Die Geschichte vom Zauberer und vom Garkoch

1.
Unter der Regie­rung Harun-ar-Rasch­ids war die Stadt Bag­dad berühmt für die Pracht ihrer Paläs­te, die Weit­läu­fig­keit ihrer Gär­ten, die Viel­falt der Waren in ihren Baza­ren und die Ver­schla­gen­heit der Händ­ler, die sie zum Ver­kauf boten. Von weit­her kamen die Men­schen, um die Paläs­te zu bewun­dern, sich in den Gär­ten zu erge­hen und sich in den Baza­ren übers Ohr hau­en zu las­sen. Und dar­um beschloss eines Tages auch ein per­si­scher Zau­be­rer, der ihre Wun­der hat­te rüh­men hören, die Haupt­stadt zu besu­chen und sich selbst davon zu über­zeu­gen, ob die Paläs­te so präch­tig, die Gär­ten so üppig und die Händ­ler so nie­der­träch­tig sei­en, wie es das Gerücht ver­brei­te­te.
Ob er sich auf einem Kamel­rü­cken durch­schau­keln oder von einem dienst­ba­ren Geist durch die Lüf­te tra­gen ließ oder wie er sonst nach Bag­dad gelang­te, ist nicht bekannt. Jedoch betrat er eines Mor­gens die welt­be­rühm­te Stadt, wan­der­te durch Stra­ßen und über Plät­ze, ruh­te im Schat­ten der Gär­ten, beob­ach­te­te das auf­ge­reg­te Trei­ben in den engen Gas­sen des Bazars und war alles in allem ent­täuscht. Sicher, die Paläs­te waren rei­cher, die Gär­ten köst­li­cher und die Händ­ler gewinn­süch­ti­ger, und doch schien ihm die­se Stadt nicht so viel anders als ande­re Städ­te und von den glei­chen Men­schen bevöl­kert wie anders­wo auch. Und nach­dem er den gan­zen Tag durch die Haupt­stadt gewan­dert war, wur­de er müde und hung­rig und es traf sich, dass er im Gro­ßen Bazar am Stand eines Gar­kochs vor­über­kam, sich nie­der­setz­te und eine Mahl­zeit bestellte.

Der Gar­koch, ein Mann von jugend­li­chem Aus­se­hen, mach­te sich an die Arbeit, hack­te Fleisch, das er kne­te­te und aufs Feu­er leg­te, form­te Fla­den aus Teig und schob sie in den Ofen. Und der Zau­be­rer, der den flin­ken Bewe­gun­gen sei­ner Hän­de folg­te, bemerk­te, dass das Gesicht die­ses jun­gen Man­nes von gelb­li­cher Far­be war, als ob er von einer Krank­heit gezeich­net wäre, dass sei­ne Hän­de zit­ter­ten, wie bei einem Men­schen, den die Angst umtreibt, und dass er die Mund­win­kel nach unten zog wie jemand, der von gro­ßer Trau­rig­keit beherrscht wird. Auch beob­ach­te­te er, dass ihm ab und zu eine Trä­ne über die Backen lief, die er sich ver­stoh­len mit dem Hand­rü­cken abwisch­te. Und als der Koch ihm den Tel­ler mit der Spei­se brach­te, sah er ihn an und frag­te: „Ich sehe, dass du von Leid und Schmer­zen gezeich­net bist. Wel­che Krank­heit zehrt an dei­nem jun­gen Leben? Wis­se, dass ich Arzt bin und dir hel­fen kann.“ Doch der Gar­koch seufz­te nur und schüt­tel­te stumm den Kopf.
„Ist es Kum­mer und Trau­rig­keit, die an dir nagt?“ forsch­te der Zau­be­rer wei­ter. „Wis­se, dass ich auch Medi­zin gegen die Nie­der­ge­schla­gen­heit ken­ne und ver­ste­he, gebro­che­ne Her­zen zu hei­len.“
Wie­der ver­nein­te der Koch mit einem stum­men Kopf­schüt­teln, doch er blieb nach­denk­lich ste­hen und schließ­lich sag­te er: „Mich pla­gen weder Schmer­zen noch Kum­mer. Mein Unglück ist, dass ich ver­liebt bin.“
„Du bist von ihr getrennt und ver­zehrst dich in Sehn­sucht nach der Gelieb­ten? Auch dafür weiß ich dir Rat. Dar­um sage mir, an wem dein Herz hängt und was eurer Ver­ei­ni­gung ent­ge­gen­steht.“
„Mir kann nie­mand mehr hel­fen, du nicht und nie­mand sonst,“ stöhn­te der Koch. Aber als der Zau­be­rer in ihn drang und ihn bat, sein Herz vor ihm aus­zu­schüt­ten, ließ sich der jun­ge Mann bere­den und sag­te ihm, er möge am Abend nach der Schlie­ßung der Gar­kü­che in sein Haus kom­men, dort wer­de er sich ihm offen­ba­ren. Und der Zau­be­rer wan­der­te wei­ter durch Bagh­dad, bis es Nacht wur­de und er das bezeich­ne­te Haus auf­such­te, wo ihn der Gar­koch emp­fing und ihm sei­ne Geschich­te erzählte.

