Meine Geschichte beginnt mit einer Kuh, die über eine blühende Wiese stapfte. Mitten auf der Wiese blieb sie stehen, ließ einen Kuhfladen fallen und stapfte weiter.
Während der frische Kuhfladen dort vor sich hin dampfte, kamen drei Feen vorbei.
„Ein dampfender Kuhfladen mitten auf dieser blühenden Wiese!“ meinte die erste Fee. „Das passt doch nicht zusammen! Ich werde diesen hässlichen Kuhfladen in ein bezauberndes Mädchen verwandeln.“ Sie hob ihr Zauberstäbchen und plötzlich stand dort, wo der dampfende Kuhfladen gelegen hatte, ein bezauberndes Mädchen.
„Wie hinreißend sie aussieht!“ staunte die zweite Fee. „Aber es fehlt ihr noch eine Kleinigkeit: Schmuck, um ihre bezaubernde Erscheinung zur vollen Geltung zu bringen. Ich werde ihr einen herrlichen Ring an den Finger zaubern.“ Sie hob ihr Zauberstäbchen und schon trug das bezaubernde Mädchen einen herrlichen Ring am Finger, einen in Gold gefassten geheimsnisvoll leuchtenden Lapislazuli.
Doch die dritte Fee ärgerte sich über ihre Kolleginnen. „Scheiße bleibt Scheiße!“ knurrte sie. „Und darum soll, wer immer diesen Ring am Finger trägt, nichts weiter über die Lippen bringen als ‚Scheiße, Scheiße!’ Basta!“ Auch sie hob ihr Zauberstäbchen, dann ging sie hinter den andern Feen her, und sie ließen das bezaubernde Mädchen mit ihrem kostbaren Ring auf der Wiese zurück.
Doch lange stand es dort nicht, denn kurz danach kam ein Königssohn in seiner Kutsche vorübergefahren. Er erblickte das bezaubernde Mädchen, stieg aus, verbeugte sich und fragte sie nach ihrem Namen.
Und was antwortete die bezaubernde Schöne? „Scheiße, Scheiße!“
Das fand er zwar etwas merkwürdig, aber weil sie so bezaubernd schön war, fragte er weiter, was sie da wohl ganz allein auf der wunderschönen Wiese treibe.
Und was antwortete die bezaubernde Schöne? „Scheiße, Scheiße!“
Wäre sie nicht so schön gewesen, hätte er sie wahrscheinlich auf ihrer Wiese stehen lassen. Aber sie war einfach zu bezaubernd! Und darum fragte sie der Königssohn, ob sie nicht seine Frau werden möchte.
Und was antwortete die bezaubernde Schöne? „Scheiße, Scheiße!“
Was sollte er von dieser Antwort halten? Er tat, als hätte er das überhört, nahm die bezaubernde Schöne an der Hand und brachte sie in der Kutsche zu seinem Schloss. Dort stellte er sie seiner Mutter vor und erklärte ihr, er gedenke, dieses Mädchen zu heiraten.
Die Mutter fragte die bezaubernde Schöne nach ihrem Namen. Und was musste sie hören? „Scheiße, Scheiße!“ Erst glaubte sie, sich verhört zu haben, und wiederholte die Frage. Und was musste sie wieder hören? „Scheiße, Scheiße!“
Was waren denn das für seltsame Manieren? Und wo kam sie überhaupt her? Um ihr genauer auf den Zahn zu fühlen, fragte die Mutter, ob sie eine Prinzessin sei und in welchem Land ihr Vater herrsche. Und was musste sie hören? „Scheiße, Scheiße!“
„Schönheit hin, Schönheit her!“ erklärte sie ihrem Sohn. „Aber sie passt einfach nicht zu uns, sie hat keine Manieren!“
Der Königssohn aber war ganz anderer Meinung. Er wollte lieber eine bezaubernd schöne als eine Frau mit Manieren haben. „Die und keine andere!“ Darum blieb die bezaubernde Schöne im Schloss und es wurde der Tag der Hochzeit festgesetzt.
Am Tag der Hochzeit führte der Königssohn seine Braut in die Kirche. „Willst du diesen Königssohn zum Manne nehmen und ihm in Treue verbunden sein, bis dass der Tod euch scheidet?“ fragte sie der Pfarrer.
Und was antwortete sie? „Scheiße, Scheiße!“
Sie hatten dem Pfarrer natürlich längst gesteckt, nichts auf die Reden der Braut zu geben. Deswegen tat der Pfarrer, als hätte sie Ja gesagt, und erklärte die Beiden zu Mann und Frau. Dann ging der Küster mit dem Klingelbeutel herum und alle Hochzeitsgäste warfen Münzen hinein. Die gute Braut besaß aber keine Münze einstecken. Sie schämte sich aber vor den Leuten, den Klingelbeutel vorbeigehen zu lassen, ohne etwas zu geben. Deshalb zog sie ihren Ring vom Finger und ließ ihn in den Klingelbeutel fallen.
