1.
Unter der Regierung Harun-ar-Raschids war die Stadt Bagdad berühmt für die Pracht ihrer Paläste, die Weitläufigkeit ihrer Gärten, die Vielfalt der Waren in ihren Bazaren und die Verschlagenheit der Händler, die sie zum Verkauf boten. Von weither kamen die Menschen, um die Paläste zu bewundern, sich in den Gärten zu ergehen und sich in den Bazaren übers Ohr hauen zu lassen. Und darum beschloss eines Tages auch ein persischer Zauberer, der ihre Wunder hatte rühmen hören, die Hauptstadt zu besuchen und sich selbst davon zu überzeugen, ob die Paläste so prächtig, die Gärten so üppig und die Händler so niederträchtig seien, wie es das Gerücht verbreitete.
Ob er sich auf einem Kamelrücken durchschaukeln oder von einem dienstbaren Geist durch die Lüfte tragen ließ oder wie er sonst nach Bagdad gelangte, ist nicht bekannt. Jedoch betrat er eines Morgens die weltberühmte Stadt, wanderte durch Straßen und über Plätze, ruhte im Schatten der Gärten, beobachtete das aufgeregte Treiben in den engen Gassen des Bazars und war alles in allem enttäuscht. Sicher, die Paläste waren reicher, die Gärten köstlicher und die Händler gewinnsüchtiger, und doch schien ihm diese Stadt nicht so viel anders als andere Städte und von den gleichen Menschen bevölkert wie anderswo auch. Und nachdem er den ganzen Tag durch die Hauptstadt gewandert war, wurde er müde und hungrig und es traf sich, dass er im Großen Bazar am Stand eines Garkochs vorüberkam, sich niedersetzte und eine Mahlzeit bestellte.
Der Garkoch, ein Mann von jugendlichem Aussehen, machte sich an die Arbeit, hackte Fleisch, das er knetete und aufs Feuer legte, formte Fladen aus Teig und schob sie in den Ofen. Und der Zauberer, der den flinken Bewegungen seiner Hände folgte, bemerkte, dass das Gesicht dieses jungen Mannes von gelblicher Farbe war, als ob er von einer Krankheit gezeichnet wäre, dass seine Hände zitterten, wie bei einem Menschen, den die Angst umtreibt, und dass er die Mundwinkel nach unten zog wie jemand, der von großer Traurigkeit beherrscht wird. Auch beobachtete er, dass ihm ab und zu eine Träne über die Backen lief, die er sich verstohlen mit dem Handrücken abwischte. Und als der Koch ihm den Teller mit der Speise brachte, sah er ihn an und fragte: „Ich sehe, dass du von Leid und Schmerzen gezeichnet bist. Welche Krankheit zehrt an deinem jungen Leben? Wisse, dass ich Arzt bin und dir helfen kann.“ Doch der Garkoch seufzte nur und schüttelte stumm den Kopf.
„Ist es Kummer und Traurigkeit, die an dir nagt?“ forschte der Zauberer weiter. „Wisse, dass ich auch Medizin gegen die Niedergeschlagenheit kenne und verstehe, gebrochene Herzen zu heilen.“
Wieder verneinte der Koch mit einem stummen Kopfschütteln, doch er blieb nachdenklich stehen und schließlich sagte er: „Mich plagen weder Schmerzen noch Kummer. Mein Unglück ist, dass ich verliebt bin.“
„Du bist von ihr getrennt und verzehrst dich in Sehnsucht nach der Geliebten? Auch dafür weiß ich dir Rat. Darum sage mir, an wem dein Herz hängt und was eurer Vereinigung entgegensteht.“
„Mir kann niemand mehr helfen, du nicht und niemand sonst,“ stöhnte der Koch. Aber als der Zauberer in ihn drang und ihn bat, sein Herz vor ihm auszuschütten, ließ sich der junge Mann bereden und sagte ihm, er möge am Abend nach der Schließung der Garküche in sein Haus kommen, dort werde er sich ihm offenbaren. Und der Zauberer wanderte weiter durch Baghdad, bis es Nacht wurde und er das bezeichnete Haus aufsuchte, wo ihn der Garkoch empfing und ihm seine Geschichte erzählte.