„Wie klug und erfah­ren du auch sein magst,“ begann der Koch, „mir wirst du nicht hel­fen kön­nen, denn die Frau, nach der ich mich ver­zeh­re und vor der ich zugleich vor Angst ver­ge­he, ist nie­mand ande­res als die Toch­ter des Kali­fen. Und es ist nur mein Vor­witz und mei­ne unbe­zähm­ba­re Neu­gier­de, die mich in die­se aus­weg­lo­se Lage gebracht haben. Was gäbe ich nicht dar­um, hät­ten mei­ne Augen sie nie gese­hen!“
Und er berich­te­te, dass der Gro­ße Bazar auf Anwei­sung des Kali­fen jeden Frei­tag­nach­mit­tag geräumt wer­de, und nicht eine ein­zi­ge Men­schen­see­le dar­in zurück­blei­ben dür­fe, und am wenigs­ten ein männ­li­ches Wesen. Denn dann betre­te die Toch­ter des Kali­fen mit ihren Gespie­lin­nen den Bazar, bewun­de­re die aus­ge­stell­ten Waren und gebe ihren Ver­trau­ten Anwei­sung, was sie kau­fen und ihr in den Palast brin­gen soll­ten. Und eines Tages habe er sich in sei­nem Laden ver­steckt und die Prin­zes­sin erblickt. Ob es nun an ihrer unver­gleich­li­chen Schön­heit oder ihrer küh­nen und geschmei­di­gen Beweg­lich­keit lag, jeden­falls brach er in einen Aus­ruf der Bewun­de­rung aus, den die Prin­zes­sin trotz des lau­ten Geläch­ters ihrer Gespie­lin­nen hör­te. Sie befahl sei­nen Laden zu durch­su­chen, und schließ­lich wur­de er bleich und zit­ternd aus sei­nem Ver­steck gezo­gen.
„Wie kannst du es wagen, das Ver­bot des Beherr­schers der Gläu­bi­gen zu miss­ach­ten?“ fuhr sie ihn an. „Weißt du nicht, wel­che Stra­fe dich erwar­tet?“ Und als er trotz sei­ner Furcht die Augen nicht von ihr abwand­te, herrsch­te sie ihn an: „Auf die Knie mit dir!“ Und dann sei sie mit einem gezück­ten Dolch auf ihn zuge­gan­gen, sei aber statt zuzu­sto­ßen mit der Schär­fe des Dol­ches nur über sei­nen Nacken gestri­chen und er habe die Käl­te des Eisens wie ein Lieb­ko­sung emp­fun­den. Der Gar­koch war sich sicher, dass sie kühn genug wäre, einen Men­schen eigen­hän­dig umzu­brin­gen und nichts ande­res habe er in die­sem Augen­blick erwar­tet. Aber sie habe dann nur auf­ge­lacht und gesagt: „Nein, nein, mein Freund, so ein­fach sollst du nicht davon­kom­men. Ich weiß für dich eine wirk­sa­me­re Stra­fe: Jeden Mor­gen sollst du beim Auf­ste­hen zit­tern, ob ich dich den Abend noch erle­ben las­se oder mei­nem Vater von dei­ner Frech­heit berich­te, der dich noch am glei­chen Tag dem Hen­ker über­ge­ben wird. Und so wirst du mei­nen Anblick nie­mals ver­ges­sen und wirst tag­täg­lich an mich den­ken und dich fra­gen, wann ich mit einem ein­zi­gen Satz dei­ner Qual ein Ende mache.“ Und damit habe sie ihre Gespie­lin­nen zusam­men­ge­ru­fen und sei ver­schwun­den.
„Wie Recht sie damit hat­te!“ schloss der Gar­koch sei­ne Erzäh­lung. „Seit die­sem Tage habe ich kei­ne ruhi­ge Minu­te mehr. Die Erin­ne­rung an ihren Anblick macht mich vor Sehn­sucht ver­rückt und dass sie mich ver­ra­ten kön­ne, macht mich vor Angst bedrückt. Und wie oft hoff­te ich, dass sie end­lich den gefürch­te­ten Schritt tut und mich von die­sem Leben erlöst.“

Der Zau­be­rer sah ihn an und sah, dass er die Toch­ter des Kali­fen von gan­zem Her­zen lieb­te. Und dar­um sag­te er: „Was gibst du mir, wenn ich sie und dich zusam­men­brin­ge?“
„Das ist unmög­lich!“ schrie der Gar­koch. „Aber wenn es mög­lich wäre, über­gä­be ich mein Geld, mein Haus und mein Leben in dei­ne Hän­de.“
Dar­auf ant­wor­te­te der Zau­be­rer: „Steh auf und brin­ge mir eine Phio­le aus Metall, sie­ben Nadeln, ein Stück Aloe­holz, dazu etwas gekoch­tes Fleisch, eine Por­ti­on Sie­gel­lack, das Schul­ter­blatt und das Fell eines Scha­fes und sie­ben Sor­ten San­del­holz!“
Schon am nächs­ten Abend hat­te der jun­ge Mann die gewünsch­ten Din­ge beschafft. Der Zau­be­rer wies ihn an, sei­ne bes­ten Klei­der anzu­zie­hen, sich zu sal­ben und zu schmü­cken. Und als der Gar­koch fer­tig war, schrieb er Koran­ver­se auf das Schul­ter­blatt und wickel­te es in das Fell. Dann steck­te er die sie­ben Nadeln in das San­del­holz, gab sie zusam­men mit dem Fleisch in die Phio­le, ver­schloss sie mit dem Sie­gel­lack und ent­zün­de­te die Aloe. Dar­auf rief er mit lau­ter Stim­me: „Ich habe ange­klopft, an die Pfor­ten der Höl­le habe ich geklopft, die Dschin­ne habe ich geru­fen!“
Da stieg ein Rauch vor ihnen auf, wur­de dich­ter und aus dem Rauch trat ein Dschinn, der mit einer Ver­beu­gung nach den Wün­schen sei­nes Gebie­ters frag­te. Und der Zau­be­rer befahl ihm, den Gar­koch auf­zu­he­ben und dort­hin zu tra­gen, wohin sein Stre­ben und alle sei­ne Gedan­ken gin­gen. „Ich höre und gehor­che,“ ver­beug­te sich der Dschinn, nahm den Koch und trug ihn durch die Lüf­te bis in den Palast des Kali­fen und leg­te ihn in das Bett der schla­fen­den Prinzessin.

