1.
Kennt ihr auch solche Tage, draußen regnet nur, alles ist feucht und man hat keine Lust, auch nur einen Fuß vor die Tür zu setzen?
An so einem Tag saß Luzy allein zu Hause und langweilte sich. Noch am Tag zuvor war es frostig kalt geworden und hatte angefangen zu schneien. Luzy hatte sich gefreut, am nächsten Tag Schlitten zu fahren. Aber über Nacht war es wieder warm geworden, der Schnee taute weg, es regnete und Luzy saß zu Hause und langweilte sich. Aber rausgehen wollte sie auch nicht, draußen war es doch noch langweiliger als zu Hause. Und während sie in der Wohnung hockte und nicht wusste, was sie mit diesem verregneten Nachmittag anfangen sollte, hörte sie es plötzlich klopfen und dazu zeterte eine Stimme: „He, mach mir auf! Hilfe, ich zerlaufe!“
Es hörte sich an, als ob ans Fenster geklopft worden wäre. Aber das war doch gar nicht möglich! Luzy wohnte im fünften Stock. Wer konnte da ans Fenster klopfen? Sie lief dennoch von Fenster zu Fenster, aber natürlich war da niemand zu sehen, der geklopft oder geredet hätte.
Dabei hörte sie schon wieder diese Stimme: „Mach auf! Mach schon auf, Transuse!“ Und jetzt bemerkte sie auch, dass eine Fensterscheibe im Rahmen wackelte. Sie lief hin und öffnete das Fenster. Hui, fuhr ein Windstoß durch das Fenster und mit einem Schlag wurde es eisig kalt in der Wohnung. Erschrocken schloss sie das Fenster gleich wieder.
Auf dem Fußboden entdeckte sie eine Spur von Tropfen, die durch das Wohnzimmer, dann durch den Gang bis in die Küche liefen. Sie ging den Tropfen nach und sah, wie die Tür des Kühlschranks von selber auf- und wieder zuklappte. Und aus dem Kühlschrank kam jetzt ein wohliges Seufzen: „Endlich! Kälte! Frost!“
Was war denn nur in ihren Kühlschrank gefahren? Luzy zog am Griff der Kühlschranktür, aber die Tür ging nicht auf. Und von innen tönte eine Stimme: „Lass das! Dummes Gör!“
Luzy nahm ihre Kraft zusammen und zog am Griff des Kühlschrankes. Sie schaffte es, die Tür einen winzigen Spalt aufzukriegen, und rief: „Was suchst du in unserm Kühlschrank?“
Aber die Tür schnappte gleich wieder zu und von innen tönte es: „Blöde Frage! Was sucht man in einem Kühlschrank? Kälte, was sonst!“
„Kälte? Wieso tropft du dann wie ein löchriger Eimer?“
„Na deswegen, ich schwitze! Unerträglich, diese Affenhitze!“
„So, und wer bist du?“
„Das verrate ich dir, wenn du die Tür verschlossen lässt! Versprochen?“
„Na gut, von mir aus! Aber jetzt sag, wer du bist!“
Das Mädchen legte ihr Ohr an die Kühlschranktür, um besser zu hören, und was hörte sie?
„Ein bedauernswert schwitzender Frostgeist. Und hättest du nicht aufgemacht, wäre ich in dieser verdammten Hitze noch umgekommen.“
„Du übertreibst! So heiß ist es draußen gar nicht, nur nass und eklig.“
„Nicht heiß? Und warum komme ich um vor Hitze? Blöde Göre!“
„Wo kommst du überhaupt her?“
„Aus der Arktis.“
„Wo soll denn das sein?“
„Am Nordpol, wo es so wundervoll frostig ist. Eine verdammte Kältewelle hat mich hierher getrieben. Und plötzlich diese Hitze! Ich halte das nicht aus! Ich komme um.“
„Na schön,“ meinte Luzy. „Von mir aus kannst du dich da drin abkühlen. Aber bis zum Abend musst du abhauen, kapiert? Dann kommen meine Eltern zurück. Wenn die dich im Kühlschrank finden, krieg ich Krach. Versprichst du mir das?“
Statt einer Antwort ging die Kühlschranktür einen Spalt auf und eine Schachtel Camembert rollte über den Fußboden.
„Bist du verrückt?“ rief das Mädchen. „Was schmeißt du den Käse auf den Boden?“
„Der stinkt!“ kam es aus dem Kühlschrank. Und gleich ging die Tür wieder auf und eine Packung Emmentaler und ein Harzer Roller kullerten durch die Küche. Schnell räumte das Mädchen die Käsepackungen auf die Küchenanrichte. Aber da klappte die Kühlschranktür schon wieder auf, eine Milchtüte klatschte auf den Boden, sprang auf und die Milch lief über den Boden.
