der Gans abge­ben wür­de.
„Seit wann rupft man eine leben­de Gans?“ ant­wor­te­te der.
Da dach­te sich jede der Drei ins­ge­heim: Wenn er sie nicht frei­wil­lig her­gibt, wür­de sie sich die Feder schon zu holen wissen.

Kaum hat­te sich der Jüngs­te ins Bett gelegt und schien tief und fest zu schla­fen, schlich sich die ers­te Wirts­toch­ter im Nacht­hemd in sein Zim­mer. Was sie nicht ahn­te: Der Jun­ge stell­te sich nur schla­fend. Kaum hat­te sie die Hand nach einer Feder aus­ge­streckt, flüs­ter­te er: „Gute Gon­da, es blei­be an dir han­gen, was an dir ist!“ Und schon hing das Mäd­chen an der gol­de­nen Gans.

Es dau­er­te nicht lang. Da kam die zwei­te Wirts­toch­ter ange­schli­chen, sah ihre Schwes­ter und woll­te sie von der Gans weg­zie­hen, um sich sel­ber eine Feder aus­zu­rup­fen. „Gute Gon­da, es blei­be an dir han­gen, was an dir ist!“ Und schon hing die zwei­te Wirts­toch­ter an ihrer Schwes­ter.
Als schließ­lich die Drit­te ankam, ging es ihr nicht bes­ser. „Gute Gon­da, es blei­be an dir han­gen, was an dir ist!“ Und schon hing auch sie an ihren Schwestern.

Am nächs­ten Mor­gen zog der Jun­ge wei­ter. Drei Schrit­te hin­ter ihm wat­schel­te die gol­de­ne Gans und an ihr hin­gen die drei Wirts­töch­ter im Nacht­hemd. Und jetzt könnt ihr euch ja den­ken, was pas­sier­te. Sobald jemand die drit­te Wirts­toch­ter fest­hal­ten woll­te, muss­te der Jüngs­te nur sagen: „Gute Gon­da, es blei­be an dir han­gen, was an dir ist!“ Und schon kleb­te der oder die­je­ni­ge an der drit­ten Toch­ter. Und sobald der oder die­je­ni­ge, die an ihr kleb­ten, wie­der jemand ande­ren oder irgend­et­was anfass­ten, um los­zu­kom­men, dann blieb auch der, die oder das hän­gen, sobald der Jüngs­te sei­nen Spruch sagte.

Was glaubt ihr, wer oder was da noch hän­gen blieb und die Ket­te verlängerte?

Sowie ich es gehört habe, war es der Pfar­rer, der gera­de die Stra­ße her­un­ter kam. „Was soll das denn hei­ßen? Drei Mäd­chen, die im Nacht­hemd einem jun­gen Mann hin­ter­her­lau­fen?“ Er pack­te die drit­te  Wirts­toch­ter am Ärmel, um sie weg­zu­rei­ßen.
„Gute Gon­da, es blei­be an dir han­gen, was an dir ist!“ Und schon hing der Pfar­rer an der jüngs­ten Wirts­toch­ter.

Als sie an der Kir­che vor­bei­ka­men, bemerk­te der Küs­ter, dass Hoch­wür­den drei Mäd­chen im Nacht­hemd hin­ter­her­lief. Was wür­den da die Leu­te von ihrem Pfar­rer den­ken? Er ver­such­te ihn weg­zu­zie­hen.
„Gute Gon­da, es blei­be an dir han­gen, was an dir ist!“ Und schon hing der Küs­ter am Pfar­rer.
 Der Küs­ter schüt­tel­te sich und trat nach dem Pfar­rer, um von ihm los­zu­kom­men, nur das nutz­te ihm nichts. ‚Ich muss mich irgend­wo fest­hal­ten,‘ dach­te er, und weil ihm nichts Bes­se­res unter die Fin­ger kam, klam­mer­te er sich an einen Lei­ter­wa­gen, der da gra­de am Weg­rand stand. „Gute Gon­da, es blei­be an dir han­gen, was an dir ist!“ Und schon hing auch der Lei­ter­wa­gen am Küs­ter und wur­de mit­ge­zo­gen.
 An den  Lei­ter­wa­gen gelehnt stand die Bäue­rin, die für einen Schwatz mit einer Nach­ba­rin ange­hal­ten hat­te. Als ihr der Wagen unter dem Hin­tern weg­ge­zo­gen wur­de, fiel die Bäue­rin auf den Rücken.
Wel­cher Fle­gel woll­te ihr ihren Lei­ter­wa­gen weg­neh­men? Sie klam­mer­te sich an das Gelän­der des Wagens.
„Gute Gon­da, es blei­be an dir han­gen, was an dir ist!“ Und schon hing auch die Bäue­rin am Lei­ter­wa­gen.

„O Gott!“ schrie die Nach­ba­rin. Sie woll­te ihrer Freun­din zu Hil­fe kom­men und lief hin­ter­her, um sie fest­zu­hal­ten.
„Gute Gon­da, es blei­be an dir han­gen, was an dir ist!“ Und schon hing auch die Nach­ba­rin an der Bäue­rin. 
Erschro­cken schrie die Nach­ba­rin um Hil­fe, aber da ihr nie­mand zu Hil­fe kam, griff sie nach dem Tür­griff eines Feu­er­wehr­au­tos, das da am Stra­ßen­rand park­te.
„Gute Gon­da, es blei­be an dir han­gen, was an dir ist!“ Da hing auch das Feu­er­wehr­au­to an der Nach­ba­rin und wur­de weg­ge­zo­gen.