Die Prin­zes­sin erwach­te und wun­der­te sich, einen jun­gen Mann neben sich zu fin­den. Sie schau­te ihn an und bemerk­te, dass es der Mann war, den sie im Bazar über­rascht hat­te und dass er zit­ternd vor Furcht und doch mit allen Zei­chen der Sehn­sucht neben ihr lag. Und sie wun­der­te sich, hielt das alles aber für einen Traum und sag­te sich: „Was kann es scha­den, im Traum bei einem Man­ne zu lie­gen?“ Und sie nahm ihn in den Arm und auch bei ihm gewann die Lie­be Ober­hand über die Furcht und sie lagen bei­ein­an­der, bis der Dschinn ihn im Mor­gen­grau­en ent­führ­te und in sein Bett zurück­brach­te. Und als die Prin­zes­sin sich am Mor­gen allein wie­der­fand, war sie sich sicher, dass es zwar ein selt­sa­mer und wun­der­ba­rer, aber doch nichts wei­ter als ein Traum gewe­sen war, und das Wun­der­bars­te dar­an war, dass er sich nun Nacht für Nacht wie­der­hol­te, und jeden Abend, sobald sie sich zu Bett gelegt hat­te, war­te­te die Prin­zes­sin auf die­sen Traum und sie war­te­te nie­mals vergeblich.

Nun weiß man ja, wie sehr der Kalif Harun-ar-Rasch­id Lie­bes­ge­schich­ten jeder Art genoss, als galan­te Aben­teu­er, die er ver­klei­det in den Gas­sen Bagh­dads erleb­te, oder auch als pikan­te Erzäh­lun­gen im Kreis sei­ner Ver­trau­ten. Nur eine Sor­te sol­cher Geschich­ten war ihm zutiefst ver­hasst: Von Lie­bes­hän­deln sei­ner eige­nen Toch­ter woll­te er nie­mals hören müs­sen. Und damit er nie in die­se Ver­le­gen­heit kom­me, hat­te er ihr eine erfah­re­ne Frau zur Sei­te gege­ben mit der strik­ten Anwei­sung, Augen und Ohren offen zu hal­ten und jeden Ver­such einer männ­li­chen Annä­he­rung oder gar von Annä­he­rungs­ver­su­chen sei­ner Toch­ter im Kei­me zu ersti­cken und ihm zu hin­ter­brin­gen. Bekannt­lich aber lässt sich erfüll­te Lie­be kaum ver­ber­gen, und tat­säch­lich war es das auf­fal­len­de Leuch­ten ihrer Augen, das die Anstands­da­me miss­trau­isch mach­te. Sie begann die Prin­zes­sin auf Schritt und Tritt zu über­wa­chen, konn­te aber trotz ver­dop­pel­ter Anstren­gun­gen kei­ne Anzei­chen gehei­mer Ver­bin­dung, kei­ne ver­däch­ti­gen Bli­cke, kei­ne ver­steck­ten Bot­schaf­ten ent­de­cken. Aber ihr Ver­dacht blieb, und so schlich sie sich eines Nachts ins Schlaf­zim­mer der Prin­zes­sin. Und was muss­te sie dort erbli­cken? Einen jun­gen Mann, der in den Armen der glück­lich lächeln­den Prin­zes­sin ruhte.

2.
Die Prin­zes­sin wird nicht nur als bezau­bernd und kühn, son­dern auch als höchst intel­li­gent beschrie­ben, und dar­um ist es unwahr­schein­lich, dass sie nicht schon längst die wah­re Natur ihrer Träu­me durch­schau­te. Wahr­schein­li­cher ist, dass sie die Behaup­tung, alles nur für einen Traum gehal­ten zu haben, nur benutz­te, um sich vor dem Zorn ihres auf­ge­brach­ten Vaters zu schüt­zen. Nicht dass Harun-ar-Rasch­id ihr das so ein­fach abge­nom­men hät­te! Aber es blieb ein uner­klär­li­ches Geheim­nis, wie der heim­li­che Lieb­ha­ber aus dem von Wachen umstell­ten Schlaf­zim­mer hat­te ent­kom­men kön­nen. Ers­tens reiz­ten Geheim­nis­se die Neu­gier des Kali­fen, und zwei­tens fürch­te­te er, dass bald der nächs­te Lieb­ha­ber sich ein­stel­len wür­de, wenn das Schlupf­loch nicht ver­stopft wür­de. In der fol­gen­den Nacht ließ er den dreis­ten Lieb­ha­ber aus dem Bett sei­ner Toch­ter holen und herrsch­te ihn an, durch wel­che Machen­schaf­ten er den Wachen ent­wischt sei. Und als der zu Tode erschro­cke­ne Gar­koch zöger­te, sei­nen Hel­fer zu nen­nen, ver­sprach er sogar, sein Leben zu scho­nen, wenn er nur die Wahr­heit geste­he. Als der jun­ge Mann noch immer schwieg, wur­de der Hen­ker geholt, der ihm das blan­ke Schwert auf den Nacken leg­te und nur auf ein Zei­chen des Kali­fen war­te­te, um ihm den Kopf vom Rumpf zu tren­nen. Die Käl­te des Stahls weck­ten in dem Gar­koch die wider­strei­ten­den Gefüh­le, die der Dolch der Prin­zes­sin in ihm aus­ge­löst hat­te, er brach in Trä­nen aus und berich­te­te von sei­ner Begeg­nung mit dem Per­ser und dass des­sen dienst­ba­re Geis­ter ihn Nacht für Nacht durch die Lüf­te zur Gelieb­ten führ­ten und wie­der weg­bräch­ten. Der Kalif ließ auf der Stel­le auch den Per­ser ver­haf­ten und vor sich brin­gen.

