1.
Ich will euch von einem Papagei erzählen, über den vor Jahren die Zeitungen berichteten. und im Radio von einem Papagei berichtet, der gelernt hatte Menschen zu hypnotisieren. Wer in die Zeitung, oder in Radio oder Fernsehen kommt, an dem muss schon was ganz Besonderes sein, sonst würde sich ja niemand dafür interessieren. Und dieser Papagei besaß tatsächlich eine ganze ertaunliche Fähigkeit: Er verstand zu hypnotisieren.
Vielleicht erdet ihr euch fragen, was das denn ist. Das ist ein komischer Zustand. Wenn man hypnotisiert ist, verliert man den eigenen Willen und macht alles, was der Hypnotiseur sagt. Einen Menschen zu hypnotisieren ist aber nicht einfach, das kann nicht jeder und das darf auch nicht jeder. Das darf nämlich nur jemand machen, der es für seinen Beruf braucht, z.B. ein Arzt oder ein Psychologe. Umso mehr Aufsehen machte es, dass plötzlich auch ein Papagei die Kunst der Hypnose beherrschte.
Ihr werdet euch fragen, wie dieser Papagei dazu kam, Menschen zu hypnotisieren. Ganz einfach: Er saß jahrelang in einem Käfig im Behandlungszimmer eines Arztes, der seine Patienten mit Hypnose behandelte. Er hatte einen geräumigen Käfig, denn der Doktor wollte, dass sein Papagei darinnen bequem herumfliegen konnte. Aber der Papagei flog gar nicht oft durch den Käfig. Er hockte lieber auf seiner Stange und schaute zu, was der Doktor machte.
Zu diesem Doktor kamen Leute, die Quatsch machten, obwohl sie das gar nicht wollten.
Der Doktor lächelte sie dann freundlich an und sagte: „Davon werde ich Sie befreien.“ Dann schaute er seinen Patienten erst scharf in die Augen, bis sie in Hypnose fielen und erklärte ihnen, was sie tun sollten.
Wenn er zum Beispiel einen Mann behandelte, der das Rauchen aufhören wollte, aber trotzdem alle fünf Minuten rauchen musste, dann sagte ihm der Doktor: „Sie werden nie wieder rauchen. Wiederholen Sie! Was machen Sie?“
Dann antwortete der Hypnotisierte wahrscheinlich: „Ich werde nie wieder rauchen.“ Und der der Doktor sagte: „Behandlung erfolgreich beendet. Wachen Sie wieder auf!“
Weil der Papagei den Doktor so oft beim Hypnotisieren beobachtet hatte, wusste er am Ende ganz genau, wie man einen Menschen hypnotisiert. Aber noch wusste er nicht, dass er das auch allein hin kriegte.
2.
Das bemerkte er erst, als eines Tages eine Frau diesem Doktor aufsuchte, die furchtbar dick war. „Bitte, bitte, helfen Sie mir, Herr Doktor! Ich kann an keiner Bäckerei vorbeigehen, ohne süße Stücke zu kaufen,“ jammerte sie. „Und von den vielen Stücken werde ich immer dicker. Ist das nicht furchtbar?“
Und was machte der Doktor? Er lächelte sie freundlich an und sagte: „Davon werde ich Sie befreien.“
In diesem Augenblick wurde der Doktor angerufen und sagte zu der guten Frau: „Tut mir leid, aber Sie müssen sich einen kleinen Augenblick gedulden. Ein dringender Notruf! Ich muss leider kurz weggehen.“
Er ließ die Frau im Sprechzimmer sitzen und ging weg. Und weil sich diese Dame langweilte, ging sie zum Käfig, in dem der Papagei hockte und meinte: „Ach Gott, was bist du für ein putziges Tierchen!“
Da schaute sie der Papagei scharf an, wie er das immer bei dem Doktor beobachtet hatte. Vielleicht machte er das gar nicht mit Absicht, sondern machte das nur, weil sein Herr das mit Patienten immer so machte.
Ich nehme fast an, dass er selbst erstaunt war, dass die frau in Hypnose fiel. Aber es ist ja vielleicht nicht so erstaunlich, dass er die gute Gelegenheit ausnutzen wollte und krächzte: „Du machst alles, was ich dir sage! Wiederhole: Was machst du?“
Da antwortete die hypnotisierte Dame brav: „Ich mache alles, was du mir sagst!“
Und er krächzte: „Du machst den Käfig auf! Wiederhole: Was machst du?“
Und was sagte die hypnotisierte Dame?
