Der gestellte Dieb

Ein Eich­hörn­chen hat­te im Herbst Nüs­se gesam­melt, damit es im Win­ter etwas zum Bei­ßen hät­te. Es wohn­te in einer hoh­len Eiche und die gesam­mel­ten Nüs­se ver­grub es vor die­sem Baum in der Erde, damit es im kal­ten Win­ter nicht weit lau­fen muss­te, wenn es Hun­ger hat­te.
Aber noch bevor es rich­tig kalt wur­de, wur­de es eines Nachts von einem selt­sa­men Geräusch geweckt. Das hör­te sich unge­fähr so an. PRRRFFFFT.„Ach, da hat nur jemand gepupst,“ dach­te das Eich­hörn­chen und schlief wei­ter.
Aber was muss­te es am nächs­ten Mor­gen ent­de­cken? Vor sei­ner Eiche war die Erde auf­ge­gra­ben und in dem Loch lag kei­ne ein­zi­ge Nuss mehr. Da war das Eich­hörn­chen viel­leicht sauer!„Na war­te!“ sag­te es sich. „Ich habe dich pup­sen hören, du gemei­ner Dieb. Ich wer­de dich stel­len, und wehe, du gibst mir mei­ne Nüs­se nicht zurück!“
Und es mach­te sich auf den Weg, um den Dieb zu finden.

Unter­wegs traf das Eich­hörn­chen ein jun­ges Kätz­chen. „Hast du mir heu­te nacht mei­ne Nüs­se geklaut?“
„Ach was, ich trin­ke doch nur Milch und fres­se Mäu­se.“
„Kannst du viel­leicht mal pup­sen?“
„Wenn du meinst“, ant­wor­te­te das Kätz­chen und pups­te.
Und wie klang das? PFFFFT.
Hat­te das Kätz­chen viel­leicht die Nüs­se geklaut?
„Nein, du hast mei­ne Nüs­se nicht geklaut“ Und damit ging das Eich­hörn­chen weiter.

Danach traf das Eich­hörn­chen einen Hasen. „Hast du mir heu­te nacht mei­ne Nüs­se geklaut?“
„Ach was, ich fres­se doch nur Kohl und jun­ge Blät­ter.“
„Kannst du viel­leicht mal pup­sen?“
„Wenn du meinst“, ant­wor­te­te der Hase und pups­te.
Und wie klang das? PSSTIFFF.
Hat­te der Hase viel­leicht die Nüs­se geklaut?
„Nein, du hast mei­ne Nüs­se nicht geklaut“. Und damit ging das Eich­hörn­chen weiter.

Danach traf das Eich­hörn­chen ein dickes Schwein. „Hast du mir heu­te nacht mei­ne Nüs­se geklaut?“
„Ach was, ich wüh­le doch nur in der Erde her­um und fres­se, was ich fin­de.“
„Kannst du viel­leicht mal pup­sen?“
„Wenn du meinst“, mein­te das Schwein und pups­te.
Und wie klang das? GRUPUTSCH.
Hat­te das Schwein viel­leicht die Nüs­se geklaut?
„Nein, du hast mei­ne Nüs­se nicht geklaut“. Und damit ging das Eich­hörn­chen weiter.

Wem begeg­ne­te das Eich­hörn­chen danach und frag­te, ob sie sein Nüs­se geklaut hat­ten? Und wie haben die Gefrag­ten dann wohl gepupst?

Es traf z.B. einen Fuchs. „Hast du mir heu­te nacht mei­ne Nüs­se geklaut?“
„Ach was, ich fres­se doch nur Hüh­ner und Gän­se.“
„Kannst du viel­leicht mal pup­sen?“
„Wenn du meinst,“ ant­wor­te­te der Fuchs und pups­te.
Und wie klang das? PLAPALAFF.
Hat­te der Fuchs viel­leicht die Nüs­se geklaut?
„Nein, du hast mei­ne Nüs­se nicht geklaut“. Und damit ging das Eich­hörn­chen weiter.