„Wie klug und erfahren du auch sein magst,“ begann der Koch, „mir wirst du nicht helfen können, denn die Frau, nach der ich mich verzehre und vor der ich zugleich vor Angst vergehe, ist niemand anderes als die Tochter des Kalifen. Und es ist nur mein Vorwitz und meine unbezähmbare Neugierde, die mich in diese ausweglose Lage gebracht haben. Was gäbe ich nicht darum, hätten meine Augen sie nie gesehen!“
Und er berichtete, dass der Große Bazar auf Anweisung des Kalifen jeden Freitagnachmittag geräumt werde, und nicht eine einzige Menschenseele darin zurückbleiben dürfe, und am wenigsten ein männliches Wesen. Denn dann betrete die Tochter des Kalifen mit ihren Gespielinnen den Bazar, bewundere die ausgestellten Waren und gebe ihren Vertrauten Anweisung, was sie kaufen und ihr in den Palast bringen sollten. Und eines Tages habe er sich in seinem Laden versteckt und die Prinzessin erblickt. Ob es nun an ihrer unvergleichlichen Schönheit oder ihrer kühnen und geschmeidigen Beweglichkeit lag, jedenfalls brach er in einen Ausruf der Bewunderung aus, den die Prinzessin trotz des lauten Gelächters ihrer Gespielinnen hörte. Sie befahl seinen Laden zu durchsuchen, und schließlich wurde er bleich und zitternd aus seinem Versteck gezogen.
„Wie kannst du es wagen, das Verbot des Beherrschers der Gläubigen zu missachten?“ fuhr sie ihn an. „Weißt du nicht, welche Strafe dich erwartet?“ Und als er trotz seiner Furcht die Augen nicht von ihr abwandte, herrschte sie ihn an: „Auf die Knie mit dir!“ Und dann sei sie mit einem gezückten Dolch auf ihn zugegangen, sei aber statt zuzustoßen mit der Schärfe des Dolches nur über seinen Nacken gestrichen und er habe die Kälte des Eisens wie ein Liebkosung empfunden. Der Garkoch war sich sicher, dass sie kühn genug wäre, einen Menschen eigenhändig umzubringen und nichts anderes habe er in diesem Augenblick erwartet. Aber sie habe dann nur aufgelacht und gesagt: „Nein, nein, mein Freund, so einfach sollst du nicht davonkommen. Ich weiß für dich eine wirksamere Strafe: Jeden Morgen sollst du beim Aufstehen zittern, ob ich dich den Abend noch erleben lasse oder meinem Vater von deiner Frechheit berichte, der dich noch am gleichen Tag dem Henker übergeben wird. Und so wirst du meinen Anblick niemals vergessen und wirst tagtäglich an mich denken und dich fragen, wann ich mit einem einzigen Satz deiner Qual ein Ende mache.“ Und damit habe sie ihre Gespielinnen zusammengerufen und sei verschwunden.
„Wie Recht sie damit hatte!“ schloss der Garkoch seine Erzählung. „Seit diesem Tage habe ich keine ruhige Minute mehr. Die Erinnerung an ihren Anblick macht mich vor Sehnsucht verrückt und dass sie mich verraten könne, macht mich vor Angst bedrückt. Und wie oft hoffte ich, dass sie endlich den gefürchteten Schritt tut und mich von diesem Leben erlöst.“
Der Zauberer sah ihn an und sah, dass er die Tochter des Kalifen von ganzem Herzen liebte. Und darum sagte er: „Was gibst du mir, wenn ich sie und dich zusammenbringe?“
„Das ist unmöglich!“ schrie der Garkoch. „Aber wenn es möglich wäre, übergäbe ich mein Geld, mein Haus und mein Leben in deine Hände.“
Darauf antwortete der Zauberer: „Steh auf und bringe mir eine Phiole aus Metall, sieben Nadeln, ein Stück Aloeholz, dazu etwas gekochtes Fleisch, eine Portion Siegellack, das Schulterblatt und das Fell eines Schafes und sieben Sorten Sandelholz!“
Schon am nächsten Abend hatte der junge Mann die gewünschten Dinge beschafft. Der Zauberer wies ihn an, seine besten Kleider anzuziehen, sich zu salben und zu schmücken. Und als der Garkoch fertig war, schrieb er Koranverse auf das Schulterblatt und wickelte es in das Fell. Dann steckte er die sieben Nadeln in das Sandelholz, gab sie zusammen mit dem Fleisch in die Phiole, verschloss sie mit dem Siegellack und entzündete die Aloe. Darauf rief er mit lauter Stimme: „Ich habe angeklopft, an die Pforten der Hölle habe ich geklopft, die Dschinne habe ich gerufen!“
Da stieg ein Rauch vor ihnen auf, wurde dichter und aus dem Rauch trat ein Dschinn, der mit einer Verbeugung nach den Wünschen seines Gebieters fragte. Und der Zauberer befahl ihm, den Garkoch aufzuheben und dorthin zu tragen, wohin sein Streben und alle seine Gedanken gingen. „Ich höre und gehorche,“ verbeugte sich der Dschinn, nahm den Koch und trug ihn durch die Lüfte bis in den Palast des Kalifen und legte ihn in das Bett der schlafenden Prinzessin.
