1.
Vor Zeiten, heißt es, lebte in der Stadt Kairo eine Frau namens Al Muthallah, die diesem Namen alle Ehre machte, denn er soll soviel bedeuten wie die Kluge oder die Schlaue. Und schlau muss sie gewesen sein, war sie doch gleichzeitig mit zwei Männern verheiratet, und wie man weiß, darf in muslimischen Ländern wohl ein Mann bis zu drei Frauen ehelichen, aber eine Frau, und sei sie auch noch so klug, deswegen noch lange nicht mehrere Männer haben.
Wie konnte das gut gehen, wird man sich fragen. Nun, die beiden Männer ahnten nichts von dem doppelten Glück ihrer Ehefrau, denn Al Muthallah hatte sich mit einem Tagdieb und mit einem Nachtdieb zusammengetan. Kam der Nachtdieb am Morgen müde von seinem Nachtwerk nach Hause, hatte sich der Tagdieb schon an sein Tagwerk gemacht, und bevor er in der Abenddämmerung zurückkehrte, war der Nachtdieb längst zu seiner nächtlichen Tour aufgebrochen. Und so lebte diese Frau glücklich und zufrieden mit ihren beiden Männern, freute sich an dem, was die beiden nach Hause brachten. Denn beide waren geschickte und erfolgreiche Diebe und Al Muthallah liebte sie beide von ganzem Herzen.
Hätte ihr das Schicksal vergönnt, auch weiterhin ungestört ihr doppeltes Glück zu genießen, wäre ihre Geschichte kaum der Erwähnung wert und wir wären um eine Erzählung ärmer. Aber es sollte anders kommen, denn eines Morgens stand der Tagdieb auf und erklärte: „Liebe Frau, ich muss eine Reise machen. Bitte richte mir einen Mundvorrat her!“ Als gute Hausfrau briet ihm Al Muthallah eine Hammelkeule, buk einen Laib Brot dazu, und da ihn die ganze Keule und das ganze Brot doch etwas zu sehr schwer werden mochte, schnitt sie das Brot mittendurch, teilte die Hammelkeule in zwei Hälften, um sie in ein Tragtuch zu wickeln, das er verknoten und sich über die Schulter werfen konnte. Aber weil ihr auch das Tuch dafür zu groß schien, riss sie es mittendurch, wickelte die halbe Keule mit dem halben Brot in das halbe Tuch und übergab ihm dieses Bündel als Reiseproviant.
Kaum hatte sich der Tagdieb davongemacht, kam der Nachtdieb, müde von der Arbeit, nach Hause. Aber statt sich zur Ruhe zu legen, meinte er zu seiner Frau: „Liebe Frau, ich muss eine Reise machen. Sei doch so lieb und richte mir einen Mundvorrat her!“ Mag sein, dass sich diese Frau nach so langer Zeit ihrer Sache zu sicher wähnte und dass alles anders gekommen wäre, hätte sie sich besser vorgesehen. Aber was lag schließlich näher, als die andere Hälfte der Hammelkeule mit dem verbliebenen halben Brot in den Rest des Tuches zu wickeln und sie ihm als Reiseproviant zu überlassen?
Wie hätte sie auch ahnen sollen, dass seine Reise über die gleiche Landstraße führte, die vor ihm der Tagdieb genommen hatte? Der Nachtdieb wanderte sie Stunde um Stunde. Und je länger er ging, desto müder wurden seine Schritte. Bis ihn schließlich ein am Wegesrand lagernder Wanderer anrief: „Du siehst müde aus, Bruder. Komm, setz dich zu mir und ruhe dich aus!“
Jaja, er sei schon seit dem frühen Morgen von Kairo aus unterwegs, antwortete der Nachtdieb, und erst jetzt als er sich neben dem Fremden niederließ, bemerkte er, wie müde er war.
„Von Kairo?“ staunte der andere. „Sieh einer an! Auch ich komme aus Kairo, und bin seit dem frühen Morgen auf den Beinen. Sicher hast du Hunger. Da, nimm dir von meinem Mundvorrat!“ Und damit öffnete er sein Reisebündel.
Nein, nein, das sei nicht nötig, er habe sich ja selber etwas mitgebracht, antwortete der Nachtdieb, indem er seinerseits sein Bündel auseinander faltete. Aber einen Blick hatte er doch auf die Vorräte des Fremden geworfen, und er erstarrte. Er griff sich die halbe Keule des andern und hielt sie an seine Hälfte, und sieh an, sie passten genau zueinander.