Danach stieß das Eich­hörn­chen gegen eine Schach­tel, die mit­ten auf dem Weg lag. „Hast du mir heu­te nacht mei­ne Nüs­se geklaut?“
Aber die Schach­tel gab kei­nen Ton von sich.
„Kannst du viel­leicht mal pup­sen?“
Da fuhr ein Wind­stoß über den Weg und klapp­te den Deckel der Schach­tel auf und zu. Und wie klang das? PLOPP, PLOPP.
Hat­te die Schach­tel die Nüs­se geklaut?
„Nein, du hast mei­ne Nüs­se nicht geklaut“. Und damit ging das Eich­hörn­chen weiter.

Danach kam dem Eich­hörn­chen ein Kin­der­wa­gen ent­ge­gen. „Hast du mir heu­te nacht mei­ne Nüs­se geklaut?“ Der Kin­der­wa­gen aber fuhr ein­fach wei­ter, ohne das Eich­hörn­chen zu beach­ten.
„Kannst du viel­leicht mal pup­sen?“ Davon wach­te das Baby im Kin­der­wa­gen auf und plärr­te.
Und wie klang das? BÄH BÄH.
„Nein, du hast mei­ne Nüs­se nicht geklaut“. Und damit ging das Eich­hörn­chen weiter.

 

 

 

 

 

Schließ­lich traf das Eich­hörn­chen einen Jun­gen, der auf dem Fahr­rad vor­über­fuhr. „Hast du mir heu­te nacht mei­ne Nüs­se geklaut?“
Der Jun­ge brems­te. „Nüs­se? Igitt! Ich kann Nüs­se nicht aus­ste­hen.“ Dabei hol­te er sich eine Nuss aus der Tasche, kau­te sie und grins­te auch noch.
„Kannst du viel­leicht mal pup­sen?“
„Aber ger­ne,“ mein­te der Jun­ge. Und er drück­te auf die Hupe an sei­nem Len­ker. Das klang so: TUUT TUUUT.
„Nein, du hast mei­ne Nüs­se nicht geklaut.“
Das Eich­hörn­chen woll­te schon wei­ter­ge­hen, als der Jun­ge wie­der aufs Fahr­rad stieg und dabei pup­sen muss­te.
Und wie klang das? PRRRFFFFT.

Habt ihr was gemerkt? Das war doch genau der Ton, den das Eich­hörn­chen in der Nacht gehört hat­te, als sei­ne Nüs­se geklaut wurden!

„End­lich hab ich dich! Du bist der Dieb!“ rief das Eich­hörn­chen.
Der Jun­ge lach­te. „Ich habe dich durch mei­nen Feld­ste­cher beim Nüs­se-Ver­gra­ben beob­ach­tet. Und dann habe ich sie mir in der Nacht geholt.“
Da bet­tel­te das Eich­hörn­chen: „Bit­te, bit­te, gib mir mei­ne Nüs­se wie­der. Sonst habe ich im Win­ter nichts zu beißen.“

Meint ihr, dass ihm der Jun­ge die geklau­ten Nüs­se zurück­gab?
Von wegen! Der lach­te wie­der nur: „Hät­test du eben bes­ser auf­pas­sen müs­sen!“ Und dann fuhr er ein­fach davon. Das war gemein, aber was konn­te das Eich­hörn­chen dage­gen machen?
Es konn­te eben doch etwas machen. Als der Jun­ge näm­lich los­fuhr, sprang es schnell hin­ter ihm auf den Gepäck­stän­der. Der Jun­ge ahn­te nicht, dass das Eich­hörn­chen hin­ter ihm saß. Er fuhr nach Hau­se, aber als er das Rad in die Gara­ge brach­te, sprang das Eich­hörn­chen ab und ver­steck­te sich.
Kaum war er im Haus ver­schwun­den, kam es aus dem Ver­steck und biss bei­de Fahr­rad­rei­fen durch. Da zisch­te die Luft aus den Fahr­rad­schläu­chen.
Und wie klang das? FFFFFFFT. FFFFFFFT.

Als der Jun­ge zurück­kam und sich wie­der aufs Fahr­rad schwin­gen woll­te, waren bei­de Rei­fen platt. Er ver­such­te sie auf­zu­pum­pen, aber die Luft ent­wich durch die Löcher, die das Ein­hörn­chen gebis­sen hat­te.
Und wie klang das? FFFFFFFF. FFFFFFFFFF.