Die Prinzessin erwachte und wunderte sich, einen jungen Mann neben sich zu finden. Sie schaute ihn an und bemerkte, dass es der Mann war, den sie im Bazar überrascht hatte und dass er zitternd vor Furcht und doch mit allen Zeichen der Sehnsucht neben ihr lag. Und sie wunderte sich, hielt das alles aber für einen Traum und sagte sich: „Was kann es schaden, im Traum bei einem Manne zu liegen?“ Und sie nahm ihn in den Arm und auch bei ihm gewann die Liebe Oberhand über die Furcht und sie lagen beieinander, bis der Dschinn ihn im Morgengrauen entführte und in sein Bett zurückbrachte. Und als die Prinzessin sich am Morgen allein wiederfand, war sie sich sicher, dass es zwar ein seltsamer und wunderbarer, aber doch nichts weiter als ein Traum gewesen war, und das Wunderbarste daran war, dass er sich nun Nacht für Nacht wiederholte, und jeden Abend, sobald sie sich zu Bett gelegt hatte, wartete die Prinzessin auf diesen Traum und sie wartete niemals vergeblich.
Nun weiß man ja, wie sehr der Kalif Harun-ar-Raschid Liebesgeschichten jeder Art genoss, als galante Abenteuer, die er verkleidet in den Gassen Baghdads erlebte, oder auch als pikante Erzählungen im Kreis seiner Vertrauten. Nur eine Sorte solcher Geschichten war ihm zutiefst verhasst: Von Liebeshändeln seiner eigenen Tochter wollte er niemals hören müssen. Und damit er nie in diese Verlegenheit komme, hatte er ihr eine erfahrene Frau zur Seite gegeben mit der strikten Anweisung, Augen und Ohren offen zu halten und jeden Versuch einer männlichen Annäherung oder gar von Annäherungsversuchen seiner Tochter im Keime zu ersticken und ihm zu hinterbringen. Bekanntlich aber lässt sich erfüllte Liebe kaum verbergen, und tatsächlich war es das auffallende Leuchten ihrer Augen, das die Anstandsdame misstrauisch machte. Sie begann die Prinzessin auf Schritt und Tritt zu überwachen, konnte aber trotz verdoppelter Anstrengungen keine Anzeichen geheimer Verbindung, keine verdächtigen Blicke, keine versteckten Botschaften entdecken. Aber ihr Verdacht blieb, und so schlich sie sich eines Nachts ins Schlafzimmer der Prinzessin. Und was musste sie dort erblicken? Einen jungen Mann, der in den Armen der glücklich lächelnden Prinzessin ruhte.
2.
Die Prinzessin wird nicht nur als bezaubernd und kühn, sondern auch als höchst intelligent beschrieben, und darum ist es unwahrscheinlich, dass sie nicht schon längst die wahre Natur ihrer Träume durchschaute. Wahrscheinlicher ist, dass sie die Behauptung, alles nur für einen Traum gehalten zu haben, nur benutzte, um sich vor dem Zorn ihres aufgebrachten Vaters zu schützen. Nicht dass Harun-ar-Raschid ihr das so einfach abgenommen hätte! Aber es blieb ein unerklärliches Geheimnis, wie der heimliche Liebhaber aus dem von Wachen umstellten Schlafzimmer hatte entkommen können. Erstens reizten Geheimnisse die Neugier des Kalifen, und zweitens fürchtete er, dass bald der nächste Liebhaber sich einstellen würde, wenn das Schlupfloch nicht verstopft würde. In der folgenden Nacht ließ er den dreisten Liebhaber aus dem Bett seiner Tochter holen und herrschte ihn an, durch welche Machenschaften er den Wachen entwischt sei. Und als der zu Tode erschrockene Garkoch zögerte, seinen Helfer zu nennen, versprach er sogar, sein Leben zu schonen, wenn er nur die Wahrheit gestehe. Als der junge Mann noch immer schwieg, wurde der Henker geholt, der ihm das blanke Schwert auf den Nacken legte und nur auf ein Zeichen des Kalifen wartete, um ihm den Kopf vom Rumpf zu trennen. Die Kälte des Stahls weckten in dem Garkoch die widerstreitenden Gefühle, die der Dolch der Prinzessin in ihm ausgelöst hatte, er brach in Tränen aus und berichtete von seiner Begegnung mit dem Perser und dass dessen dienstbare Geister ihn Nacht für Nacht durch die Lüfte zur Geliebten führten und wieder wegbrächten. Der Kalif ließ auf der Stelle auch den Perser verhaften und vor sich bringen.