Inzwischen hatte der Fremde sein halbes Brot an die Brothälfte des Nachtdiebs gehalten, und auch sie fügten sich zu einem ganzen Brot zusammen. Denn wer war der fremde Wanderer am Wegrand? Natürlich niemand anderes als der Tagdieb. Misstrauen schwang in der Stimme des Nachtdiebs, als er den andern fragte: „Woher hast du diese Hammelkeule?“
Na, von wem schon? Natürlich von seiner Frau. „Aber Freundchen, woher hast denn du dieses Brot?“
Dumme Frage! Von der eigenen Frau natürlich. Seltsam! „Nun, wo wohnst du denn in Kairo? Wie bitte? Im Viertel um die Blaue Moschee? Da wohne auch ich. Und in welcher Straße? Die zweite links hinter der Moschee? Nicht möglich. Dass wir uns da noch nie begegnet sind! Welches ist denn dein Haus? Das vierte hinter dem großen Minarett? Unmöglich, Freundchen! Das ist mein Haus! „Nun sag mir aber bitte, wie heißt deine Frau? Al Muthallah? Willst du dich über mich lustig machen? Das ist meine Frau.“
Was tun zwei Männer, die sich um eine Frau streiten? Sie gerieten sich in die Haare und waren kurz davor, sich die Köpfe einzuschlagen. Aber da sie als gerissene Diebe auch gelernt hatten nachzudenken, sagten sie sich: „Lass uns zurückgehen und sie fragen. Soll sie selbst doch erklären, wer von uns ihr rechtmäßiger Mann ist!“
Als Al Muthallah die beiden einträchtig auf ihr Haus zukommen sah, wusste sie, was es geschlagen hatte, und ehe noch einer ihrer Männer einen Ton hervorbringen konnte, erklärte sie: „Ich bin mit euch beiden verheiratet“.
Da schüttelten die Diebe nur die Köpfe. Das ging nun doch wirklich nicht, das schlug doch nicht nur dem Gesetz, sondern auch allem Anstand und aller Sitte ins Gesicht. Ihr Glück, dass beide Männer sie liebten und sich bereit fanden, ihr diesen bösen Streich zu verzeihen. Aber selbstverständlich konnte es so nicht weitergehen: Auf der Stelle hatte sie sich zu entscheiden, wen von den beiden sie in Zukunft als ihren rechtmäßigen und alleinigen Mann behalten werde, den Tagdieb oder den Nachtdieb.
Da stand die gute Frau, blickte vom Tagdieb zum Nachtdieb und vom Nachtdieb zum Tagdieb und war erst einmal mit ihrer Schlauheit am Ende. „Ich kann mich nicht entscheiden. Ich habe euch beide gleich lieb.“
Nein, nein, das kam ja überhaupt nicht in Frage, sie hatte sich zu entscheiden, und das hier, jetzt und sofort.
Endlich regte sich wieder die Klugheit in ihr, der sie ihren Namen verdankte. „Da ich mich nicht zu entscheiden vermag, müsst ihr beide selbst die Entscheidung treffen. Beide seid ihr Diebe von bewundernswerter Geschicklichkeit, und darum schlage ich euch vor: Ihr geht beide auf Tour, und wer mir das bessere Gaunerstück zuwege bringt, den will ich als einzigen und rechtmäßigen Mann behalten.“
Das war ganz nach dem Geschmack der beiden Gauner, und nachdem sie sich von ihrer Wanderung ausgeruht hatten, zogen sie gemeinsam los.
2.
Inzwischen war es wieder Morgen geworden und es war am Tagdieb, seine Kunstfertigkeit zu beweisen, der Nachtdieb aber folgte ihm, um ihm dabei auf die Finger zu sehen. So zogen sie beide bis in den Bazar, wo sich der Tagdieb suchend umblickte, bis er schließlich einen Geldbeutel erspähte, der am Gürtel eines würdevoll dahinschreitenden Kaufmanns baumelte. Aber nicht mehr lange, denn schon war ihm der Dieb gefolgt, hatte ihn vom Gürtel geschnitten, während der Kaufmann ahnungslos weiterging. „Gemeine Beutelschneiderei!“ schnaubte der Nachtdieb verächtlich.