„Bist du total bescheuert?“ erregte sich Luzy.
„Igitt, wie kann man sowas saufen?“ antwortete es aus dem Kühlschrank.
Sie holte den Wischlappen, um die Milch wegzuwischen. Aber während sie noch am Wischen war, ging die Kühlschranktür schon wieder auf, und was glaubt ihr was jetzt herausflog?
Na ja, ihr könnt es euch denken.
Nacheinander flog alles heraus, was der Kühlschrank enthielt: Joghurts, Saft, Butter, Wurstscheiben, Hackfleisch usw. Der ganze Inhalt des Kühlschranks lag am Ende über den Küchenboden verstreut.
Jetzt wurde Luzy aber richtig sauer. „So, jetzt reicht es mir,“ brüllte das Mädchen und trat mit dem Fuß gegen den Kühlschrank. „Was bildest du dir bloß ein? Das ist unser Kühlschrank. Da packen wir rein, was uns schmeckt. Wenn dir das nicht passt, dann verschwinde!“
Wieder versuchte sie die Kühlschranktür aufzureißen. Umsonst! Dieser verrückte Frostgeist hielt die Tür von innen zu, sie kriegte sie keinen Millimeter auf.
„Die Milch hast du verschüttet, den Saft hast du verschüttet. Ich hab Durst. Soll ich den Saft vielleicht vom Boden ablecken?“
„Stell dich nicht so an! Wie sagt man, wenn man estwas haben möchte? Bitte bitte.“
Was soll das jetzt heißen? dachte Luzy. Aber vielleicht sollte sie es darauf ankommen lassen. Schließlich war das ein Geist, und wer weiß, was der zustande brachte. Und deswegen sagte sie schnell: „Eine Packung Multifruchtsaft!“ Sie beobachtete die Kühlschranktür. Sie wusste genau, im Kühlschrank gab es keinen Multifruchtsaft, weil sie heute Mittag die letzte Packung ausgetrunken hatte.
„Pustekuchen!“ kam es aus dem Kühlschrank.
„Angeber! Wo bleibt denn jetzt mein Saft?“ maulte Luzy.
„Was wirfst du mir einen Knochen hin? Bin ich ein Hund?“
„He, was soll denn das heißen?“ fragte Luzy zurück.
„Schlampe! Bitte mich, wie sich das gehört! Mit einem verständlichen Satz! Dann beschaffe ich dir, was du willst.“
„Von mir aus. Wenn du meinst!“ und sie sagte laut und deutlich: „Ich würde jetzt gar zu gerne ein Glas Multifruchtsaft trinken.“
„Na bitte! Es geht ja!“ kam es aus dem Kühlschrank. Das Türchen klappte auf und aus dem geöffneten Spalt fiel eine Packung Multifruchtsaft. Es war ihre Lieblingsmarke. Schnell griff Luzy danach, riss sie auf und trank daraus.
2.
In diesem Augenblick hörte sie die Wohnungstür gehen. Das mussten ihre Eltern sein, die schon zurückkamen. Ihre Mama trat in die Küche und schlug die Hände über dem Kopf zusammen: Der Inhalt des Kühlschrankes lag zwischen Pfützen aus Milch und Saft auf dem Fußboden verstreut, mittendrin saß Luzy und trank aus einer Safttüte.
„Was ist denn das für ein Saustall hier? Und woher hast du diesen Saft? Den hab ich doch heute beim Einkauf vergessen.“
„Vorhin hat so ein Frostgeist vom Nordpol bei uns ans Fenster geklopft,“ erklärte Luzy. „Ich hab ihn reingelassen, weil er doch sonst in der Affenhitze umgekommen wäre. Er hat sich im Kühlschrank verkrochen, da hat er es schön kalt. Aber es ist ein lieber Geist, der alles herzaubert, was man haben möchte.“
Inzwischen schaute auch ihr Papa durch die Küchentür. „Was tischt du uns da für einen Blödsinn auf? Reicht es nicht, dass du hier alles durcheinander wirfst?“ schimpfte der Vater und kniff sie dabei in einen Arm.
„Ehrlich! Der beschafft dir, was du haben willst!“ heulte Luzy auf. „Ich kann es euch beweisen.“ Und dann sagte sie ganz schnell: „He Frostgeist, eine Flasche Wein für Papa!“
„Hundeknochen!“ kam es aus dem Kühlschrank.