Lächelnd trat der Zauberer vor den Beherrscher der Gläubigen, der sich ärgerte, dass dieser Fremde weder Furcht noch Ehrerbietung zeigte. „Du bist des Todes“, herrschte er ihn an. „Aber ehe ich dich zur Hölle schicke, beantworte mir eine Frage: Ist es wahr, dass du über Geister gebietest, die diesen Mann durch die Lüfte zu tragen vermögen? Und über welche andern Geister verfügst du und was kannst du mit ihnen ausrichten?“
„Erlaubt mir, o Beherrscher der Gläubigen“, lächelte der Perser, „Euch, ehe Ihr mich und diesen unschuldigen jungen Mann zu Tode bringt, noch einige Kostproben meiner Kunst zu geben.“
Harun-ar-Raschid, der von Natur aus neugierig war und immer erpicht darauf von seltsamen Künsten und Kunstfertigkeiten zu erfahren, war nur allzu bereit, ihm diese Bitte zu erfüllen. Da bat der persische Zauberer um eine Schüssel, füllte in sie gerade so viel Wasser, dass der Boden bis zur Stärke eines Daumens bedeckt war, und stellte diese Schüssel vor den Beherrscher der Gläubigen hin. Er verneigte sich und sagte: „Geruht in diese Schüssel zu springen und Ihr werdet Wunder erleben, wie sie Eure Augen noch nie gesehen haben noch jemals wieder sehen werden.“
Harun-ar-Raschid blickte auf die Schüssel, dann auf den Perser und wieder auf die Schüssel, und es war ihm anzusehen, wie sehr Neugier und Vorsicht in seinem Gesicht miteinander stritten. Schließlich rief er laut nach seinem Wesir, Dschafar dem Barmekiden, und sagte, als dieser Böses ahnend vortrat: „Springe in diese Schüssel, und berichte mir, welche Wunder du siehst und was du Unerhörtes erlebst!“
Dschafar blickte auf die Schüssel, dann zu Harun-ar-Raschid und wieder auf die Schüssel. Was blieb ihm anderes übrig als dem Befehl des Beherrschers der Gläubigen zu folgen? Darum streifte er sein Obergewand ab, beugte sich vor, und kaum hatte sein Haupt das Wasser der Schüssel berührt, verschwand er vollkommen darin. Und das Wasser schloss sich über ihm und glättete sich, als hätte es nie einen Menschen verschluckt.
3.
Kaum aber war der Wesir in der Schüssel untergetaucht, fand er sich mitten auf dem Meer wieder. Hohe Wellen rollten auf ihn zu, schlugen über ihm zusammen und drohten ihn in die Tiefe zu ziehen. Verzweifelt schwamm er um sein Leben, aber so entschlossen er auch gegen die Wogen kämpfte, bald musste er bemerken, dass seine Kräfte nachließen und er verurteilt war, den Fischen zum Fraß zu dienen. Da sah er plötzlich, auf einem Wogenkamm um sich blickend, ein Fischerboot zwischen den Wellen tanzen. Mit seiner letzten Kraft schrie er gegen das tosende Meer und winkte dem Fischer zu, und tatsächlich, das Boot kam näher, ein Netz wurde über ihm ausgeworfen und im Netz gefangen wurde er an Bord gezogen.