„Ich mache den Käfig auf!“ Und sie sagte es nicht nur, sie öffnete auch den Käfig.
„Du bringst mir Körner!“ krächzte der Papagei. „Wiederhole: Was machst du?“
Und was sagte die hypnotisierte Dame?
„Ich bringe dir Körner.“
Und damit lief sie zur Sprechstundenhilfe und fuhr die Arzthelferin an: „Das Tierchen hat Hunger!“
Aber die Arzthelferin meinte: „Ach was, der hat doch grade erst seine Portion gekriegt.“
Leute, die hypnotisiert sind, wollen unbedingt das tun, was ihnen der Hypnotiseur gesagt hat. Erst schimpfte die hypnotisierte Dame: „Sie lassen das arme Tier verhungern. Ich zeige Sie wegen Tierquälerei an!“
Aber als die Sprechstundenhilfe nicht darauf einging, sprang die dicke Frau über den Tresen und griff nach dem Glas mit Körnern, das hinter der Arzthelferin im Regal stand.
„Was fällt Ihnen ein!“ schimpfte die Arzthelferin und wollte der Dame das Glas entreißen.
In diesem Augenblick kam der Papagei aus dem Sprechzimmer geflattert.
„O Gott, das Vieh ist ausgebrochen!“ rief die Arzthelferin und versuchte den Vogel einzufangen. Aber der schaute ihr scharf in die Augen und auch sie war hypnotisiert.
„Du setzt dich auf deinen Hintern!“ krächzte der Papagei. „Wiederhole: Was machst du?“
Und was antwortete die Arzthelferin?
„Ich setze mich auf meinem Hintern.“
Und damit setzte sie sich brav wieder hinter den Tresen, während die hypnotisierte Dame das ganze Säckchen Futter auf dem Tresen auskippte.
Da könnt ihr euch denken, was der Papagei machte.
3.
Während er auf dem Tresen herumpickte, kam der Doktor zurück. Er sah den Vogel auf dem Tresen und schimpfte: „Was ist denn hier los?“
Da drehte sich der Papagei um und schaute dem Doktor scharf in die Augen. Und was passierte?
Auch der Doktor war hypnotisiert.
„Du hast Probleme!“ krächzte der Papagei. „Du brauchst eine Behandlung. Wiederhole: Was brauchst du?“
Und was antwortete der Doktor?
„Ich habe Probleme. Ich brauche eine Behandlung.“
„Hör mir genau zu! Ab jetzt bin ich der Doktor und du bist der Papagei,“ stellte der Papagei fest. „Wiederhole! “
Und was antwortete der Doktor? „Ab jetzt bist du der Doktor und ich bin der Papagei.“
„Du sitzt im Käfig und ich sitze im Arztstuhl,“ machte der Papagei weiter. „Wiederhole!“
Und was antwortete der Doktor?
„Ich sitze im Käfig und du sitzt im Arztstuhl.“
„Behandlung erfolgreich beendet,“ krächzte der Papagei. „Wach wieder auf!“
Da wachte der Arzt aus der Hypnose auf und setzte sich brav in den Käfig. Der Papagei aber setzte sich in den Arztstuhl und wartete auf Patienten.
4.
Ein Papagei als Doktor? Wie kann das gut gehen, werdet ihr euch vielleicht fragen. Da habt ihr ganz recht, das ging auch nicht gut. Der Papagei konnte ja auch niemandem wiklich helfen, sondern machte nur Blödsinn. Ein solcher Fall stand damals auch in der Zeitung.
Da kam eine Mutter mit ihrem Sohn in die Praxis. „Herr Doktor!“ sagte die Mutter. „Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich machen soll. Immer wenn ich meinen Jungen küssen will, spuckt er mich an.“
„Davon werde ich ihn befreien,“ meinte Doktor Papagei. Er schaute den Jungen scharf an, da war der Junge hypnotisiert.
„Wenn du deine Mutter siehst, musst du sie küssen. Wiederhole!“
„Wenn ich meine Mutter sehe, muss ich sie küssen.“
Danach schaute der Papagei auch die Mutter scharf an, da war auch die Mutter hypnotisiert.
„Wenn dich dein Junge küssen will, musst du ihn anspucken,“ krächzte der Papagei. „Wiederhole!“
Und antwortete die Mutter?
„Wenn mich mein Junge küssen will, muss ich ihn anspucken.“
„Behandlung erfolgreich beendet! Wacht auf!“
Da ging die Mutter mit dem Jungen nach Hause. Von da an wollte der Junge seine Mutter küssen, sobald er sie sah. Aber was machte die Mutter? Sie spuckte ihn an.