Lächelnd trat der Zau­be­rer vor den Beherr­scher der Gläu­bi­gen, der sich ärger­te, dass die­ser Frem­de weder Furcht noch Ehr­erbie­tung zeig­te. „Du bist des Todes“, herrsch­te er ihn an. „Aber ehe ich dich zur Höl­le schi­cke, beant­wor­te mir eine Fra­ge: Ist es wahr, dass du über Geis­ter gebie­test, die die­sen Mann durch die Lüf­te zu tra­gen ver­mö­gen? Und über wel­che andern Geis­ter ver­fügst du und was kannst du mit ihnen aus­rich­ten?“
„Erlaubt mir, o Beherr­scher der Gläu­bi­gen“, lächel­te der Per­ser, „Euch, ehe Ihr mich und die­sen unschul­di­gen jun­gen Mann zu Tode bringt, noch eini­ge Kost­pro­ben mei­ner Kunst zu geben.“
Harun-ar-Rasch­id, der von Natur aus neu­gie­rig war und immer erpicht dar­auf von selt­sa­men Küns­ten und Kunst­fer­tig­kei­ten zu erfah­ren, war nur all­zu bereit, ihm die­se Bit­te zu erfül­len. Da bat der per­si­sche Zau­be­rer um eine Schüs­sel, füll­te in sie gera­de so viel Was­ser, dass der Boden bis zur Stär­ke eines Dau­mens bedeckt war, und stell­te die­se Schüs­sel vor den Beherr­scher der Gläu­bi­gen hin. Er ver­neig­te sich und sag­te: „Geruht in die­se Schüs­sel zu sprin­gen und Ihr wer­det Wun­der erle­ben, wie sie Eure Augen noch nie gese­hen haben noch jemals wie­der sehen werden.“

Harun-ar-Rasch­id blick­te auf die Schüs­sel, dann auf den Per­ser und wie­der auf die Schüs­sel, und es war ihm anzu­se­hen, wie sehr Neu­gier und Vor­sicht in sei­nem Gesicht mit­ein­an­der strit­ten. Schließ­lich rief er laut nach sei­nem Wesir, Dscha­far dem Bar­me­ki­den, und sag­te, als die­ser Böses ahnend vor­trat: „Sprin­ge in die­se Schüs­sel, und berich­te mir, wel­che Wun­der du siehst und was du Uner­hör­tes erlebst!“
Dscha­far blick­te auf die Schüs­sel, dann zu Harun-ar-Rasch­id und wie­der auf die Schüs­sel. Was blieb ihm ande­res übrig als dem Befehl des Beherr­schers der Gläu­bi­gen zu fol­gen? Dar­um streif­te er sein Ober­ge­wand ab, beug­te sich vor, und kaum hat­te sein Haupt das Was­ser der Schüs­sel berührt, ver­schwand er voll­kom­men dar­in. Und das Was­ser schloss sich über ihm und glät­te­te sich, als hät­te es nie einen Men­schen verschluckt.

3.
Kaum aber war der Wesir in der Schüs­sel unter­ge­taucht, fand er sich mit­ten auf dem Meer wie­der. Hohe Wel­len roll­ten auf ihn zu, schlu­gen über ihm zusam­men und droh­ten ihn in die Tie­fe zu zie­hen. Ver­zwei­felt schwamm er um sein Leben, aber so ent­schlos­sen er auch gegen die Wogen kämpf­te, bald muss­te er bemer­ken, dass sei­ne Kräf­te nach­lie­ßen und er ver­ur­teilt war, den Fischen zum Fraß zu die­nen. Da sah er plötz­lich, auf einem Wogen­kamm um sich bli­ckend, ein Fischer­boot zwi­schen den Wel­len tan­zen. Mit sei­ner letz­ten Kraft schrie er gegen das tosen­de Meer und wink­te dem Fischer zu, und tat­säch­lich, das Boot kam näher, ein Netz wur­de über ihm aus­ge­wor­fen und im Netz gefan­gen wur­de er an Bord gezogen.

