Das Geburtstagsgeschenk

Es waren ein­mal zwei Mäd­chen, die waren Freun­din­nen und bei­de hie­ßen Julia. Die eine Julia hat­te Geburts­tag und da woll­te ihr die ande­re Julia natür­lich ein Geburts­tags­ge­schenk machen. Um ihr das Geschenk zu schi­cken, hat­te sie sich etwas Beson­de­res aus­ge­dacht: Sie hat­te näm­lich einen Hund, mit dem sie schon oft ihre Freun­din besucht hat­te. Dar­um kann­te der Hund genau den Weg zum Haus ihrer Freun­din. Sie hat­te sich aus­ge­dacht, dass der Hund der Freun­din das Geburts­tags­ge­schenk brin­gen soll­te. Dar­um mach­te sie eine Schlau­fe um ihr Geschenk und hing es dem Hund um den Hals. Dann gab sie ihm einen Klaps und sag­te: „Lauf damit zu Julia!“

Und tat­säch­lich der treue Hund hat­te sie ver­stan­den und lief, so schnell er konn­te, über den Geh­steig zum Haus der Freun­din. Wor­an Julia nicht gedacht hat­te, war, dass an dem Geh­steig gebaut wur­de. Vor der Bau­stel­le warn­te ein Schild: „Fuß­gän­ger, bit­te die gegen­über­lie­gen­de Stra­ßen­sei­te benut­zen!“ Weil aber der Hund nicht lesen konn­te, lief er ein­fach auf die­ser Stra­ßen­sei­te wei­ter und fiel in die Bau­gru­be. Da saß er gefan­gen und bell­te.

In der Gru­be arbei­te­te ein Bau­ar­bei­ter. „Was hast du denn Schö­nes um den Hals hän­gen?“ frag­te er den Hund. “Lass mal sehen!“ Und damit woll­te er ihm das Geschenk­pa­ket weg­neh­men.

„Nein, das darfst du nicht anfas­sen!“ sag­te der Hund. „Bit­te, hilf mir hier raus! Ich muss Julia das Geschenk von Julia brin­gen, sie hat doch heu­te Geburts­tag.“

„Ja war­um sagst du das nicht gleich?“ mein­te der Bau­ar­bei­ter und hob den Hund über den Rand der Bau­gru­be.

End­lich kam er am Haus von Julia an. Vom schnel­len Lau­fen hing ihm die Zun­ge zum Hals her­aus und er hechel­te. Er kratz­te an der Tür und bell­te, bis ihm auf­ge­macht wur­de.

Aber es war nicht Julia, son­dern ihre Mut­ter. Sie betrach­te­te das Geschenk­pa­ket und mein­te: „Ach Gott, wie lieb! Was für ein Jam­mer, dass Julia gar nicht zu Haus ist! Sie fei­ert ihren Geburts­tag bei den Groß­el­tern. Aber du kannst das Geschenk ja hier las­sen.“

Wie bit­te? Er hat­te den Auf­trag, Juli­as Geschenk an Julia zu über­ge­ben. Und das muss­te noch heu­te sein, denn heu­te hat­te Julia Geburts­tag.
Lei­der wohn­ten Juli­as Groß­el­tern weit weg auf dem Dorf, und der Weg dort­hin war für ihn zu weit, um heu­te noch hin­zu­kom­men. Wer konn­te denn nur das Geschenk noch heu­te zu Julia brin­gen? Zum Glück begeg­ne­te ihm ein Hase.

„He, Hase!“ rief Juli­as Hund. „Du kannst doch viel schnel­ler lau­fen als ich. Kannst du Juli­as Geschenk für Julia nicht zu Juli­as Groß­el­tern brin­gen? Sie hat doch heu­te Geburts­tag.“
„War­um nicht?“ nick­te der Hase. Der Hund schlüpf­te aus der Schlau­fe, der Hase schlüpf­te in die Schlau­fe und lief los wie der Blitz. Der Hase lief und lief, was er nur lau­fen konn­te. Um zum Dorf zu kom­men, in dem Juli­as Groß­el­tern wohn­ten, muss­te er durch einen gro­ßen Wald lau­fen. Im Wald kam er an einem Jäger­stand vor­bei, auf dem ein Jäger saß. Der sah den Hasen, leg­te das Gewehr an und woll­te abdrü­cken.