5.
In den Zeitungen schrieben sie damals auch noch von einem anderen Fall. Demnach soll ein Ehepaar zur Behandlung gekommen sein, die dem Papagei erklärten:“Herr Doktor, wir verstehen uns irgendwie nicht mehr. Immer muss der eine von uns das Gegenteil von dem behaupten, was der andere meint.“
„Wie meinen Sie das?“ fragte der Doktor Papagei.
„Stellen Sie sich vor, was die verrückte Kuh zu mir sagt!“ erklärte der Ehemann, „Wenn ich zum Beispiel sage, dieses Schränkchen hier ist in einem wunderbaren Blau gestrichenm, dann fährt mir meine Frau über den Mund: ‚Bist du farbenblind? Das ist doch grün gestrichen, das sieht doch jedes Kind!“
Und die Ehefrau schimpfte: Ja, was glauben Sie, wie mir der alte Esel übers Maul fährt! Wenn ich frisch gebrühten Kaffee auf den Tisch stelle, behauptet er doch stur, der Kaffee schmeckt wieder wie lauwarmes Spülwasser.“
„Davon werde ich Sie befreien!“ kärchzte Doktor Papagei. Er blickte sie nacheinander scharf an, bis sie in Hypnose fielen. Dann wies er sie an: „Ihr sollt aufhören, miteinander zu quatschen! Wiederholt!“
„Wir sollen aufhören, miteinander zu quatschen,“ wiederholten die beiden.
„Stattdessen sollt ihr euch kratzen, beißen und schlagen. Wiederholt!“
„Stattdessen sollen wir uns kratzen, beißen und schlagen.“
„Behandlung erfolgreich beendet. Wacht auf!“
Und was taten die beiden, als sie nach Hause gingen? Statt sich mit Worten zu streiten, kratzten, bissen und schlugen sie sich.
6.
Wie gesagt, das konnte nicht gut gehen. Es sprach sich herum, was für ein verrückter Vogel den Doktor spielte und bald wollte keiner mehr zu diesem Doktor kommen. Der echte Doktor aber saß im Käfig und verdiente nichts mehr. Der falsche Doktor saß auf dem Arztstuhl und langweilte sich, weil keine Leute mehr zur Behandlung kamen. Deshalb ließ er sich von der Arzthelferin das Oberlicht eines Fenster aufmachen und flog, so lange er Lust hatte, draußen spazieren.
Das war ein Glück für den Doktor. Denn als der Papagei einmal ganz lange spazieren flog, ließ die Wirkung der Hypnose nach, der Doktor im Käfig rief die Arzthelferin und fragte: „Sagen Sie mal, wer ist hier eigentlich der Doktor?“
Die Sprechstundenhilfe, bei der die Wirkung ja auch schon nachgelassen hatte, meinte: „Herr Doktor, ich glaube fast, Sie sind der Doktor und der Papagei ist nur ein Papagei.“
Darauf versteckten sich die beiden und, als der dreiste Vogel vom Spazierenfliegen zurückkam, fingen sie ihn und packten ihm ein Klebeband über die Augen.
Könnt ihr euch denken, warum sie das machten?
Aber diese Papagei war eben auch ein sehr gewitzter Vogel. Der wollte natürlich nicht wieder in den Käfig zurück, und schon gar nicht mit verklebten Augen. Der Doktor hatte schon die Käfigtür geöffnet, da biss der Papagei der Sprechstundenhilfe, die ihn festhielt, in die Finger. Mit einem Aufschrei ließ sie ihn los und er schaffte es trotz der verklebten Augen durch das Oberlicht zu entwischen, das noch immer offen stand.
Nun, dem Doktor war das eigentlich ganz recht. Ihm war schon durch den Kopf gegangen, wie er wohl dieses verrückte Tier loswerden könnte. Denn behalten wollte er es auf keinen Fall.
7.
Was danach aus diesem Papagei geworden ist, weiß ich nicht. Nur einmal hörte ich noch etwas, was mit ihm zu tun haben könnte. Aber es ist nicht recht auszumachen, ob es auch stimmte, es war vieleicht nur ein Gerücht, das unter den Leuten umging. Ich hörte es nämlich von einer Bekannten, die es wiederum von einer Oma gehört hatte, deren Enkel ihr aufgeregt erzählt hatte, in seiner Schulklasse sei mitten im Unterricht ein Papagei aufgetaucht. Der soll dann die Lehrerin und sogar den Schuldirektor hypnotisiert und als Schüler zwischen die Klasse gesetzt haben. Und dann soll er selber Unterricht gegeben, den Schülern nur Quatsch beigebracht haben und die Lehrerin und der Direktor mussten ihm diesen Quatsch immer nachsagen.