Im Boot saß ein grob­schläch­ti­ger jun­ger Mann, der den Wesir, kaum hat­te er ihn über die Bord­wand gehievt, mit allen Zei­chen des Ent­set­zens anstarr­te. Der erschro­cke­ne Blick des Fischers ver­an­lass­te den Wesir an sich selbst her­un­ter­zu­bli­cken und mit selt­sa­mem Stau­nen stell­te er fest, dass ihm Brüs­te gewach­sen waren. Und als er die Algen ent­fer­nen woll­te, die sich im Was­ser um sein Gesicht gelegt haben muss­ten, bemerk­te er, dass es nas­se Haar­sträh­nen waren und dass sein Bart ver­schwun­den war und er lan­ge Haa­re hat­te, wie sie Frau­en tra­gen. Ehe er dar­über nach­den­ken konn­te, ver­fiel er schon in den nächs­ten Schre­cken. Denn jetzt schrie ihn der Fischer an: „Du bist eine Nixe! Nixen brin­gen Unglück.“ Und er stürz­te sich auf ihn, um ihn in die tosen­de See zurück­zu­wer­fen.
„Nein“, schrie der Wesir auf. „Ich bin wie du ein Mensch. Ver­scho­ne mich!“
„Das sagen sie alle. Dar­auf fall ich nicht rein!“ keuch­te der Fischer. Und er ver­such­te den Wesir, der sich ver­zwei­felt wehr­te, aus dem Boot zu sto­ßen. Und als der Fischer ihn schon zur Hälf­te über die Bord­wand gehievt hat­te, gab die Angst dem Wesir ein zu ver­spre­chen: „Wenn du mich leben lässt, wer­de ich dich reich machen.“
Der Fischer, der schon davon gehört haben moch­te, dass Nixen auch manch­mal Men­schen beglü­cken, ließ den Wesir ins Boot zurück­fal­len, aber er ver­schnür­te sei­ne Beu­te mit dop­pel­ten und unlös­ba­ren Kno­ten und leg­te sie auf dem Boden des Boo­tes ab, wäh­rend er immer wie­der miss­trau­isch das gefähr­li­che Paket beob­ach­tend zum Ufer ruderte.

Am Ufer war­te­te der Vater des Fischers, und der Sohn rief ihm zu: „Vater, ich habe einen Glücks­tag heu­te: Ich habe eine Nixe gefan­gen, die mich reich machen wird.“
„Nein, sie bringt dir nur Unglück! Schlag sie tot!“ rief der Vater, und stürm­te mit einem mäch­ti­gen Knüp­pel bewaff­net ins Boot, um die Nixe auf der Stel­le umzu­brin­gen. Wie gelähmt von die­sem neu­en Unglück starr­te der Wesir auf den Vater des Fischers, der zum Schlag aus­hol­te, als des­sen Knüp­pel wie durch ein Wun­der hoch erho­ben in der Luft ste­hen blieb, sich die Augen des Alten vor Freu­de wei­te­ten und er aus­rief: „Du hast wirk­lich einen Glücks­tag, Sohn! Das ist kei­ne Nixe, das ist die Prin­zes­sin! Lass sie uns zum Sul­tan brin­gen und uns eine fürst­li­che Beloh­nung ver­die­nen!“
Der Wesir, von die­ser neu­en Wen­dung der Din­ge über­rascht, hüte­te sich, den Alten über den Irr­tum auf­zu­klä­ren, der ihm vor­erst das Leben geret­tet hat­te, und ließ alles schweig­sam über sich erge­hen, als ihn die bei­den Fischer vor­sich­tig und gera­de­zu zuvor­kom­mend aus dem Boot hoben und das zusam­men­ge­schnür­te Bün­del auf den Rücken eines Esels leg­ten, dem sie eine Bett­de­cke über­ge­wor­fen hat­ten, damit die Prin­zes­sin nicht zu sehr durch­ge­schüt­telt würde.

Sie hat­ten es nicht weit zum Palast des Sul­tans, der über jene Insel herrsch­te, und nach­dem sie sich den Wachen erklärt hat­ten, wur­den sie mit­samt ihrer kost­ba­ren Beu­te vor den Herr­scher gebracht. Der Sul­tan ließ zunächst das Gesicht des Wesirs voll­stän­dig aus dem Netz befrei­en. Lan­ge sah er es for­schend an. Plötz­lich schwol­len ihm die Zor­nes­adern und er brüll­te, woher sie die Frech­heit genom­men habe, sich sei­nen Anwei­sun­gen zu wider­set­zen und sich aus dem Palast zu ent­fer­nen, den er ihr zur Woh­nung ange­wie­sen hat­te.
Der Wesir war ver­wirrt, aber er neig­te das Haupt, wie es sich für einen Höf­ling im Ange­sicht sei­nes Herr­schers gehört, und äußer­te die Hoff­nung, der Herr­scher möge ihm ver­zei­hen, dass er so dreist sei, sich das Wort zu neh­men. Aber allem Anschein nach lie­ge hier eine unglück­li­che Ver­wechs­lung vor. Denn er sei kei­nes­wegs eine Frau, und schon gar nicht die Toch­ter des Herr­schers, son­dern ein Wesir Harun-ar-Rasch­ids, des Beherr­schers der Gläu­bi­gen, der durch die gott­lo­sen Machen­schaf­ten eines per­si­schen Zau­be­rers in jenes toben­de Meer gera­ten sei, aus dem ihn der Fischer gezo­gen habe.