„Nicht so hastig, Freund. Ich bin noch nicht fertig.“ antwortete der Tagdieb, indem er den prallen Beutel öffnete. Er enthielt 1000 Goldstücke, von denen er unter den fragenden Blicken des Kollegen aber nur drei herausnahm, dafür seinen Siegelring vom Finger zog und in das Säckchen gleiten ließ, das er dann wieder kunstvoll verschnürte und dem Kaufmann, der noch nicht weit gekommen war, so unbemerkt wieder an den Gürtel knüpfte, wie er ihn entfernt hatte. Er vergewisserte sich, dass ihn der Nachtdieb auch beobachtete, ehe er den Kaufmann überholte, sich plötzlich nach ihm umwandte und ihn an den Schultern fassend schrie: „Beutelschneider! Gauner! Dieb! Endlich kriege ich dich auf frischer Tat zu fassen.“
Vor Verblüffung brachte der Kaufmann keinen Ton heraus, und ehe er sich davon erholen konnte, schnitt ihm der Tagdieb das Wort ab: „Rück den Beutel heraus, den du mir gestohlen hast! Und versuch mich nicht wieder mit dreisten Lügen zu hintergehen!“
Endlich fand der Kaufmann seine Sprache wieder: „Was faselst du daher? Ich bin ein ehrlicher Kaufmann, und das Gold in diesem Beutel habe ich eben von einem säumigen Gläubiger eingetrieben. Bleib mir vom Hals mit deinem Geschwätz und verschwinde, bevor ich dich dem Kadi vorführe!“
Vergeblich suchte er sich dem Griff zu entwinden, mit dem ihn der gerissene Dieb festhielt, der ihn immer lauter und dreister als gemeinen Schurken, unverbesserlichen Gauner und hemmungslosen Lügner beschimpfte. Inzwischen hatte sich um die beiden eine Traube Menschen gebildet, von denen die einen für den Tagdieb, die anderen für den Kaufmann sprachen und bald wälzten sich die Zuschauer mit den beiden Streithähnen zur Gerichtshalle.
Schweigend hörte sich der Kadi die gegenseitigen Vorwürfe an, schließlich sagte er: „Übergebt mir den umstrittenen Beutel!“ Und das Ledersäckchen in den Händen wiegend fragte er zuerst den Kaufmann: „Was behauptest du, befindet sich in diesem Beutel?“
Seiner Sache sicher erklärte der Kaufmann: „Tausend Goldstücke, Euer Ehren. Ich habe sie soeben von einem Schuldner eingetrieben, und das kann ich Euch, sofern Ihr es wünscht, auch beweisen.“
„Nicht nötig“, meinte der Richter und wandte sich an den Tagdieb: „Und nun zu dir. Was befindet sich deiner Behauptung nach in diesem Beutel?“
„In Wahrheit, Euer Ehren, befinden sich nur 997 Goldstücke darin, dazu mein persönlicher Siegelring.“ Und was fand der Richter, als er den Inhalt des Säckchens inspizierte? 997 Goldstücke und einen Siegelring.
Freundlich lächelnd übergab er dem Tagdieb den Geldbeutel, drehte sich dann zornig nach dem Kaufmann um und fauchte ihn an: „Und du verschwinde! Untersteh dich, mir noch einmal mit falschen Anschuldigungen unter die Augen zu treten! Sonst wirst du die Peitsche kennen lernen“.
Eingeschüchtert schlich sich der Kaufmann davon, während der Tagdieb mit dem triumphierend erhobenen Beutel aus der Gerichtshalle trat.
„Nun, wie gefällt die meine Kunst?“ fragte er den wartenden Nachtdieb.
„Nicht übel, wirklich nicht übel! Aber warte nur ab, auch ich werde dir heute nacht ein Stückchen zeigen, das sich sehen lassen kann“.
3.
Wäre es nicht so stockfinster gewesen, hätte man die beiden nach Einbruch der Nacht auf dem Wege zum Sultanspalast schleichen gesehen, vorausging der Nachtdieb, mit einer langen Leiter bewaffnet, und der Tagdieb folgte. Über die Leiter stiegen sie in den Palast ein, der Tagdieb blieb oben auf der Umfassungsmauer zurück, während sich der Nachtdieb in den Palastbezirk hinabgleiten ließ. Es kostete ihn nur geringe Mühe, die dreifach gesicherten Schlösser am Schatzhaus des Sultans zu öffnen. Ohne Hast knotete der Nachtdieb einen nach dem andern die hundert Säcke des Schatzhauses auf, entnahm jedem Sack nur eine von den 1000 Münzen, die sie enthielten, und knotete ihn sorgfältig wieder zu.