Der Vater ließ vor Überraschung Luzy los, stürzte sich auf den Kühlschrank und versuchte die Tür aufzureißen. Sie ging aber nicht auf. Da zog er mit seinen ganzen Kraft am Türgriff. Die Tür ging noch immer nicht auf, aber der Griff brach ab und Luzys Papa landete zwischen Käse und Milchpfützen auf dem Küchenboden.
„Ach so, einen richtigen Satz!“ dachte Luzy und sagte: „Könntest du bitte so nett sein, eine Flasche Wein für meinen Papa rauszurücken?“
Dem Vater fielen fast die Augen raus, als das Türchen aufklappte und eine Flasche Wein herausfiel. Luzy griff nach der Flasche, aber der Vater wollte die Gelegenheit nutzen, die Kühlschranktür aufzukriegen. Doch sie klappte zu und klemmte ihm die Finger ein. „Aua!“ Das tat weh. Luzys Papa schrie vor Schmerzen.
Da sagte das Mädchen ganz schnell: „Könnte mein Papa vielleicht auch noch eine Schale Oliven dazu bekommen?“ Und schon klappte die Kühlschranktür wieder auf, der Vater konnte seine Finger aus dem Türspalt nehmen und vor dem Kühlschrank stand eine Schale Oliven.
Es war Zeit für das Abendessen. Aber was Luzys Mama dafür eingekauft hatte, hatte der Frostgeist über den Fußboden verteilt. „Wo sollen wir jetzt das Abendbrot hernehmen?“ jammerte die Mutter. „Muss ich jetzt bei diesem Sauwetter auch noch einkaufen gehen?“
„Wir können doch den Frostgeist bitten,“ meinte Luzy. „Was möchtet ihr denn gerne zu Abend essen?“
Die Eltern dachten sich aus, worauf sie Lust hatten, und Luzy teilte es dem Frostgeist in den Sätzen mit, die er hören wollte. Auf der Stelle bekamen sie alles, was sie sich wünschten. Was werden sich Papa und Mama bestellt haben? Und mit welchen Worten teilte das Luzy dem Frostgeist im Kühlschrank mit?
Hier können die zuhörenden Kinder Esswaren nennen und dazu die Sätze, mit denen sie Luzy anfordert.
3.
Obwohl es Papa prima schmeckte und er sich immer neue Spezialitäten ausdachte, die ihm Luzy bestellte, entschied er am nächsten Morgen, den verrückten Kühlschrank rauszuschmeißen.
Luzys Mama war eigentlich dagegen. „Ich weiß gar nicht, was du hast! Ich finde das prima, dass uns der Kerl versorgt. Ich spar mir den Einkauf und es kostet uns nichts.“
Aber damit kam sie bei ihm schlecht an. „Willst du vom Wohlwollen dieser komischen Frostbeule abhängen? Und was ist, wenn er uns morgen vergammelte Milch liefert?“
„Ach, daran habe ich gar nicht gedacht,“ gab die Mutter nach und ließ den Vater machen.
Luzys Papa rief den Reparaturdienst an, und als ein Monteur ins Haus kam, erklärte er ihm, dass sich die Kühlschranktür nur noch auf Zuruf öffnen ließ. „Na so was!“ meinte der Monteur. „Das Modell kenn ich noch gar nicht! Offensichtlich arbeitet Ihr Kühlschrank mit einem Spracherkennungsprogramm. Haben Sie das selbst eingebaut? Hut ab! kann ich da nur sagen.“
Damit war der Vater gar nicht zufrieden. „Ich habe Sie geholt, um die verrückte Kiste zu reparieren!“
„Sie sind mir ein komischer Vogel!“ meinte der Monteur. „Schätzen Sie sich doch glücklich, dass Sie über die neueste Technik verfügen. Sie sagen ihm seinen vollständigen Satz und kriegen, was sie wollen. Was regen Sie sich auf?“
Daraufhin beschloss Papa noch am selben Tag einen neuen Kühlschrank zu kaufen. Luzy aber brummte er eine Strafe dafür auf, dass sie diesen verrückten Geist in die Wohnung gelassen hatte: Sie durfte drei Tage nicht aus dem Haus gehen und das war blöd, weil es am nächsten Tag wieder kalt wurde und schneite und sie so gerne Schlitten gefahren wäre. Und außerdem fand Luzy diese Strafe tierisch ungerecht, nachdem ihnen der Frostgeist doch alles geliefert hatte, wonach ihnen der Mund wässerte. Und gerade von Papa war es überhaupt nicht zu verstehen. Hatte er sich nicht die ausgesuchtesten Spezialitäten ausgedacht und sie auch gekriegt. Und noch gemeiner fand sie, dass er den Kühlschrank mitsamt dem Frostgeist wegwerfen wollte. Sie beschloss, auf jeden Fall den Frostgeist zu retten, bevor der Kühlschrank auf dem Schrottplatz landete.