Die­se Äuße­rung ver­fehl­te nicht die Wir­kung auf den Sul­tan: Er kniff die Augen zusam­men, starr­te sei­ne ver­meint­li­che Toch­ter an und sah sich dann Hil­fe suchend nach sei­nen Minis­tern um.
„Die Stra­pa­zen der Flucht haben ihren Ver­stand ver­wirrt,“ flüs­ter­te einer der Rat­ge­ber.
Der Sul­tan nick­te und schien zu über­le­gen. Doch plötz­lich pol­ter­te er wie­der los: „Ver­rückt oder nicht, was küm­mert mich das! Ich habe einen Eid geschwo­ren, sie dem zum Man­ne zu geben, der sie mir lebend zurück­bringt. Dar­um ver­hei­ra­tet sie mit die­sem Fischer! Schafft sie weg, und dass sie mir nie mehr unter die Augen komme!“

Der Wesir wur­de ins Frau­en­ge­mach gebracht und dort end­lich aus dem Fischer­netz befreit. Wie staun­te er, als er sein nack­tes Spie­gel­bild erblick­te! Er fand sich so zau­ber­haft schön und ver­füh­re­risch, dass in sei­nem männ­li­chen Her­zen ein Begeh­ren nach sich sel­ber zu kei­men begann. Aber schon kamen die Die­ne­rin­nen und wickel­ten sei­nen Leib in die Lum­pen einer Fischer­frau, brach­ten ihn zu den war­ten­den Fischers­leu­ten und leg­te sei­ne zar­te Hand in die ris­si­ge Pran­ke des grob­schläch­ti­gen Fischer­soh­nes.
Und im Her­zen des Wesirs wuchs Zorn und Wut über die Här­te sei­nes ver­meint­li­chen Vaters, und er frag­te sich: „Soll ich mit die­sem herr­lichs­ten Leib, den je eine Frau beses­sen hat, einem schwach­sin­ni­gen Fischer zu Diens­ten sein?“ Und er beschloss, die­ses Schick­sal von sich abzu­wen­den. Als die Fischer ihn in ihre Hüt­te brach­ten, bat er sei­nen toll­pat­schi­gen Bräu­ti­gam ihm zu gestat­ten, am Abend am Ufer des Mee­res spa­zie­ren zu gehen. Und als der arg­lo­se Bräu­ti­gam ihn gehen ließ, wan­der­te er am Ufer ent­lang, bedach­te sein selt­sa­mes Schick­sal und sag­te sich: „Mein Gott, in was für eine Geschich­te bin ich gera­ten?“ Und mit dem Mut der Ver­zweif­lung stieg er auf die höchs­te Klip­pe und stürz­te sich in die tosen­de Brandung.

Aber kaum waren die Wel­len über ihm zusam­men­ge­schla­gen, tauch­te sein Kopf aus der Schüs­sel auf und er stieg voll­ends her­aus, rieb sich die Augen und blick­te ver­wirrt um sich. Has­tig frag­te der Kalif: „Nun, wie war es? Was hast du gese­hen und wel­che Wun­der hast du erlebt?“
Der Wesir schüt­tel­te die Qual und die Angst ab, die er noch eben gefühlt hat­te, und ant­wor­te­te: „Unbe­schreib­lich! Stei­ge auch du in die Schüs­sel, o Beherr­scher der Gläu­bi­gen, und du wirst noch uner­hör­te­re Wun­der erle­ben!“ Da streif­te auch der Kalif sein Ober­ge­wand ab und neig­te sein Haupt, bis es das Was­ser der Schüs­sel berühr­te, und kaum hat­te er es berührt, ver­schwand er voll­kom­men dar­in. Das Was­ser schloss sich über ihm und glät­te­te sich, als hät­te es nie­mals einen Men­schen verschluckt.

4.
Kaum hat­te sich das Was­ser in der Schüs­sel über dem Kali­fen geschlos­sen, tauch­te er in einem präch­ti­gen weit­läu­fi­gen Was­ser­bas­sin auf. Jun­ge Frau­en umstan­den das Becken, eine bezau­bern­der als die ande­re, klatsch­ten in die Hän­de und rie­fen: „Erstaun­lich, wie lan­ge ihr tau­chen könnt! Fast fürch­te­ten wir, Ihr wür­det nie mehr auf­tau­chen. Aber nun steigt her­aus, damit wir Euch pfle­gen und sal­ben kön­nen, denn vom lan­gen Ver­wei­len im Was­ser könn­te Eure Haut Scha­den neh­men.“
„Wer seid Ihr?“ ver­wun­der­te sich der Kalif. „Seid Ihr Feen oder seid Ihr Dschin­ne?“
„Dschin­ne? Feen?“ kicher­ten die Frau­en. „Ihr macht Euch lus­tig! Wir sind nichts wei­ter als die Die­ne­rin­nen unse­rer Gebie­te­rin.“
„Und wer ist eure Gebie­te­rin?“ forsch­te der Kalif wei­ter.
„Unse­re Gebie­te­rin?“ prus­te­ten die Frau­en los. „Seht her! Es ist die, auf die wir mit den Hän­den zei­gen.“ Und sie streck­ten die Hän­de aus und alle zeig­ten sie auf den Kali­fen, der noch durch das Was­ser des Beckens schwamm. Und der Kalif ver­wun­der­te sich noch mehr, und er begann sich unter dem Was­ser abzu­tas­ten und bemerk­te, dass er sich eine Frau ver­wan­delt hat­te. Noch zöger­te er, ob er vor den jun­gen Frau­en nackt aus dem Becken stei­gen sol­le, doch dann sag­te er sich, dass sein Leib nicht anders sei als ihrer und kam her­aus. Und wäh­rend sie ihn mit Duft­wäs­sern ein­rie­ben, erblick­te er sein Eben­bild im Spie­gel und sah, dass es hin­rei­ßen­der und begeh­rens­wer­ter war als alle Frau­en, die sein Auge je erblickt hat­ten. Und der Kalif lach­te und gro­ße Freu­de kam über ihn, denn er sag­te sich: Nach­dem du so oft das Lie­bes­ver­lan­gen in einem männ­li­chen Kör­per gespürt und gestillt hast, wird es dir nun auch ver­gönnt sein, das Begeh­ren und die Befrie­di­gung einer Frau zu erfah­ren. Die­ser Gedan­ke beflü­gel­te ihn, und hef­ti­ge Neu­gier kam über ihn, so dass er beschloss, sich dem ers­ten Man­ne zu über­las­sen, der ihm begeg­nen würde.