Schließlich brachte er die 100 Münzen dem schon wartenden Kollegen auf der Mauer. „Wie bitte? Für schäbige hundert Kröten riskierst du Kopf und Kragen?“
„Nicht so voreilig, mein Freund. Das war erst das Vorspiel.“
Und schon glitt der Nachtdieb wieder in den Palast hinab. Diesmal schlich er sich, wie sein Kollege durch die Palastfenster beobachten konnte, in die Privatgemächer des Sultans, und drang sogar bis ins Schlafzimmer des Herrschers vor. Dreist griff er nach den vor dem Bett ruhenden hochherrschaftlichen Hausschuhen und zog sie über seine profanen Füße. Nachdem er sie im Palasthof durch die schmutzigsten Pfützen gezogen hatte, tappte er zum Schatzhaus und wieder zurück und hinterließ unübersehbare Spuren, die vom Bett des Sultans zum Schatzhaus und wieder zurück führten, ehe er sie auf den Bettvorleger des Herrschers zurückbrachte und wieder auf die Mauer stieg, wo ihm sein Kollege mit fragenden Blicken entgegensah. Der Nachtdieb lächelte durchtrieben und brüllte plötzlich mit durchdringender Stimme: „Wachen! Diebe sind im Palast! Haltet Sie!“
„Bist du wahnsinnig?“ keuchte der Tagdieb. „Willst du uns beide an den Galgen bringen?“ Aber der Nachtdieb legte ihm den Fiunger auf den Mund, denn unten im Palast war es lebendig geworden. Bewaffnete liefen mit Fackeln hin und her. Atemlos verfolgte der Tagdieb, wie sie den Einbruch ins Schatzhaus entdeckten, den Spuren bis zum Bett des Sultans folgten, ängstlich um das Bett herumstanden, bevor einer es wagte, den hohen Herrn zu wecken. Stockend erklärten sie dem verwirrten Schläfer, aus jedem Sack des Schatzhauses sei nichts als eine einzige Münze entwendet worden.
Warum sie dann um sein Bett herumstanden statt den Dieb zu fangen, herrschte sie der Sultan an.
Die Wachen drucksten herum, ehe sie schließlich berichteten, die Spuren führten unübersehbar vom Lager des hohen Herrn zum Schatzhaus und wieder zurück. Ob er möglicherweise unter Umständen in seiner grenzenlosen Weisheit höchstpersönlich das Schatzhaus aufgesucht und die Münzen entnommen habe, um die Wachsamkeit seiner Wachen zu überprüfen?
„Blödsinn!“ keuchte der Sultan, dann müssten doch die fehlenden Münzen in seinem Schlafgemach zu finden sein. Aber so sehr man die Privatgemächer des Herrschers durchsuchte, die Münzen blieben verschwunden. Und die, die ihren Verbleib hätten aufklären können, hatten ihren Posten längst verlassen und waren zu ihrer gemeinsamen Frau zurückgekehrt.
4.
Amüsiert hörte sich Al Muthallah die Streiche ihrer Männer an, und erst als sie aufgefordert wurde zu entscheiden, wer von beiden gerissener sei und wen sie deshalb als ihren rechtmäßigen Ehemann behalten wolle, wurde sie ernst. Wieder blickte sie vom Tagdieb zum Nachtdieb, und vom Nachtdieb zum Tagdieb, und schüttelte hilflos den Kopf: „Beide seid ihr unnachahmbar. Ihr reicht euch beide das Wasser. Wie sollte ich mich da entscheiden können? Ich kann es nicht, ich kann einfach nicht!“
Aber damit ließen sich die Männer nicht abspeisen. Hier und auf der Stelle habe sie, wie abgemacht, jetzt endlich die Entscheidung zu treffen.
„Ach wisst ihr,“ beschied sie schließlich die Frau. „Könntet ihr nicht vielleicht noch eine zweite Probe liefern? Ich denke, indem ich dann beide Proben zusammennehme, wird mir die Entscheidung leichter fallen“.
Nun gut, nur ihr zuliebe und ausnahmsweise! Aber dass eines klar sei: Es sei das unwiderruflich letzte Mal. Und damit zogen die beiden wieder ab.
Wieder war die Reihe am Tagdieb und diesmal setzte er sich ans Stadttor von Kairo, beobachtete scheinbar gelangweilt die Menschen, die die Stadt betraten oder sie verließen. So saß er eine, zwei, drei Stunden herum, und dem Nachtdieb, der ihn von ferne beobachtete, wurde das Warten lang. Bis schließlich ein Türke in die Stadt ging, der Tagdieb aufstand und dem Fremden in den Bazar folgte, denn ein kurzer Blick hatte genügt, um an der gewölbten Manteltasche zu erkennen, wo des Türken Herz schlug.
Der Tagdieb schob sich an die Seite des türkischen Herrn, wie zufällig glitt seine linke Hand über die Auslage eines Gemüsehändlers, und ließ eine Gurke mitgehen, während seine Rechte einen prallen Beutel aus der Manteltasche des Türken zog. Gleich darauf schob die Linke die Gurke in die leere Tasche und schon wölbte sich die Manteltasche wie zuvor und nicht das Geringste ahnend schritt der Türke weiter. Der Tagdieb aber setzte sich ans Stadttor wie zuvor.