„Nein!“ rief der Hase. „Bit­te schieß mich nicht tot! Ich muss Julia das Geschenk von Julia brin­gen, sie hat doch heu­te Geburts­tag.“

„Ach so,“ mein­te der Jäger. „War­um sagst du das nicht gleich?“ Er senk­te das Gewehr und ließ den Hasen vor­bei­lau­fen.

End­lich kam der Hase zum Haus von Juli­as Groß­el­tern. Er keuch­te vom lan­gen Lau­fen, aber er hat­te es geschafft: Der Tag war noch lan­ge nicht zu Ende und noch immer hat­te Julia Geburts­tag. Wie soll­te er aber an der Hautür läu­ten? Er sprang immer wie­der gegen die Tür, bis er mit der Schnau­ze den Klin­gel­knopf erwisch­te.
Es war aber nicht Julia, die die Tür auf­mach­te, son­dern Juli­as Oma. Sie sah die Adres­se auf dem Geschenk­pa­ket und mein­te: „Mein Gott, wie lieb! Was für ein Jam­mer, dass Julia gar nicht hier ist! Sie ist von ihrem Opa in den Zir­kus ein­ge­la­den wor­den und mit ihm in die Stadt gefah­ren. Aber du kannst das Geschenk ja hier las­sen.“

Wie bit­te? Er hat­te den Auf­trag, Juli­as Geschenk an Julia zu über­ge­ben. Und das muss­te noch heu­te sein, denn nur heu­te hat­te sie Geburts­tag. Also muss­te er das Geschenk zum Zir­kus brin­gen. Aber als er zurück in die Stadt lief, fing es an dun­kel zu wer­den. Wie soll­te er in der Dun­kel­heit den Weg in die Stadt fin­den?
Zum Glück sah er eine Eule auf ihrem Baum sit­zen. „He Eule!“ rief er. „Du kannst doch nachts bes­ser sehen als ich. Kannst du das Paket nicht zu Julia in den Zir­kus brin­gen? Die hat doch heu­te Geburts­tag.“
„War­um nicht?“ nick­te die Eule und kam von ihrem Baum geflo­gen. Der Hase schlüpf­te aus der Schlau­fe und die Eule schlüpf­te in die Schlau­fe und flog los.
Sie flog und flog durch die Dun­kel­heit, bis sie in die Stadt kam.
 Eulen sehen in der Dun­kel­heit, aber hel­les Licht blen­det sie. In der Stadt aber leuch­te­ten die Stra­ßen­la­ter­nen und die Eule konn­te kaum noch etwas sehen. 
Sie ret­te­te sich durch eine Dach­lu­ke in einen Dach­bo­den, dort war es schum­me­rig und sie konn­te wie­der sehen. Sie hock­te auf einem Bal­ken und über­leg­te, wie sie mit Juli­as Geschenk für Julia zum Zir­kus kam. Da flamm­te plötz­lich der Licht­ke­gel einer Taschen­lam­pe auf, durch­such­te den Dach­bo­den, erfass­te und blen­de­te sie. Nun sah sie über­haupt nichts mehr.

Es war der Besit­zer des Hau­ses, der den Vogel durch den Dach­bo­den hat­te flat­tern hören. Als er die wun­der­schö­ne Eule ent­deck­te, schloss er die Dach­lu­ke, um sie ein­zu­fan­gen.

„Nein!“ rief da die Eule. „Bit­te sperr mich nicht ein! Ich muss Julia das Geschenk von Julia brin­gen, sie hat doch heu­te Geburts­tag.“

„Ach so,“ mein­te der Haus­be­sit­zer. „War­um sagst du das nicht gleich?“ Er mach­te die Dach­lu­ke wie­der auf und ließ die Eule weg­flie­gen.