Im Boot saß ein grobschlächtiger junger Mann, der den Wesir, kaum hatte er ihn über die Bordwand gehievt, mit allen Zeichen des Entsetzens anstarrte. Der erschrockene Blick des Fischers veranlasste den Wesir an sich selbst herunterzublicken und mit seltsamem Staunen stellte er fest, dass ihm Brüste gewachsen waren. Und als er die Algen entfernen wollte, die sich im Wasser um sein Gesicht gelegt haben mussten, bemerkte er, dass es nasse Haarsträhnen waren und dass sein Bart verschwunden war und er lange Haare hatte, wie sie Frauen tragen. Ehe er darüber nachdenken konnte, verfiel er schon in den nächsten Schrecken. Denn jetzt schrie ihn der Fischer an: „Du bist eine Nixe! Nixen bringen Unglück.“ Und er stürzte sich auf ihn, um ihn in die tosende See zurückzuwerfen.
„Nein“, schrie der Wesir auf. „Ich bin wie du ein Mensch. Verschone mich!“
„Das sagen sie alle. Darauf fall ich nicht rein!“ keuchte der Fischer. Und er versuchte den Wesir, der sich verzweifelt wehrte, aus dem Boot zu stoßen. Und als der Fischer ihn schon zur Hälfte über die Bordwand gehievt hatte, gab die Angst dem Wesir ein zu versprechen: „Wenn du mich leben lässt, werde ich dich reich machen.“
Der Fischer, der schon davon gehört haben mochte, dass Nixen auch manchmal Menschen beglücken, ließ den Wesir ins Boot zurückfallen, aber er verschnürte seine Beute mit doppelten und unlösbaren Knoten und legte sie auf dem Boden des Bootes ab, während er immer wieder misstrauisch das gefährliche Paket beobachtend zum Ufer ruderte.
Am Ufer wartete der Vater des Fischers, und der Sohn rief ihm zu: „Vater, ich habe einen Glückstag heute: Ich habe eine Nixe gefangen, die mich reich machen wird.“
„Nein, sie bringt dir nur Unglück! Schlag sie tot!“ rief der Vater, und stürmte mit einem mächtigen Knüppel bewaffnet ins Boot, um die Nixe auf der Stelle umzubringen. Wie gelähmt von diesem neuen Unglück starrte der Wesir auf den Vater des Fischers, der zum Schlag ausholte, als dessen Knüppel wie durch ein Wunder hoch erhoben in der Luft stehen blieb, sich die Augen des Alten vor Freude weiteten und er ausrief: „Du hast wirklich einen Glückstag, Sohn! Das ist keine Nixe, das ist die Prinzessin! Lass sie uns zum Sultan bringen und uns eine fürstliche Belohnung verdienen!“
Der Wesir, von dieser neuen Wendung der Dinge überrascht, hütete sich, den Alten über den Irrtum aufzuklären, der ihm vorerst das Leben gerettet hatte, und ließ alles schweigsam über sich ergehen, als ihn die beiden Fischer vorsichtig und geradezu zuvorkommend aus dem Boot hoben und das zusammengeschnürte Bündel auf den Rücken eines Esels legten, dem sie eine Bettdecke übergeworfen hatten, damit die Prinzessin nicht zu sehr durchgeschüttelt würde.
Sie hatten es nicht weit zum Palast des Sultans, der über jene Insel herrschte, und nachdem sie sich den Wachen erklärt hatten, wurden sie mitsamt ihrer kostbaren Beute vor den Herrscher gebracht. Der Sultan ließ zunächst das Gesicht des Wesirs vollständig aus dem Netz befreien. Lange sah er es forschend an. Plötzlich schwollen ihm die Zornesadern und er brüllte, woher sie die Frechheit genommen habe, sich seinen Anweisungen zu widersetzen und sich aus dem Palast zu entfernen, den er ihr zur Wohnung angewiesen hatte.
Der Wesir war verwirrt, aber er neigte das Haupt, wie es sich für einen Höfling im Angesicht seines Herrschers gehört, und äußerte die Hoffnung, der Herrscher möge ihm verzeihen, dass er so dreist sei, sich das Wort zu nehmen. Aber allem Anschein nach liege hier eine unglückliche Verwechslung vor. Denn er sei keineswegs eine Frau, und schon gar nicht die Tochter des Herrschers, sondern ein Wesir Harun-ar-Raschids, des Beherrschers der Gläubigen, der durch die gottlosen Machenschaften eines persischen Zauberers in jenes tobende Meer geraten sei, aus dem ihn der Fischer gezogen habe.