„Was soll das heißen?“ flüsterte neben ihm der Kollege.
„Nun warte doch ab, mein Freund!“
Sie mussten nicht lange warten. Der Türke war inzwischen in den Laden eines Tuchhändlers getreten, hatte Stoffe begutachtet und ausgewählt, und als es ans Bezahlen ging, in die Manteltasche gegriffen. Aber was zog er statt des Geldbeutels heraus? Eine dicke bauchige Gurke.
Der Türke verbarg seine Verwirrung. In der Eile des Aufbruchs habe er ganz vergessen, das nötige Kleingeld einzustecken, der Händler möge ihm doch die Stoffe verwahren, binnen kurzem werde er zurückkehren, um die Rechnung zu begleichen. Und damit ging er. Er kochte vor Wut. Diesen Streich musste ihm seine Frau gespielt haben! Hatte er ihr nicht unmissverständlich aufgetragen, ihm den Mantel für den Ausgang zu reinigen und mit einer runden Summe zu bestücken? Na warte, der wird er den Marsch blasen!
In dieser Verfassung hastete er durch das Stadttor heimwärts. Mit einem kurzen Blick las ihm der Tagdieb den Ärger von Gesicht und Haltung ab, stand auf und folgte ihm. Seine Rechte befreite den Türken von der verwünschten Gurke, die Linke gab ihm sein Eigentum zurück, und kaum war es getan, setzte der Dieb sich wieder ans Stadttor und wartete.
Zu Hause angekommen rief der Türke nach seiner Frau: „Was habe ich dir befohlen, mir in die Tasche zu packen?“
Selbstredend habe sie ihm den vollen Beutel im Mantel verstaut.
„Und wie erklärst du dir dann, dass ich eine Gurke darin finde?“
Wie bitte? Was faselte da der Mann von einer Gurke? Wortlos griff die Frau in die Manteltasche, und was zog sie heraus? Den Geldbeutel.
„Na so was! Eben war’s noch eine Gurke!“ Aber wie auch immer, Hauptsache, das verschwundene Geld war wieder aufgetaucht. Mit Riesenschritten machte sich der Türke wieder auf den Weg zum Tuchladen.
Dieser Weg aber führte ihn durchs Stadttor, und dort wartete noch immer der Tagdieb und erst der Türke lockte ihn wieder von seinem Platz. Er folgt ihm einige Schritte, die eine Hand greift sich den Beutel, die andere ersetzt sie durch die Gurke, und schon kehrt er wieder auf seinen Posten zurück.
Und was zieht der Türke aus der Manteltasche, als er in den Laden tritt, die ausstehende Rechnung zu begleichen? Die gottverdammte Gurke. Schneller als er sie herausgezogen hatte, ließ er sie wieder verschwinden. Er stammelt von einem doppelten Versehen und schon hetzt er nach Hause zurück. Dieses durchtriebene Luder von Frau! Wie immer sie es gedreht haben mochte, diesmal würde er ihr dieses böse Spiel nicht mehr durchgehen lassen.
Wenn er nur nicht wieder hätte durchs Stadttor gehen müssen! Denn dort verwandelte die Fingerfertigkeit des Tagdiebs die verwünschte Gurke zurück in den prall gefüllten Beutel. Wie stand der Türke da, nachdem er wutschnaubend auf die Frau losgegangen war und geschworen hatte, ihr diesen Streich niemals zu verzeihen, die Frau aber wieder wortlos in die Tasche gegriffen und den Beutel herausgezogen hatte. „Was hast du denn? Da ist er ja.“ Ungläubig den Beutel abtastend schwor der Mann, dass er eben noch eine Gurke, davor aber ein Beutel und wiederum vorher schon einmal nichts als eine dicke bauchige Gurke gewesen war.
Offenbar roch die Frau den Braten. „Hör zu!“ meinte sie. „Du nimmst dir jetzt besser einen Diener mit.“ Dieser Diener hatte den Beutel in seiner Manteltasche zu verwahren und den ganzen Weg über eine Hand auf der Wölbung der Tasche zu halten. Er selbst solle dem Diener folgen und ihn nicht aus den Augen lassen, so werde er genau beobachten, was mit dem Beutel vor sich gehe.
„Ein guter Rat, wirklich ein sehr guter Rat.“ Was für ein Glück, dass er solch eine kluge Frau hatte!