Aber bald muss­te er fest­stel­len, dass der Palast, in den es ihn ver­schla­gen hat­te, auf einer klei­nen vom Meer umge­be­nen Insel lag, und so sehr er ihn auch auf der Suche nach einem Mann durch­streif­te und alle Win­kel durch­stö­ber­te, konn­te er noch nicht ein­mal die Spur eines männ­li­chen Wesens ent­de­cken. Und so frag­te er eines Tages sei­ne Die­ne­rin­nen, ob und wes­halb es in die­sem Palast kei­ne Män­ner gebe.
„Män­ner?“ frag­ten sie mit sicht­li­chem Schre­cken und gespiel­tem Erstau­nen zurück. „Was ist das?“
Es kos­te­te den Kali­fen Zurück­hal­tung zu wah­ren, und er erklär­te: „Men­schen, mit denen wir Frau­en uns in Lie­be ver­ei­ni­gen und von denen wir Kin­der empfangen.“

Die Die­ne­rin­nen schüt­tel­ten nur die Köp­fe und mein­ten, Kin­der emp­fan­ge man doch, wenn man bei Voll­mond in der See bade. „Die See­len der Kin­der leben als Fische im Meer. Wenn sie zu Men­schen wer­den wol­len, suchen sie sich unter den Baden­den eine Mut­ter aus und schlüp­fen ihr in den Bauch. So ist das hier immer gewe­sen.“
Was soll­te er mit die­ser Aus­kunft anfan­gen? Ver­är­gert wand­te sich der Kalif ab und schwieg. Das Rät­sel lös­te sich in der fol­gen­den Nacht, als plötz­lich eine alte Frau an sei­nem Bett stand, ihn sanft weck­te und ihn bat, sie möge aus Lie­be zu ihrer alten Amme, die sie doch schon als Säug­ling auf den Hän­den getra­gen und mit der Milch ihrer Brust genährt habe, nie mehr zu ihren Die­ne­rin­nen von Män­nern oder irgend­et­was Männ­li­chem reden, denn sie brin­ge sie damit in Lebens­ge­fahr. „Ich dage­gen bin alt und ste­he schon mit einem Fuß im Gra­be, dar­um wage ich es, offen zu dir zu spre­chen.“
Auf sein Nach­fra­gen erfuhr der Kalif, dass der Sul­tan die­ser Insel bei der Geburt sei­ner Toch­ter einen hei­li­gen Eid geschwo­ren hat­te, sie sol­le kein männ­li­ches Wesen erbli­cken, ehe er selbst geruh­te, sie einem Mann zur Frau zu geben. Und dar­um hat­te er auf die­ser ein­sa­men Insel einen Palast errich­ten las­sen, den außer ihm kei­nes Man­nes Fuß je betre­ten durf­te, und er hat­te allen Die­ne­rin­nen bei Todes­stra­fe ver­bo­ten, zu ihr je von Män­nern oder allem Männ­li­chem zu reden.

Der Kalif, der nun begriff, dass er durch die Machen­schaf­ten des per­si­schen Zau­be­rers in den Leib die­ser unglück­li­chen Prin­zes­sin gefah­ren war, spür­te bei die­sen Wor­ten wie­der bren­nen­de Neu­gier danach, zu erfah­ren, wie sich die Lie­be im Kör­per einer Frau anfüh­le, und Zorn über die Anwei­sun­gen die­ses anma­ßen­den Vaters stieg in ihm auf. Und er beschloss ihm zu trot­zen, begann den Tag über auf der Ter­ras­se des Palas­tes zu sit­zen, sehn­suchts­voll über das wei­te Meer zu bli­cken und dar­über nach­zu­den­ken, wie er die­sem Gefäng­nis ent­rin­nen kön­ne. Und als eines Tages ein Segel am Hori­zont auf­tauch­te, wuss­te er plötz­lich, wie er es anstel­len muss­te. Und er befahl drei Tücher an der Spit­ze des Palas­tes auf­zu­hän­gen. Was aber nur er selbst wuss­te und kei­ne sei­ner Die­ne­rin­nen ahnen konn­te, die die Regeln der See­fahrt nicht kann­ten: Die Anord­nung die­ser Tücher waren das Signal, mit dem die See­leu­te höchs­te Not anzei­gen, und das jeden See­mann ver­pflich­tet, sich dort­hin zu bege­ben und Hil­fe zu leis­ten. Und tat­säch­lich, bald wen­de­te sich ein Segel und nahm Kurs auf die Insel. Und als das Schiff im Begriff stand anzu­le­gen, befahl der Kalif den ver­schreck­ten Die­ne­rin­nen, sich im Palast zu ver­ste­cken und unter kei­nen Umstän­den den frem­den See­leu­ten unter die Augen zu tre­ten. Aber was muss­ten die Die­ne­rin­nen aus ihren Ver­ste­cken her­aus beob­ach­ten? Kaum hat­te der Kiel des Schif­fes den Strand berührt, lief die ihnen anver­trau­te Prin­zes­sin zum Strand, bestieg das Schiff, das wie­der Segel setz­te und davon­fuhr. Und um ihr Leben zit­ternd benach­rich­tig­ten die zurück­ge­las­se­nen Frau­en den grau­sa­men Vater, dass sei­ne Toch­ter auf einem frem­den Schiff ent­flo­hen war.