Diese Äußerung verfehlte nicht die Wirkung auf den Sultan: Er kniff die Augen zusammen, starrte seine vermeintliche Tochter an und sah sich dann Hilfe suchend nach seinen Ministern um.
„Die Strapazen der Flucht haben ihren Verstand verwirrt,“ flüsterte einer der Ratgeber.
Der Sultan nickte und schien zu überlegen. Doch plötzlich polterte er wieder los: „Verrückt oder nicht, was kümmert mich das! Ich habe einen Eid geschworen, sie dem zum Manne zu geben, der sie mir lebend zurückbringt. Darum verheiratet sie mit diesem Fischer! Schafft sie weg, und dass sie mir nie mehr unter die Augen komme!“
Der Wesir wurde ins Frauengemach gebracht und dort endlich aus dem Fischernetz befreit. Wie staunte er, als er sein nacktes Spiegelbild erblickte! Er fand sich so zauberhaft schön und verführerisch, dass in seinem männlichen Herzen ein Begehren nach sich selber zu keimen begann. Aber schon kamen die Dienerinnen und wickelten seinen Leib in die Lumpen einer Fischerfrau, brachten ihn zu den wartenden Fischersleuten und legte seine zarte Hand in die rissige Pranke des grobschlächtigen Fischersohnes.
Und im Herzen des Wesirs wuchs Zorn und Wut über die Härte seines vermeintlichen Vaters, und er fragte sich: „Soll ich mit diesem herrlichsten Leib, den je eine Frau besessen hat, einem schwachsinnigen Fischer zu Diensten sein?“ Und er beschloss, dieses Schicksal von sich abzuwenden. Als die Fischer ihn in ihre Hütte brachten, bat er seinen tollpatschigen Bräutigam ihm zu gestatten, am Abend am Ufer des Meeres spazieren zu gehen. Und als der arglose Bräutigam ihn gehen ließ, wanderte er am Ufer entlang, bedachte sein seltsames Schicksal und sagte sich: „Mein Gott, in was für eine Geschichte bin ich geraten?“ Und mit dem Mut der Verzweiflung stieg er auf die höchste Klippe und stürzte sich in die tosende Brandung.
Aber kaum waren die Wellen über ihm zusammengeschlagen, tauchte sein Kopf aus der Schüssel auf und er stieg vollends heraus, rieb sich die Augen und blickte verwirrt um sich. Hastig fragte der Kalif: „Nun, wie war es? Was hast du gesehen und welche Wunder hast du erlebt?“
Der Wesir schüttelte die Qual und die Angst ab, die er noch eben gefühlt hatte, und antwortete: „Unbeschreiblich! Steige auch du in die Schüssel, o Beherrscher der Gläubigen, und du wirst noch unerhörtere Wunder erleben!“ Da streifte auch der Kalif sein Obergewand ab und neigte sein Haupt, bis es das Wasser der Schüssel berührte, und kaum hatte er es berührt, verschwand er vollkommen darin. Das Wasser schloss sich über ihm und glättete sich, als hätte es niemals einen Menschen verschluckt.
4.
Kaum hatte sich das Wasser in der Schüssel über dem Kalifen geschlossen, tauchte er in einem prächtigen weitläufigen Wasserbassin auf. Junge Frauen umstanden das Becken, eine bezaubernder als die andere, klatschten in die Hände und riefen: „Erstaunlich, wie lange ihr tauchen könnt! Fast fürchteten wir, Ihr würdet nie mehr auftauchen. Aber nun steigt heraus, damit wir Euch pflegen und salben können, denn vom langen Verweilen im Wasser könnte Eure Haut Schaden nehmen.“
„Wer seid Ihr?“ verwunderte sich der Kalif. „Seid Ihr Feen oder seid Ihr Dschinne?“
„Dschinne? Feen?“ kicherten die Frauen. „Ihr macht Euch lustig! Wir sind nichts weiter als die Dienerinnen unserer Gebieterin.“
„Und wer ist eure Gebieterin?“ forschte der Kalif weiter.