Aber die Stadt war immer noch genau­so grell erleuch­tet und blen­de­te sie. Doch zwi­schen den Häu­sern und hell erleuch­te­ten Stra­ßen ent­deck­te die Eule ein unbe­leuch­te­tes Gelän­de. Das war der Stadt­park, dort gab es nur weni­ge Later­nen, dort konn­te sie wie­der bes­ser sehen. Aber wie  soll­te sie durch die beleuch­te­te Stadt zum Zir­kus fin­den, um Julia noch heu­te das Geschenk von Julia zu über­rei­chen?  Es war ja schon fast Nacht und Julia hat­te nur noch weni­ge Stun­den Geburtstag. 

Zum Glück sah sie im Gebüsch einen Hirsch ste­hen. 
„Hirsch, dich blen­den Stra­ßen­la­ter­nen doch nicht! Kannst du das Paket nicht zu Julia in den Zir­kus brin­gen? Die hat doch heu­te Geburts­tag.“
„War­um nicht?“ nick­te der Hirsch. Die Eule flog über den Hirsch weg, schlüpf­te aus der Schlau­fe und ließ das Geschenk­pa­ket zwi­schen die Hör­ner sei­nes Geweihs fal­len. Und schon lief der Hirsch los, lief kreuz und quer durch die Stra­ßen, sprang über Mau­ern und Zäu­ne und über­quer­te die Fahr­bahn, gleich­gül­tig, ob die Ampel rot oder grün zeig­te. 
Von wei­tem sah er schon das Zir­kus­zelt auf der Bür­ger­wei­de ste­hen, da ent­deck­te ihn eine Poli­zei­strei­fe. Ein Hirsch, der kreuz und quer durch die Stra­ßen läuft, über Mau­ern und Zäu­ne springt und die Fahr­bahn sogar bei roter Ampel über­quert? Solch ein Tier gefähr­det die Sicher­heit im Stra­ßen­ver­kehr!

Zwei Poli­zei­be­am­te spran­gen aus dem Wagen und zogen die Pis­to­len, um die­se Ver­kehrs­ge­fähr­dung zu besei­ti­gen.

„Nein!“ rief da der Hirsch. „Bit­te schießt nicht auf mich! Ich muss Julia das Geschenk von Julia brin­gen, sie hat doch heu­te Geburts­tag.“

„Ach so,“ mein­ten die Poli­zis­ten. „War­um sagst du das nicht gleich?“

Sie steck­ten ihre Pis­to­len wie­der ein und fuh­ren vor dem Hirsch her bis zum Zir­kus.

Und so kam es, dass an die­sem Abend ein Hirsch vor dem Zir­kus­zelt stand, der ein Geschenk­pa­ket im Geweih trug. Die Zir­kus­vor­stel­lung war gera­de vor­bei, die Leu­te kamen her­aus und alle dach­ten, dass der Hirsch vor dem Zir­kus­zelt zur Vor­stel­lung gehör­te.
Schließ­lich kam auch Julia mit dem Opa her­aus.
„Da schau mal!“ sag­te Julia. „Da steht ein Hirsch und trägt ein Geschenk­pa­ket im Geweih!“
 Sie lief zu dem Hirsch, um ihn zu strei­cheln, und da las sie, was auf dem Paket stand: „Für mei­ne bes­te Freun­din Julia von Julia.“

„Das ist ja für mich!“ rief sie aus, klatsch­te in die Hän­de und hol­te das Paket aus dem Geweih. Sie dreh­te sich zum Opa um und zeig­te ihm das Geschenk­pa­ket. Aber als sie sich bei dem Hirsch bedan­ken woll­te, war der nicht mehr zu sehen.

Auf­ge­regt riss sie das Paket auf. Was glaubt ihr wohl, was ihr Julia zum Geburts­tag geschenkt hat?