Das aber hatte der Pfarrer beobachtet, winkte den Küster zu sich, fischte den kostbaren Ring aus dem Klingelbeutel und steckte ihn an seinen Finger. Dann stieg er auf die Kanzel, um für das jungvermählte Paar zu predigen. Und was predigte er? „Scheiße,. Scheiße, Scheiße! Scheiße, Scheiße! Scheiße, Scheiße, Scheiße!“ Und so weiter, und so weiter.
Da hättet ihr das Gelächter der Hochzeitsgäste hören sollen! Die ganze Hochzeitsgesellschaft lief lachend aus der Kirche. Nur der Pfarrer verstand die Welt nicht mehr. Die dritte Fee hatte mit ihrem Zauberspruch nämlich auch festgelegt, dass die Ringträger gar nicht bemerkten, dass sie nur Scheiße redeten. Der Pfarrer hatte deshalb keine Ahnung, was er von sich gegeben hatte. Kopfschüttelnd folgte er den Gästen, die sich im Schloss schon zum Hochzeitsschmaus niederließen.
Beim Hochzeitsschmaus gingen Serviererinnen herum und fragten die Herrschaften nach ihren Wünschen.
Und was wünschte sich der Pfarrer? „Scheiße! Scheiße!“
Die Serviererin lief in die Küche und fragte den Koch: „Haben wir auch Scheiße auf dem Speiseplan?“
„Was fällt dir ein?“ fauchte der Koch und verpasste ihr eine Backpfeife.
„Was kann ich dafür, dass Hochwürden Scheiße bestellt?“ beschwerte sich das Mädchen.
„So ein Blödsinn!“ knurrte der Haushofmeister und ging in den Festsaal, um den Pfarrer persönlich nach seinen Wünschen zu fragen.
Und was hörte er: „Ein Rumpsteak, aber gut durchgebraten!“
Was glaubt ihr, warum der Pfarrer nun wieder ganz normal redete wie du und ich?
Er war nach der Bestellung bei der Servierin kurz auf der Toilette gegangen, hatte dort den Ring vom Finger gezogen, um sich die Hände zu waschen, und dabei den kostbaren Ring am Waschbecken liegen lassen.
Eigentlich hätte der jung verheiratete König glücklich darüber sein müssen, dass er mit seiner frisch vermählten Frau nun reden konnte wie mit jedem anderen Menschen auch. Wäre da nicht das Gerede gewesen. Nicht nur, dass die Hochzeitsgäste lachend aus der Kirche gelaufen waren, die gesamte Bevölkerung machte sich hinter vorgehaltener Hand darüber lustig. Und dann wurde die Nachricht davon auch in in den umliegenden Königreichen verbreitet. Für den jungen König ein Desaster, ja ein furchtbarer Skandal! Wie sollte er sich noch unter seinesgleichen blicken lassen?
Der König ließ den Pfarrer vorladen. „Hochwürden, was fällt Ihnen ein, an meinem Ehrentag nur von Scheiße zu reden?“
Hochwürden fiel aus allen Wolken. Er glaubte doch eine würdige und dem feierlichen Anlass entsprechende Predigt gehalten zu haben. Als ihm der König mit Absetzung und Gefängnis drohte, berichtete er, dass er einen Ring im Klingelsack fand und sich den an den Finger steckt.
Da ging dem König ein Licht auf: Er suchte seine Angetraute auf und blickte verstohlen auf ihren nackten Ringfinger. Dann meinte er: „Meine Liebe, wie bezaubernd siehst du wieder aus! Aber noch bezaubernder würdest du wirken, hättest du auch deinen wunderbaren Lapislazuli-Ring am Finger.“
Die Königin zierte sich erst, schließlich gestand sie ihm, dass sie sie den Ring in den Klingelsack geworfen hatte.
Der König beschloss, die Spur des unseligen Rings zu verfolgen um ihn ein für allemal aus dem Verkehr zu ziehen. Darum ließ er verkünden, dass jeder Mann und jede Frau, die in Zukunft Scheiße redeten, sofort und ohne Rücksicht der Polizei zu melden sind.
Schon am nächsten Tag kam die Servierin, die der Koch geschlagen hatte, zur Polizei und berichtete: „Soeben habe ich unseren Koch gefragt, was er in dem Topf kocht, den er mit dem Kochlöffel umrührte. Und was antwortet er mir: ‚Scheiße, Scheiße.’“
Auf der Stelle stellte der Polizeichef den Koch zur Rede. Aber was hörte er von ihm: „Unsinn! Ich habe auf den besonderen Wunsch seiner Majestät soeben eine provenzalische Fischsuppe gekocht.“
Hatte das Serviermädchen gelogen? Oder wenn es stimmte, wie war der Koch nur an den verhexten Ring gekommen? Und warum redete er wieder ganz vernünftig, als er befragt wurde? Und warum wurde der verhexte Ring weder bei einer Leibesvisitation noch bei einer Hausdruchsuchung des Kochs aufgefunden?