„Unsere Gebieterin?“ prusteten die Frauen los. „Seht her! Es ist die, auf die wir mit den Händen zeigen.“ Und sie streckten die Hände aus und alle zeigten sie auf den Kalifen, der noch durch das Wasser des Beckens schwamm. Und der Kalif verwunderte sich noch mehr, und er begann sich unter dem Wasser abzutasten und bemerkte, dass er sich eine Frau verwandelt hatte. Noch zögerte er, ob er vor den jungen Frauen nackt aus dem Becken steigen solle, doch dann sagte er sich, dass sein Leib nicht anders sei als ihrer und kam heraus. Und während sie ihn mit Duftwässern einrieben, erblickte er sein Ebenbild im Spiegel und sah, dass es hinreißender und begehrenswerter war als alle Frauen, die sein Auge je erblickt hatten. Und der Kalif lachte und große Freude kam über ihn, denn er sagte sich: Nachdem du so oft das Liebesverlangen in einem männlichen Körper gespürt und gestillt hast, wird es dir nun auch vergönnt sein, das Begehren und die Befriedigung einer Frau zu erfahren. Dieser Gedanke beflügelte ihn, und heftige Neugier kam über ihn, so dass er beschloss, sich dem ersten Manne zu überlassen, der ihm begegnen würde.
Aber bald musste er feststellen, dass der Palast, in den es ihn verschlagen hatte, auf einer kleinen vom Meer umgebenen Insel lag, und so sehr er ihn auch auf der Suche nach einem Mann durchstreifte und alle Winkel durchstöberte, konnte er noch nicht einmal die Spur eines männlichen Wesens entdecken. Und so fragte er eines Tages seine Dienerinnen, ob und weshalb es in diesem Palast keine Männer gebe.
„Männer?“ fragten sie mit sichtlichem Schrecken und gespieltem Erstaunen zurück. „Was ist das?“
Es kostete den Kalifen Zurückhaltung zu wahren, und er erklärte: „Menschen, mit denen wir Frauen uns in Liebe vereinigen und von denen wir Kinder empfangen.“
Die Dienerinnen schüttelten nur die Köpfe und meinten, Kinder empfange man doch, wenn man bei Vollmond in der See bade. „Die Seelen der Kinder leben als Fische im Meer. Wenn sie zu Menschen werden wollen, suchen sie sich unter den Badenden eine Mutter aus und schlüpfen ihr in den Bauch. So ist das hier immer gewesen.“
Was sollte er mit dieser Auskunft anfangen? Verärgert wandte sich der Kalif ab und schwieg. Das Rätsel löste sich in der folgenden Nacht, als plötzlich eine alte Frau an seinem Bett stand, ihn sanft weckte und ihn bat, sie möge aus Liebe zu ihrer alten Amme, die sie doch schon als Säugling auf den Händen getragen und mit der Milch ihrer Brust genährt habe, nie mehr zu ihren Dienerinnen von Männern oder irgendetwas Männlichem reden, denn sie bringe sie damit in Lebensgefahr. „Ich dagegen bin alt und stehe schon mit einem Fuß im Grabe, darum wage ich es, offen zu dir zu sprechen.“
Auf sein Nachfragen erfuhr der Kalif, dass der Sultan dieser Insel bei der Geburt seiner Tochter einen heiligen Eid geschworen hatte, sie solle kein männliches Wesen erblicken, ehe er selbst geruhte, sie einem Mann zur Frau zu geben. Und darum hatte er auf dieser einsamen Insel einen Palast errichten lassen, den außer ihm keines Mannes Fuß je betreten durfte, und er hatte allen Dienerinnen bei Todesstrafe verboten, zu ihr je von Männern oder allem Männlichem zu reden.
Der Kalif, der nun begriff, dass er durch die Machenschaften des persischen Zauberers in den Leib dieser unglücklichen Prinzessin gefahren war, spürte bei diesen Worten wieder brennende Neugier danach, zu erfahren, wie sich die Liebe im Körper einer Frau anfühle, und Zorn über die Anweisungen dieses anmaßenden Vaters stieg in ihm auf. Und er beschloss ihm zu trotzen, begann den Tag über auf der Terrasse des Palastes zu sitzen, sehnsuchtsvoll über das weite Meer zu blicken und darüber nachzudenken, wie er diesem Gefängnis entrinnen könne. Und als eines Tages ein Segel am Horizont auftauchte, wusste er plötzlich, wie er es anstellen musste. Und er befahl drei Tücher an der Spitze des Palastes aufzuhängen. Was aber nur er selbst wusste und keine seiner Dienerinnen ahnen konnte, die die Regeln der Seefahrt nicht kannten: Die Anordnung dieser Tücher waren das Signal, mit dem die Seeleute höchste Not anzeigen, und das jeden Seemann verpflichtet, sich dorthin zu begeben und Hilfe zu leisten. Und tatsächlich, bald wendete sich ein Segel und nahm Kurs auf die Insel. Und als das Schiff im Begriff stand anzulegen, befahl der Kalif den verschreckten Dienerinnen, sich im Palast zu verstecken und unter keinen Umständen den fremden Seeleuten unter die Augen zu treten. Aber was mussten die Dienerinnen aus ihren Verstecken heraus beobachten? Kaum hatte der Kiel des Schiffes den Strand berührt, lief die ihnen anvertraute Prinzessin zum Strand, bestieg das Schiff, das wieder Segel setzte und davonfuhr. Und um ihr Leben zitternd benachrichtigten die zurückgelassenen Frauen den grausamen Vater, dass seine Tochter auf einem fremden Schiff entflohen war.