„Wer hat mir in die Rei­fen gesto­chen?“ jam­mer­te der Jun­ge. „So eine Gemein­heit! Wenn ich den erwi­sche!“
Da kam das Eich­hörn­chen aus sei­nem Ver­steck: „Hät­test du eben bes­ser auf­pas­sen müs­sen!“
Der Jun­ge war stock­sauer. Er griff nach dem Hof­be­sen und schlug damit nach dem Eich­hörn­chen. Das ver­kroch sich im Werk­zeug­re­gal, der Jun­ge schlug auf das Regal und das Werk­zeug kul­ler­te auf den Boden, dass es schep­per­te und krach­te.
Die­sen Krach hör­te der Opa des Jun­gen und kam ange­lau­fen. „Dich sticht wohl der Hafer,“ schimpf­te der Opa.
„Das gemei­ne Eich­hörn­chen!“ heul­te der Jun­ge. „Es hat mir bei­de Rei­fen durch­ge­bis­sen!“
Aber das Eich­hörn­chen kam unter dem Regal vor und schimpf­te: „Du gemei­ner Dieb! Du hast mir mei­ne Nüs­se geklaut!

Was glaubt ihr, was der Opa des Jun­gen dazu gesagt hat?
„Du hast dem Eich­hörn­chen den Win­ter­vor­rat gestoh­len, den es zum Leben braucht. Du wirst ihm die Nüs­se von dei­nem Taschen­geld erset­zen. Dafür kau­fe ich dir dann auch zwei neue Fahr­rad­schläu­che.“
So bekam das Eich­hörn­chen sei­ne Nüs­se zurück und der Jun­ge zwei nagel­neue Schläuche.

 

Aber dies­mal ver­grub das Eich­örn­chen sei­nen Win­ter­vor­rat nicht mehr am Fuß der Eiche, in der es sei­ne Höh­le hat­te. Es ver­grub die Nüs­se auch nicht alle am glei­chen Platz, son­dern ver­teil­te sie auf ver­schie­de­ne Stel­len, ver­grub eini­ge da, ande­re ganz woanders.

Könnt ihr euch den­ken, war­um es das tat?

Damit ihm nicht wie­der ein gemei­ner Kerl sei­nen gesam­ten Win­ter­vor­rat klau­en konn­te. Und es blick­te sich auch genau um, bevor es die Nüs­se ver­grub, damit es beim Nüs­se­ver­gra­ben bestimmt nicht beob­ach­tet wur­de.
Aber sei­nen Freun­den, den ande­ren Eich­örn­chen, muss es die­sen Trick wohl doch ver­ra­ten haben. Denn heu­te ver­gra­ben alle Eich­hörn­chen die für den Win­ter gesam­mel­ten Nüs­se an ver­schie­de­nen Stel­len. Manch­mal sogar an so vie­len Stel­len, dass sie sich im Win­ter nicht mehr dar­an erin­nern, und dann wach­sen an die­sen Stel­len im Früh­ling jun­ge Nuss­bäu­me aus der Erde.

Spaß an der Geschich­te macht natür­lich, dass man die als unge­hö­rig emp­fun­de­nen und doch so ver­trau­ten Geräu­sche nicht nur anspre­chen, son­dern auch nach­ma­chen darf. Nach den ers­ten Begeg­nun­gen kann man die zwie­lich­ti­gen Geräu­sche von den Kin­dern selbst vor­ma­chen las­sen. Dabei ist dar­auf zu ach­ten, dass sie sich deut­lich von­ein­an­der unterscheiden.

Indem man das Eich­hörn­chen auch auf ande­re Figu­ren als Tie­re tref­fen lässt, regt man die Phan­ta­sie der Kin­der zu selt­sa­me­ren Begeg­nun­gen an. Mit wel­chen Geräu­schen ant­wor­tet eine alte Plas­tik­tü­te oder ein kaput­ter Eimer, den das Eich­hörn­chen fragt, ob es sei­ne Nüs­se geklaut hat?