Dem Kali­fen aber hat­te das Herz gelacht, als er den Fuß auf die Schiffs­plan­ken setz­te und die von der Son­ne gebräun­ten und von Anstren­gung schwit­zen­den Män­ner betrach­te­te. Und ins­be­son­de­re war es der kraft­vol­le und jugend­li­che Kapi­tän, der die Regun­gen in sei­nem weib­li­chen Kör­per her­vor­rief, die er sich so sehn­süch­tig gewünscht hatte.

Inzwi­schen aber hat­te der Sul­tan in aller Eile eine Flot­te rüs­ten las­sen, die das Fahr­zeug mit der ent­führ­ten Prin­zes­sin ein­ho­len und auf­brin­gen soll­ten, und kaum hat­te der Kalif die ers­ten Schrit­te im Lie­bes­spiel einer Frau gemacht, da benach­rich­tig­ten die Matro­sen den Kapi­tän, dass sie von einer feind­li­chen Flot­te ein­ge­holt und umzin­gelt wür­den. Der Kapi­tän, der mir einem Blick erfass­te, auf wel­che Beu­te sie es abge­se­hen hat­te, befahl kalt­blü­tig und ohne sich von ihrem Jam­mern und Dro­hen erwei­chen zu las­sen, die frem­de Schö­ne über Bord zu wer­fen, und such­te mit sei­nem leich­ten Schiff und dank güns­ti­ger Win­de das Weite.

Wütend über die Nie­der­träch­tig­keit des Kapi­täns und ver­zwei­felt um sein Leben kämp­fend fand sich der Kalif von haus­ho­hen Wel­len hin- und her­ge­wor­fen, und obwohl er all sei­ne Kraft und sei­nen Mut zusam­men­nahm, spür­te er doch, dass er gegen den See­gang nicht ankam, ihn das Meer bald in die Tie­fe zie­hen und er zum Fraß der Fische wer­den wür­de. „Mein Gott“, stöhn­te er, „in was für eine Geschich­te bin ich gera­ten?“ Und im glei­chen Augen­blick, in dem er von den Wogen über­rollt wur­de, tauch­te sein Kopf aus der Schüs­sel auf und er stieg voll­ends her­aus, rieb sich die Augen und blick­te ver­wirrt um sich.

5.
Vor ihm aber stand Dscha­far, und der Kalif glaub­te ein Zwin­kern in sei­nen Augen zu bemer­ken, als der Wesir ihn frag­te: „War es nicht erstaun­lich und ganz wun­der­bar, was du erle­ben durf­test, o Beherr­scher der Gläu­bi­gen?“
„In der Tat,“ nick­te der Kalif. „Mehr als erstaun­lich und wun­der­ba­rer als wun­der­bar.“ Und er nahm den Bar­me­ki­den auf die Sei­te, und bedroh­te ihn bei Stra­fe sei­nes Lebens, die Wahr­heit zu sagen und nichts als die Wahr­heit. Und der Wesir gestand ihm, was er als ver­meint­li­che Toch­ter jenes grau­sa­men Sul­tans erlit­ten hat­te, und da gestand ihm auch der Beherr­scher der Gläu­bi­gen, dass ihm die trau­ri­gen Erleb­nis­se eben der glei­chen Toch­ter wider­fah­ren waren, und sie bemerk­ten, dass ihrer wun­der­sa­men Erleb­nis­se zur glei­chen Geschich­te gehörten.

Dar­auf­hin ließ der Kalif sei­ne Toch­ter rufen, und er frag­te sie vor dem Ange­sicht des Zau­be­rers, ob sie die­sen jun­gen Mann, sei­nes Zei­chens Gar­koch im Gro­ßen Bazar von Bag­dad zum Mann begeh­re. Und als sie ein­wil­lig­te, wur­de zwi­schen ihnen eine Hoch­zeit gerich­tet, und sie leb­ten glück­lich und in Freu­den mit­ein­an­der, bis der zu ihnen kam, der aller Freu­de ein Ende macht und alles Irdi­sche von der Erde hinwegnimmt.

Freie Nach­er­zäh­lung nach ‚The tale of the war­lock and the young cook of Bagh­dad‘, in: ‚The book of the thousand nights and a night‘. ‚Sup­ple­men­tal nights‘ vol. 7, Tansl. R.F. Bur­ton, Lon­don 1894-97, p. 121-142