Im Gast­haus saßen die Feu­er­wehr­män­ner und lösch­ten ihren Durst. Als der Feu­er­haupt­mann durchs Fens­ter bemerk­ten, dass ihr Auto weg­roll­te, rief er: „Alle Mann an die Sprit­zen!“ Die Mann­schaft sprang auf und die Feu­er­wehr­män­ner rann­ten hin­ter dem Feu­er­wehr­au­to her. Als der ers­te die Stoß­stan­ge erwisch­te, ver­such­te er sich dar­an fest­zu­kral­len. Der nächs­te erwisch­te sei­nen Kol­le­gen am Arm und klam­mer­te sich an ihn. Und so nach­ein­an­der die gan­ze Mann­schaft.
„Gute Gon­da, es blei­be an dir han­gen, was an dir ist!“ Da hin­gen 24 Feu­er­wehr­män­ner am Feu­er­wehr­au­to.
 Der Kom­man­dant ver­stän­dig­te über sein Han­dy die Poli­zei, dass ihnen das Dienst­au­to ent­wen­det wor­den war.

Was glaubt ihr wohl, was da die Poli­zei unter­nahm und wer da wohl sonst noch an der gol­de­nen Gans hän­gen blieb? 

Ich weiß nicht, was sich die Leu­te am Weg­rand dach­ten, als sie die­sen selt­sa­men Auf­zug vor­bei­zie­hen sahen: An der Spit­ze der Jüngs­te, der unbe­irrt vor­an­schritt, drei Schrit­te hin­ter ihm folg­te eine gol­de­ne Gans, an der drei Wirts­töch­ter im Nacht­hemd hin­gen, an denen der Pfar­rer hing, an dem der Küs­ter hing, der an einem Lei­ter­wa­gen hing, naja und so weiter.

Ihr wisst ja sicher noch bes­ser, wer danach noch an wem hing.

Weil es in der Geschich­te nicht berich­tet wird, weiß ich auch nicht, wie der Jüngs­te erfuhr, dass die Toch­ter des Königs von Por­tu­gal seit Jah­ren nicht mehr lach­te und dass der König dem­je­ni­gen das hal­be Reich und die Toch­ter ver­sprach, der sie wie­der zum Lachen bräch­te. Viel­leicht hat er es unter­wegs in der Zei­tung gele­sen oder im Radio gehört.
Und genau­so wenig weiß ich, wie er es schaff­te, mit sei­nem gan­zen Anhang bis nach Por­tu­gal zu kom­men. Sicher ist nur, dass er dort ankam, sich beim König mel­den ließ und behaup­te­te, er wer­de die Königs­toch­ter schon zum Lachen brin­gen. Und als der König die Prin­zes­sin auf den Bal­kon des Schlos­ses raus­rief, zog er mit sei­ner gol­de­nen Gans und dem gan­zen Anhang am Schloss vorbei.

Und wer hing da hin­ter ihm an der Gol­de­nen Gans?

Die drei Wirts­töch­ter im Nacht­hemd, der Pfar­rer, der an den Wirts­töch­tern hing, naja und so wei­ter. Ihr erin­nert euch ja bestimmt, wer da noch alles fest­hing.
 

Und was glaubt ihr, wie das die Prin­zes­sin fand? Es heißt, dass sie laut lachen muss­te, der Jüngs­te sie zur Frau bekam und spä­ter sogar König von Por­tu­gal wurde.

Aber was wur­de aus den drei Wirts­töch­tern, dem Pfar­rer, dem Küs­ter, naja, ihr wisst schon,  und auch all den andern, die nach ihnen an der Gol­de­nen Gans hän­gen blie­ben?  
Das berich­tet die Geschich­te nicht, aber ich bin sicher, dass der Jüngs­te kurz sag­te: „Gute Gon­da, es löse sich, was an dir ist!“ Und damit kamen sie alle frei. Aber wie sind sie von Por­tu­gal wie­der nach Hau­se gekom­men? Viel­leicht fuh­ren sie ja alle zusam­men mit dem Feu­er­wehr­au­to nach Hause. 

Frei nach dem gleich­na­mi­gen Mär­chen der Brü­der Grimm

Der Charme des Mär­chens liegt dar­in, dass sie Zuhö­rer­schaft mit­er­zäh­len kann. Schon wenn der Jun­ge mit den drei Wirts­töch­tern im Schlepp­tau los­zieht, kön­nen die Zuhö­ren­den sich über­le­gen, wer oder was  ihnen noch begeg­net, war­um sie die­se berüh­ren und durch den Zau­ber­spruch des Jun­gen kle­ben blei­ben und die Ket­te ver­län­gern müs­sen. Falls das nicht recht in Gang kommt, ste­hen die im Text benann­ten Begeg­nun­gen zur Ver­fü­gung. Die Erzäh­len­den kön­nen Vor­schlä­ge auf­neh­men und aus­phan­ta­sie­ren oder Vor­schlä­ge machen und sie von den Kin­dern aus­ma­len las­sen.
Vor der Königs­toch­ter in Por­tu­gal wird dann die Ket­te der an der Gans hän­gen­den Figi­uren  gemein­sam aufgezählt. 

Die Bil­dung der Ket­te lässt sich nach­spie­len, indem der Jun­ge durch den Saal zieht, ihm die ande­ren Per­so­nen oder Gegen­stän­de in den Weg lau­fen und dar­an fest­hän­gen. Das Fest­hän­gen kann durch ein Seil nach­ge­stellt wer­den, an dem sich die Spie­len­den fest­hal­ten und es erst los­las­sen, nach­dem sich die por­tu­gie­si­sche Prin­zes­sin, die auf einem Stuhl als Bal­kon des Palas­tes steht, dar­an schief gelacht hat.