Als ob der Tagdieb am Stadttor von Kairo nicht auf einen Blick gesehen hätte, was gespielt wurde! Er stand auf und diesmal folgte er dem Gespann bis in den Bazar, wo sich die Menschen durch die engen Gassen drängten. Wie aber hätte der Diener dort die strikte Anweisung, die Hand unter keinen Umständen von der Manteltasche zu nehmen, noch befolgen sollen? Wenigstens kurz musste er mit seiner Hand sich und seinem Herrn einen Weg durchs Gedränge zu bahnen. Das war es, worauf der Tagdieb wartete. Scheinbar von den Nachdrängenden geschoben ging er zwischen die beiden, trat dem Türken auf einen Fuß und entschuldigte sich und gestikulierte mit der rechten Hand vor dessen Gesicht herum. Inzwischen stahl sich seine Linke in die unbewachte Manteltasche des Dieners, zog den Beutel heraus, verstaute die Gurke an seiner Stelle, und schon verschwand der Tagdieb mit der Andeutung einer Verbeugung, während der Türke endlich wieder seinen Diener zu Gesicht bekam und zufrieden feststellte, dass dessen Hand weiter auf der Manteltasche ruhte.
Endlich im Laden angekommen befiehlt er ihm, den Beutel hervorzuholen. Aber was zieht der arme Kerl aus der Tasche? Die Gurke. Endlich hat der gefoppte Türke jemanden, an dem er seinen Zorn auslassen kann. „Du also hast mir diesen Streich gespielt! Na warte nur, du Schurke, dir werde ich zeigen, wie man sich über seinen Herrn lustig macht!“
Von draußen beobachtet der Tagdieb den Laden, und ehe der wütende Herr dem verwirrten Diener an den Kragen gehen kann, stürzt der Tagdieb in den Laden. „Verzeihung, mein Herr, vergreift Euch nicht an diesem unschuldigen Menschen! Ich war es, der Euch den Beutel in eine Gurke und die Gurke wieder in den Geldbeutel verwandelte.“
„Wie, und das wagst du mir auch noch ins Gesicht zu sagen?“ Der Türke staunt über die Dreistigkeit dieses Gauners. Aber bevor er den Kerl verhaften lässt, möchte er doch gar zu gerne wissen, wie er es anstellte, ihn derart hinters Licht zu führen. Erfreulicherweise zeigt der Dieb auch nicht die geringste Scheu, es ihm zu erklären. „Kommt nur mit aus dem Laden!“ Und als sie auf die Straße hinaustreten, tritt der Dieb hinter den Türken: „Es war eigentlich ganz einfach. Ich folgte Euch, genauso wie ich das jetzt mache. Dann griff ich mit der rechten Hand in Eure Manteltasche, genauso, wie ich das jetzt mache. Mit der Linken aber schob ich Euch, genauso wie jetzt, die Gurke in die Tasche. Dann blieb ich zurück und verschwand zwischen den Passanten davon, genauso wie ich das jetzt mache.“
Tatsächlich, so konnte es gewesen sein! Was für ein gerissener Lump! Höchste Zeit, dass er aus dem Verkehr gezogen würde! Aber Moment, wo war er nur? So sehr sich der Türke nach allen Seiten umblickte, von dem Gauner war nichts mehr zu sehen. Er hatte sich im Gedränge davongemacht und blieb mitsamt dem Beutel verschwunden.
5.
Wirklich ein großartiger, ja geradezu göttlicher Streich! Anerkennend nickte der Nachtdieb. Aber auch er würde in der kommenden Nacht sein Meisterstück liefern.
Wie in der vorigen Nacht stieg er mit dem Tagdieb im Schlepptau über die Mauer in den Palast des Sultans. Den Gefährten ließ er gegenüber den Privatgemächern des Herrschers auf der Mauer zurück, und schlich sich geradewegs zum Schlafzimmer des hohen Herrn. Schon im Begriff es zu betreten, verharrte er: Aus dem Zimmer drang eine merkwürdig einschläfernde Stimme: Der Geschichtenerzähler des Sultans saß am Fußende des herrschaftlichen Bettes und hatte den Auftrag, seinem Herrn das Einschlafen zu erleichtern und ganz nebenbei auch zu verhindern, dass der hohe Herr sich wieder schlafwandelnd selbst bestiehlt.