Wie gesagt, ich möchte meine Hand nicht ins Feuer legen, dass das tatsächlich so passiert ist. Aber wenn das wirklich dieser Vogel gewesen sein sollte, der damals die Patienten hypnotisierte, dann ist das ja vielleicht nicht ganz undenkbar.
Vielleicht könnt ihr euch ja vorstellen, was nach seiner Flucht aus deer Arztpraxcis passierte.
Wie hatte er es damals geschafft, sich von dem Klebeband an seinen Augen zu befreien?
Konnte er vielleicht danach einen Vogelnarren oder eine Vogelliebhaberin hypnotisieren, die ihn bei sich behielten und versorgten?
Wie geriet er schließlich in die Schulklasse und wie schaffte er es dort, die Klassenlehrerin und sogar den Rektor zu hypnotisieren?
Und vor allem, was erzählte er Schülern, der Lehrerin und dem Rektor im Unterricht?
Ich nehme an, dass das auch nicht lange gut ging, ein Papagei als Lehrer. Ich vermute, dass die Schulbehörde davon hörte, ihn fangen ließ und wieder in einen Käfig sperrte. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass er ihnen im letzten Augenblick doch wieder entwischte und noch irgendwo herumfliegt.
Diese Geschichte ist erschien erstmals in: Julia Klein/ Johannes Merkel, Sprachförderung durch Geschichtenerzählen, Buxtehude 2008, S. 86-97
Zeichnungen Horst RudolphSie führt über die Dialoge das Papageis mit den Hypnotisierten den Wechsel des Personalpronomens und der entsprechenden Verbformen (der Subjekt-Verb-Entsprechung) vor. Sobald diese Grundregel über die ersten Dialoge klar geworden ist, kann man die Antworten von die Zuhörenden sprechen lassen (und dazu jeweils vor der Antwort eine auffordernde Pause machen). Die Reden von Dooktor Papagei und seiner Klienten können in die Sprechblasen der Zeichnungen geschrieben werden. Dazu lassen sich die Zeichnungen herauskopieren und als Arbeitsbögen benutzt werden.)
Das Thema Hypnose erfordert, vor allem wenn dazu weitere Spielaktivitäten vorgesehen werden, auch eine sachgemäße Behandlung, die sie als therapeutisches Verfahren kennzeichnet und das wechselseitige Hypnotisieren als reines Spiel.
Das Dialogspiel zwischen dem Papagei und seinen „Patienten“ kann beim Nachspielen durch eine Papageienmaske (mit Stiel) unterstützt werden, die die Schüler sich in der Rolle des Papageis vor das Gesicht halten. Solche Masken können dafür genaut und künstlerisch ausgestaltet werden. Solche Spiele spielen Schüler dann oft gerne auch unabhängig von der Geschichte als spontanes Hypnotiiserspiel oder auch als Übung im Unterricht, indem sich Schüler (mit ihren Masken) wechselseitig „hypnotisieren“ dürfen.
Die Geschichte bietet sich auch dafür an, weitere „Behandlungen“ des Doktor Papagei zu erfinden (und eventuell vor der Klasse vorzuführen).
Das am Ende angedeutete Auftauchen des flüchtigen Vogels in einer Schulklasse regt dazu an, sich auszumalen, wie der Papagei die Lehrkräfte zu „hypnotisieren“ verstand und welchen Unterricht er ihnen dann erteilte.Solche zunächst mündlich entwickelten und vorgestellten Episoden können von den Schülern aufgeschrieben und den vorliegenden Text erweitern. Es bietet sich dann an, den Gesamttext (mit Zeichnungen versehen) als Wandzeitung auszuhängen oder (noch besser) als Datei aufzuschreiben und über einen Darenträger zu „veröffentlichen“ (was für die Lehrenden einige Zusatzarbeit kostet, aber Schüler stark motiviert.
Schließlich lassen sich ausgehend von der Erzählung Dialoge aufzeichnen und damit den Schreiberwerb unterstützen.
Die dem Text beigegebenen Zeichnungen können groß ausgedruckt und mit Sprechblasen versehen werden, in die die Schüler Dialoge eintragen.
Auch die mit Hypnotisierten unabhängoig von der Geschichte gefundenen Dialoge können (mit Zeichnungen) verschriftlicht und damit zum Aufsatzunterricht genutzt werden.