Der Koch fand den Ring am Rand des Waschbeckens in der Toilette und steckte ihn in die Hosentasche. Erst am nächsten Tag, als er ganz allein in der Küche hantierte, entdeckte er ihn wieder, steckte ihn an seinen Finger. Leider hatte er einen sehr dünnen Ringfinger und während er die Suppe einrührte, glitt der verhexte Ring von seinem Finger und landete in der Suppe, ohne dass er es bemerkte.
Zwei Tage später meldete sich ein Juwelier bei der Polizei: „Mir ist heute nacht beim Schlafen in einem Gasthof ein kostbarer Ring gestohlen worden.“
Ein Ring? Da wurde die Polizei hellhörig und forschte gleich nach, wie der Ring aussah. Was der Juwelier angab, entsprach genau der Beschreibung in dem königleichen Dekret: Ein in Gold gefasster Lapislazuli.
„Wie ist dieses Schmuckstück in Ihren Besitz gekommen?“
Der Juwelier zögerte auffällig, ehe er mit der Antwort herausrückte: „Ein Familienerbstück. Sie verstehen meinen Schreck, als ich es am Morgen nicht mehr an meinem Finger finde.“
Die Polizei nahm ihn ins Kreuzverhör, schließlich gestand er, dass er den Ring weit unter dem tatsächlichen Wert einer Bettlerin abgekauft hatte.
Wie geriet die Bettlerin an diesen Ring? Wie entdeckte der Juwelier, den Ring im Besitz der Bettlerin und was unternahm er, um ihn zu bekommen?
Die Bettlerin kam zur Armenspeisung ins Schloss. Dort wurde an die Armen verteilt, was die Herrschaften bei ihren Mahlzeiten übrig gelassen hatten. Sie bekam eine Schöpfkelle voll Suppe und fand den Ring schließlich auf dem Boden ihrer Blechschale.
Der Juwelier beobachtete, wie sie in einer Ecke hinter der Kirche die Münzen zählte, die sie vor dem Kirchenportal bekommen hatte. Er staunte, welch kostbaren Ring sie zwischen den Münzen auf der Handfläche liegen hatte, ging auf sie zu und bot ihr an, ihr den Ring abzukaufen.
„Ich mach dir einen guten Preis. Es ist zwar nur ein billiges Imitat, aber Sie können ja ein gutes Sümmchen gebrauchen. Ich gebe Ihnen glatt fünfzehn Groschen.“
„Aber ich will den gar nicht verkaufen.“
„Nun gut, zwanzig Groschen.“
Für die Bettlerin war das viel Geld, sie nahm es und der Juwelier bekam den Ring.
Jetzt wollt ihr natürlich wissen, wer dem Juwelier das wertvolle Schmuckstück hinterrücks vom Finger gezogen hat. Das weiß ich leider auch nicht. Auch habe ich keine Ahnung, wer danach noch an den verhexten Ring geraten ist. Aber voielelicht habt ihr ja eine Idee, was mit diesem Ring noch alles passiert sein könnte.
In jedem Fall möchte ich euch noch einen guten Rat mitgeben: Falls euch mal jemand über den Weg läuft, der nur Scheiße redet, dann schaut dem auf den Ringfinger. Am Ende trägt er diesen verhängnisvollen Ring und merkt selber gar nicht, was er da ständig von sich gibt.
Diese Erzählung folgt im ersten Abschnitt einem italienischen Märchen: Felix Karlinger: Italienische Volksmärchen, Düsseldorf 1973, S. 39-41.
Die Volkserzähler hatten – anders als viele Märchenpublizisten – keine Scheu, sich auch recht drastisch auszudrücken. Sollen die zarten Kinderseelen vor dem anstößigen Wort bewahrt werden, lässt es sich leicht durch ein weniger anstößiges ersetzen (Mist, Kacke etc.).Im zweiten Teil der Geschichte sind die Zuhörenden gefragt, entsprechend den gelegten Spuren auszuphantasieren, wie der verhängnisvolle Ring an den nächsten Freund edlen Schmuckes geriet und was damit passierte. Falls das nicht in Gang kommt, lässt sich die Geschichte auch schon damit beenden, dass der Ring weiter auf der Toilette auf seinen nächsten Liebhaber wartet. Sie wird dann mit dem abschließenden Absatz am Ende der Textvorlage zu Ende gebracht.
Sollte es großen Spaß machen, die Spuren auszuphantasieren, können die Zuhörenden auch selbst neue Episoden ausdenken. Dabei können einige festlegen, wer in welcher Situation durch unflätiges Reden auffiel, die anderen erklären danach, wie der Ring an diese Person geraten ist und wie sie ihn wieder verlor.