Als sie am nächsten Tag wieder allein in der Wohnung war, rief sie ihren Opa an und erzählte ihm von dem Frostgeist.
„Na sowas!“ staunte der Opa, „Den muss ich mir anschauen.“ Und er kam gleich darauf Luzy besuchen.
Sie führte ihm vor, was man von dem Frostgeist bekommen konnte, wenn man Sätze sagte, wie er sie hören wolltegefielen.
Was glaubt ihr, was sich da Luzys Opa alles wünschte und wie Luzy Opas Wünsche dem Frostgeist mitteilte?
Falls die Zuhörenden möchten, lässt sich hier das Spiel mit den angeforderten Esssachen wiederholen.
Luzys Opa war begeistert. Er ließ sich alle die guten Sachen schmecken und schimpfte, dass sein Sohn diesen guten Geist aus dem Haus jagen wollte.
Am Schluss sagte ihm Luzy, dass sie den Frostgeist retten mussten, bevor er mit dem Kühlschrank auf den Schrottplatz geworfen wurde. „Dann kühlt der Kühlschrank doch nicht mehr und der Frostgeist kommt darin um.“
Luzys Opa fand für alle Probleme eine Lösung. Er nickte, ging zum Kühlschrank und sagte: „Mein lieber Frostgeist. Da drinnen im Kühlschrank muss es doch tierisch eng sein.“
„Grauenhaft, grauenhaft!“ kam es zurück. „Ich sitze wie eine Sardine in der Dose! Aber wenigstens ist es schön kalt!“
„Hast du den Wetterbericht nicht gehört? Wir haben wieder strengen Frost bekommen.“
Da ging die Kühlschranktür einen Spalt auf. „Du lügst! Eklig warm ist das da draußen!“
Aber dann machte der Opa alle Fenster auf, wartete ein wenig, bis es in der Wohnung eisig kalt geworden war und sagte: „So, und strecke jetzt mal deine Nase raus!“
Die Kühlschranktür ging auf: „Kälte! Köstlich! Köstlich! Ich lebe auf.“ Und schon schoss ein eisiger Windstoß durch die Küche.
„Tschüs, Frostgeist!“ rief ihm Luzy hinterher.
Da hörte sie eine Stimme: „Danke für die Unterkunft! Ich habe dir zum Dank auch eine gute Ladung Beschaffungskraft in eure Stinkekiste geladen!“ Und damit wischte der eisige Windstoß zum Fenster raus.
4.
Als das Mädchen in den Kühlschrank schaute, war er ganz leer. „Schade,“ sagte sie, „wir hätten den Frostgeist doch lieber behalten sollen“. Sie klappte die Kühlschranktür zu. „Dann hätte ich mir jetzt ein leckeres Himbeereis bestellt.“
Und was passierte? Die Kühlschranktür klappte wieder auf und ein Himbeereis stand im Türspalt.
Noch am gleichen Abend rückte der Vater mit einem nagelneuen Kühlschrank an. Dem konnte man noch so viele vollständige Sätze sagen, der gab nur her, was man in ihn reingepackt hatte. Und man musste es sich auch selber holen.
Der alte Kühlschrank wurde auf die Straße gestellt, damit ihn die Sperrmüllabfuhr abholen konnte. Luzy rief gleich ihren Opa an, der organisierte den Lieferwagen seines Nachbarn, holte den verzauberten Kühlschrank ab und stellte ihn in sein Gartenhäuschen. Und immer wenn Luzy ihren Opa besuchte, sagte sie dem Kühlschrank, was sie haben wollten.
Was glaubt ihr, was sie dort alles wünschte?
Auch hier lässt sich das Beteiligungsspiel wiederholen.
Schließlich aber war leider die Beschaffungskraft aufgebraucht, die der Frostgeist darin zurückgelassen hatte. Man konnte ihm so viele vollständige Sätze sagen, wie man wollte, das Gerät blieb stumm wie jeder andere Kühlschrank und die Tür blieb verschlossen. Er war wieder zu einem ganz normalen Kühlschrank geworden. Aber der Opa ließ ihn trotzdem in seinem Gartenhäuschen stehen, und wenn er dort herumwerkelte, benutzte er ihn, um darin sein Bier zu kühlen. Und wenn ihn Luzy besuchte, wartete dort immer eine Packung Multifruchtsaft oder ein Himbeereis. Dazu sagte er dann immer: „Einen lieben Gruß vom Frostgeist.“