Eine kleine weiße Wolke schwamm über den Himmel. Sie sah sich um und sie sah, dass sie ganz allein war. Sie fühlte sich einsam und wünschte sich einen Freund.
Sie sah sich um und erblickte einen Schornstein, aus dem dicker schwarzer Rauch qualmte. Da schwamm die kleine schwarze Wolke zu dem dicken schwarzen Rauch und fragte ihn: „Willst du mein Freund sein?“
„Du und mein Freund? Dass ich nicht lache! Ja wenn du eine echte Qualmwolke wärst wie ich! Meinst du vielleicht, ich könnte mich mit dir windigem Wölkchen blicken lassen? Nein danke!“
Und weil der dicke schwarze Rauch sie von allen Seiten einnebelte und schwarz färbte, schwamm die kleine weiße Wolke rasch weiter.
Die kleine weiße Wolke sah sich um und erblickte ein Flugzeug, das über den Himmel zog. Sie schwamm zum Flugzeug und fragte: „Willst du mein Freund sein?“
„Du und mein Freund? Dass ich nicht lache! Ich jage mit 300 Stundenkilometern über den Himmel. Und was machst du? Du bist langsamer als eine lahme Ente!“
Und das Flugzeug drehte auf und flog der kleinen weißen Wolke davon.
Die kleine weiße Wolke sah sich um und erblickte eine Rauchsäule, die stieg aus einem Garten schnurgerade in den Himmel. Da schwamm sie zur Rauchsäule und fragte sie: „Willst du mein Freund sein?“
„Du und mein Freund? Dass ich nicht lache! Du schwimmst doch nur hin und her und weißt nicht, wo du hinwillst. Ich aber weiß genau, was ich will. Ich will höher und höher steigen und werde mich dabei auch von einer dummen kleinen Wolke nicht aufhalten lassen!“
Und damit zog die Rauchsäule an der kleinen weißen Wolke vorbei und stieg höher und höher in den Himmel.
Die kleine weiße Wolke sah sich um und erblickte einen Habicht, der einsam Kreise über den Himmel zog und dabei die Wiesen unter sich nach einer Maus oder einem jungen Hasen absuchte. Da schwamm die kleine weiße Wolke auf den Habicht zu und fragte: „Willst du mein Freund sein?“
„Du und mein Freund? Dass ich nicht lache! Sieh dir an, was ich kann!“
Und damit ließ sich der Habicht im Sturzflug zur Erde fallen und bremste ab, kurz bevor er auf den Boden schlug. Dann stieg er wieder auf und meinte: „Mach mir das nach! Dann können wir Freunde werden.“
Aber wie sollte eine kleine weiße Wolke im Sturzflug zur Erde stürzen? „Na bitte!“ sagte der Habicht und er zog weiter seine Kreise über den Himmel.
Wen wird die kleine weiße Wolke wohl noch am Himmel erblickt und gefragt haben, ob er ihr Freud sein möchte?
Schließlich fuhr ein Windstoß den Himmel entlang. Da fragte die kleinen weiße Wolke auch den Wind: „Willst du mein Freund sein?“
„Warum nicht? Warum nicht? Wenn wir beide was zusammen machen können,“ meinte der Windstoß und schon fuhr er unter die kleine Wolke, schob sie hoch und drückte sich plötzlich auf die Seite, so dass die kleine Wolke über den Himmel kullerte.
Die kleine weiße Wolke lachte: „Ich wüßte schon, was wir zusammen machen könnten.“ Sie flüsterte mit dem Wind, und der schob nun die kleine weiße Wolke vor sich her, bis zu dem eingebildeten Habicht, der noch immer seine Kreise über den Himmel zog.
„Mach dich breit und flach!“ meinte der Wind. Da machte sich die kleine weiße Wolke so breit und flach, wie sie nur konnte, damit der Habicht die Wiesen unter sich nicht mehr sehen konnte und erst recht keine Maus und keinen kleinen Hasen. Der Wind aber blies mit Macht gegen den Habicht, dass der sich kaum mehr in der Luft halten konnte und sich lieber auf eine Eiche rettete.
Könnt ihr euch denken, was die beiden noch alles zusammen unternahmen?
Na klar, sie suchten nach der eingebildeten Rauchsäule. Die stieg noch immer höher und höher in den Himmel. Da fuhr der Wind von unten gegen die kleine weiße Wolke, hob sie höher und höher, bis sie über der Rauchsäule stand. Die kleine weiße Wolke machte sich so rund und dick, wie sie nur konnte und versperrte der Rauchsäule den Weg nach oben.
„Mach Platz!“ schimpfte die Rauchsäule.
Aber die kleine weiße Wolke dachte nicht daran, Platz zu machen. Die Rauchsäule drückte von unten gegen die kleine weiße Wolke und schob sie weiter in den Himmel hinauf.
Da bekam es die kleine weiße Wolke mit der Angst, sie würde in der Kälte dort oben zu Schnee frieren und auf die Erde schneien, darum rutschte sie lieber zur Seite.
Weil sie die kleine Wolke nicht mehr aufhielt, schnellte die Rauchsäule plötzlich hoch in die Luft, und als die kleine weiße Wolke in den Himmel hinaufsah, sah sie, dass sich die Rauchsäule in der eisigen Luft dort oben auflöste.
Und was trieben die beiden weiter? Natürlich jagte der Wind die kleine weiße Wolke über den Himmel, bis sie das stolze Flugzeug eingeholt hatten. Da schüttelte der Wind das Flugzeug hin und her, dass es über den Himmel torkelte, die kleine weiße Wolke aber ließ sich auf der Fluzuegkanzel nieder. Weil der Pilot nichts mehr sehen konnte, musste er auf einem Acker notlanden.
Als sie sich umsahen, sahen sie vor sich den Schornstein, aus dem dicker schwarzer Rauch quoll. Die kleine schwarze Wolke setzte sich auf den Schornstein und verstopfte ihn. Und der Wind fuhr in den Schornstein hinein, und trieb den dicken schwarzen Rauch in die Fabrikhallen und verqualmte sie, bis die Arbeiter mit tränenden Augen aus der Fabrik herausliefen.
Da lachten die kleine weiße Wolke und der lustige Windstoß und sie flogen weiter. Ich nehme an, dass sie gute Freunde blieben und seitdem unzertrennlich waren. Sicher haben die beiden zusammen noch manches angestellt. Vielleicht hat sie ja einer von euch dabei beobachtet und kann uns davon berichten.
Ursprünglich erschienen in: Johannes Merkel: Das Krokodil an der Ampel, Berlin 1988, S. 10-13
Zeichnung Dieter MalzacherAuch bei dieser einfachen Geschichte lassen sich die zuhörenden Kinder in die Erzählung einbeziehen, indem jeweils gefragt wird, wen der lustige Wind und die Wolke wohl noch aufsuchen werden. Wenn nicht die bereits eingeführten Erscheinungen genannt werden, sollten die Einfälle eingebaut und improvisierend ausgemalt werden. Vielleicht spielen die beiden dann ganz anddere Spiele und die Geschichte endet ohne die Rachephantasien der abgewiesenen kleinen Wolke.