Dem Kalifen aber hatte das Herz gelacht, als er den Fuß auf die Schiffsplanken setzte und die von der Sonne gebräunten und von Anstrengung schwitzenden Männer betrachtete. Und insbesondere war es der kraftvolle und jugendliche Kapitän, der die Regungen in seinem weiblichen Körper hervorrief, die er sich so sehnsüchtig gewünscht hatte.
Inzwischen aber hatte der Sultan in aller Eile eine Flotte rüsten lassen, die das Fahrzeug mit der entführten Prinzessin einholen und aufbringen sollten, und kaum hatte der Kalif die ersten Schritte im Liebesspiel einer Frau gemacht, da benachrichtigten die Matrosen den Kapitän, dass sie von einer feindlichen Flotte eingeholt und umzingelt würden. Der Kapitän, der mir einem Blick erfasste, auf welche Beute sie es abgesehen hatte, befahl kaltblütig und ohne sich von ihrem Jammern und Drohen erweichen zu lassen, die fremde Schöne über Bord zu werfen, und suchte mit seinem leichten Schiff und dank günstiger Winde das Weite.
Wütend über die Niederträchtigkeit des Kapitäns und verzweifelt um sein Leben kämpfend fand sich der Kalif von haushohen Wellen hin- und hergeworfen, und obwohl er all seine Kraft und seinen Mut zusammennahm, spürte er doch, dass er gegen den Seegang nicht ankam, ihn das Meer bald in die Tiefe ziehen und er zum Fraß der Fische werden würde. „Mein Gott“, stöhnte er, „in was für eine Geschichte bin ich geraten?“ Und im gleichen Augenblick, in dem er von den Wogen überrollt wurde, tauchte sein Kopf aus der Schüssel auf und er stieg vollends heraus, rieb sich die Augen und blickte verwirrt um sich.
5.
Vor ihm aber stand Dschafar, und der Kalif glaubte ein Zwinkern in seinen Augen zu bemerken, als der Wesir ihn fragte: „War es nicht erstaunlich und ganz wunderbar, was du erleben durftest, o Beherrscher der Gläubigen?“
„In der Tat,“ nickte der Kalif. „Mehr als erstaunlich und wunderbarer als wunderbar.“ Und er nahm den Barmekiden auf die Seite, und bedrohte ihn bei Strafe seines Lebens, die Wahrheit zu sagen und nichts als die Wahrheit. Und der Wesir gestand ihm, was er als vermeintliche Tochter jenes grausamen Sultans erlitten hatte, und da gestand ihm auch der Beherrscher der Gläubigen, dass ihm die traurigen Erlebnisse eben der gleichen Tochter widerfahren waren, und sie bemerkten, dass ihrer wundersamen Erlebnisse zur gleichen Geschichte gehörten.
Daraufhin ließ der Kalif seine Tochter rufen, und er fragte sie vor dem Angesicht des Zauberers, ob sie diesen jungen Mann, seines Zeichens Garkoch im Großen Bazar von Bagdad zum Mann begehre. Und als sie einwilligte, wurde zwischen ihnen eine Hochzeit gerichtet, und sie lebten glücklich und in Freuden miteinander, bis der zu ihnen kam, der aller Freude ein Ende macht und alles Irdische von der Erde hinwegnimmt.
Freie Nacherzählung nach ‚The tale of the warlock and the young cook of Baghdad‘, in: ‚The book of the thousand nights and a night‘. ‚Supplemental nights‘ vol. 7, Tansl. R.F. Burton, London 1894-97, p. 121-142