Im Nebenraum versteckt lauschte der Nachtdieb den Worten des Geschichtenerzählers: „Es war einmal eine Prinzessin, die war so wunder-, wunderschön, dass sie auf der ganzen Welt nicht ihresgleichen hatte und selbst die Sonne bei ihrem Anblick vor Neid erblasste.“
Wozu nur immer diese maßlosen Übertreibungen? Dass sich diese Geschichtenerzähler auch nie etwas Neues einfallen ließen! Und dazu noch diese einschläfernde Stimme, die auch den letzten Rest an Interesse raubte. Kein Wunder, dass auch der hohe Herr alles andere als gefesselt schien. Vor Langeweile fielen ihm schon nach den ersten Sätzen die Augen zu, sein Kinn sank auf die Brust und bald ging sein Atem in langen tiefen Zügen. Kaum aber war der Sultan eingenickt, zog sich die müde Stimme des Erzählers immer mehr in die Länge, bis sie schließlich ganz verstummte. Leider aber war der Herrscher noch nicht ganz eingeschlafen, denn kaum war die schläfrige Stimme des Geschichtenerzählers verstummt, schreckte er aus dem Halbschlaf und rief: „Geschichtenerzähler, erzähle weiter!“
Der eingenickte Erzähler rappelte sich auf und fuhr mit monotoner Stimme fort: „Aber der Vater dieser wunder-, wunderschönen Prinzessin hütete sie eifersüchtig wie seinen eigenen Augapfel und schwor einen heiligen Eid, sie niemals einem Manne zur Frau zu geben, wie schön und mächtig er auch sein möge. Und er ließ ein Schloss erbauen, schloss sie darin ein und ordnete an, dass außer ihm kein männliches Wesen jemals dieses Schloss betreten dürfe.“
Es ging weiter, wie es angefangen hatte. Solche Geschichten taugten allenfalls dazu, einen Menschen vor Langeweile zum Schlafen zu bringen, und tatsächlich sank dem Sultan schon wieder das Kinn auf die Brust. Jetzt hieß es aufpassen. Sobald die schläfrige Stimme des Geschichtenerzählers wieder erstarb, huschte der Nachtdieb ins Zimmer, knebelte den Erzähler mit einigen geübten Handgriffen und schob ihn gefesselt unter das herrschaftliche Bett. Als der Sultan die einschläfernde Stimme des Erzählers vermisste und aus dem Halbschlaf aufschreckend ausrief: „Geschichtenerzähler, erzähle weiter!“, da saß der Nachtdieb an seiner Stelle. Und er erzählte:
„O Gott, diese arme Prinzessin! Den lieben langen Tag stand sie am Fenster und schaute sehnsüchtig in die Ferne. Da treibt sich doch eines Tages eine Frau vor dem Schloss herum, die lachte und lachte, dass ihr vor Lachen schon die Tränen kamen. `Worüber lachst du nur so hemmungslos?` fragte die gelangweilte Prinzessin. `Nun ist das vielleicht nicht zum Lachen? Urteile doch selber! Stell dir vor, ich war mit zwei Männern verheiratet, einem Tagdieb und einem Nachtdieb. Aber die beiden wussten nichts von meinem doppelten Glück. Wenn der Nachtdieb heimkam, war mein Tagdieb schon auf Achse, und kam erst zurück, wenn mein Nachtdieb sich davongemacht hatte. Da steht mir aber doch eines Morgens der Tagdieb auf und meint, er müsse eine Reise machen. Nun gut, ich wickle ihm eine halbe Hammelkeule und ein halbes Brot in ein halbes Tuch. Kaum ist er verschwunden, kommt mein Nachtdieb zurück und sagt mir, er müsse eine Reise machen. Hättest du ihm nicht auch die andere Hälfte der Hammelkeule und des Brotes in das übrige halbe Tuch gewickelt? Wie hätte ich auch ahnen sollen, dass sich die beiden unterwegs begegnen und ihre Mundvorräte austauschen.
‚Woher hast du diese Hammelkeule?‘
‚Natürlich von meiner Frau. Aber woher hast du das Brot?‘
‚Von meiner Frau.‘
Die beiden geraten sich in die Wolle, schließlich kommen sie zu mir. ‚Wer von uns beiden ist dein rechtmäßiger Mann?‘ Was weiß ich? Ich liebe sie beide. Wie hätte ich es übers Herz gebracht, einen vorzuziehen und den andern zu verstoßen. Und um sie loszuwerden, schicke ich sie beide auf Diebestour, um den geschickteren als rechtmäßigen Mann zu behalten…..“
Und der Nachtdieb ließ die lachende Frau erzählen, was ihm und seinem Kollegen widerfahren war und die Streiche, die sie ausgeführt hatten, um sie durch ihre Geschicklichkeit für sich zu gewinnen. Die Schläfrigkeit des Sultans war wie weggeblasen, mit Augen und Ohren schien er die Erzählung zu verschlingen. Und als sie bis zu der Stelle gekommen waren, wo dieser Nachtdieb sogar die Dreistigkeit besaß, ins Schlafgemach eines Sultans einzudringen und ihm seine Erlebnisse in allen Einzelheiten zu berichten, da stöhnte der Herrscher vor Bewunderung. Der Nachtdieb aber endete seine Erzählung mit dem Satz: „Und nun, o Sultan, entscheidet Ihr selbst, welchen der beiden Diebe soll diese Frau als ihren rechtmäßigen Gatten behalten?“
Ohne zu zögern kam die Antwort aus dem Munde des Herrschers: „Natürlich den Nachtdieb! Könnte es denn ein größeres Gaunerstück geben als sich unbemerkt ans Lager eines Sultans zu schleichen und ihm die eigenen Untaten als Erzählungen zu verkaufen?“ Und vom langen Zuhören nun doch sehr müde geworden, übermannte den Herrscher nach diesen Worten der verdiente Schlaf.
Der Nachtdieb schlich sich aus dem Palast und entdeckte, dass sich sein Rivale schon aus dem Staub gemacht hatte. Allein kehrte er zu ihrer gemeinsamen Frau zurück und berichtete ihr die Entscheidung des Sultans.
„Wer dürfte wagen, einem Sultan zu widersprechen?“ antwortete die Frau, und erklärte ihm, der Tagdieb habe übrigens seine Niederlage längst selbst eingesehen, die Segel gestrichen und sich davongemacht.
Und was sich am Morgen des nächsten Tages im Palast des Sultans ereignete, sollte das Glück des Nachtdiebs vollständig machen: Seltsames Ächzen und Stöhnen, das unter seinem Bett hervorzukommen schien, weckte den Herrscher aus dem Schlaf. Der zu Hilfe gerufene Kammerdiener zog schließlich den gefesselten und geknebelten Geschichtenerzähler unter dem Bett hervor.
Verwirrt blickte ihn der Sultan an. Warum kam ihm das nur so merkwürdig bekannt vor? Natürlich, war das nicht auch in dieser hinreißenden Geschichte von gestern abend vorgekommen? Aber warum hockte der Erzähler dieser Geschichte am nächsten Morgen gefesselt und geknebelt unter dem Bett? Und plötzlich wurde dem Sultan klar, dass es der Nachtdieb selbst war, der sich genauso, wie er es erzählt hatte, an die Stelle des Erzählers geschmuggelt und dass er keine dieser zusammengefaselten Geschichten erzählt hatte, mit denen ihn der Geschichtenerzähler zu langweilen pflegte, sondern dass er Wort für Wort berichtete, was er selbst erlebt und getan hatte. Das waren die Geschichten, die er in Zukunft zu hören wünschte! Und darum ließ er bekannt machen, dass derjenige, der sich vergangene Nacht an sein Lager geschlichen und ihm seine Geschichte erzählt habe, sich umgehend im Palast melden möge. Er sichere ihm hiermit öffentlich zu, ihm werde dafür nicht ein einziges Härchen gekrümmt.
Als der Nachtdieb daraufhin beim Sultan vorsprach, ernannte ihn dieser zu seinem ersten und einzigen Geschichtenerzähler unter der Bedinging, dass er ihm hinfort nur Geschichten erzähle, die er nicht ausgedacht oder gehört, sondern selbst erlebt habe.
7.
Was aber war aus dem Tagdieb geworden? Am gleichen Abend, an dem der Nachtdieb seinen neuen Dienst im Palast antrat, kam der Tagdieb zu Al-Muthallah, um sich für immer von ihr zu verabschieden und ihr Glück und Segen mit ihrem rechtmäßigen Gemahl zu wünschen.
„Wie kommst du nur darauf?“ fragte ihn die Frau und spielte die Verwunderte. „Warst du nicht viel erfindungsreicher und geschickter? Selbstverständlich habe ich mich für dich entschieden.“
Beglückt blieb der Tagdieb bei ihr, bis er sich im Morgengrauen davon und an sein gewohntes Geschäft machte und kurz danach der Nachtdieb von seiner neuen Tätigkeit nach Hause kam.
Und so lebten sie glücklich und zufrieden wie zuvor, die kluge Frau genoss ihr doppeltes Glück mit den beiden so geschickten Männern, und nur eines hatte sich geändert: Nie mehr teilte Al Muthallah eine Hammelkeule oder ein Brot zwischen ihren beiden Männern auf.
Nacherzählt nach verschiedenen Varianten der im Orient sehr verbreiteten Erzählung vom Tagdieb und vom Nachtdieb, die sich unter verschiedenen Titeln in vielen Sammlungen dieser Länder findet.
Eine leicht zugänglicheFassung: Der Tagdieb und der Nachtdieb, in Assaf-Nowak, Arabische Märchen aus dem Morgenland, Frakfurt 1978, S. 35-42