Das verjagte Spiegelbild

1.
Wie geht es euch am Mor­gen nach dem Auf­wa­chen? Springt ihr frisch und fröh­lich aus dem Bett? Oder geht es euch wie Herrn Mei­er? Der hat­te näm­lich mor­gens kurz nach dem Auf­ste­hen immer super schlech­te Lau­ne, und was glaubt ihr, an wem der die schlech­te Lau­ne aus­ließ? An sei­nem Spiegelbild!

Das ging dann so: Mei­er kommt ins Bad. Aus dem Spie­gel blickt ihn ein ver­quol­le­nes ver­knif­fe­nes Gesicht an. Kein Wun­der bei sei­ner Lau­ne! Aber was macht unser Herr Mei­er? Der beschimpft das Spie­gel­bild: „Mann, was schaust du wie­der bescheu­ert aus! Wie ein Fra­ge­zei­chen auf Urlaub! Das ist ja nicht zum Aus­hal­ten! Hast wohl Essig gesof­fen oder was.“

Oder er kam ins Bad und brüll­te: „Mich laust der Affe! Was ziehst du wie­der für eine trü­be Visa­ge! Komm mal end­lich in die Gän­ge, du wider­li­che Transuse!“

Und war­um er das mach­te? Nach dem Auf­ste­hen konn­te Mei­er sich selbst nicht lei­den. Aber sobald er sei­ne schlech­te Lau­ne an sei­nem Spie­gel­bild aus­ge­las­sen hat­te, fühl­te er sich erleich­tert und mach­te sich fröh­lich pfei­fend ans Frühstück.

2.
So ging das jeden Mor­gen, bis er eines Mor­gens ins Bad stapft, selbst die Augen noch kaum aus­ein­an­der kriegt und in den Spie­gel faucht: „Du alter Pen­ner! Du glotzt ja wie­der aus der Wäsche wie ein Uhu beim Fahr­rad­fah­ren!“
Plötz­lich hört er eine ärger­li­che wüten­de Stim­me: „Halt die Klap­pe, Mei­er!“
Unser Herr Mei­er blickt sich erschro­cken um. Aber hin­ter ihm war nie­mand, er stand allein im Bad.
„Ich höre Stim­men, wo nie­mand ist,“ keucht Mei­er. „Ich fürch­te, ich bin noch am Träu­men.“ Und um einen kla­ren Kopf zu krie­gen, ließ er das Wasch­be­cken voll lau­fen und streck­te den Kopf ins Was­ser. Als er aus dem Wasch­be­cken auf­tauch­te, lief ihm das Was­ser in Strö­men übers Gesicht.
Aber was sieht er im Spie­gel? Sein Spie­gel­bild ist kein biss­chen nass. Und es starrt ihn böse an. „Mei­er, du träumst nicht, du bist hell­wach.“ Und jetzt er sah er genau, dass das Spie­gel­bild dabei die Lip­pen beweg­te, obwohl er sel­ber nichts sag­te.
Mei­er zuck­te zusam­men. „Ein Spie­gel­bild, das quatscht? Wo gibt es denn so was? Ich glau­be, ich träum noch immer.“ Und er tauch­te den Kopf gleich noch mal ins Waschbecken.

Jetzt wird der Spuk vor­bei sein, mein­te er. Aber von wegen! Das Spie­gel­bild leg­te erst rich­tig los: „Mei­er, ich muss ein erns­tes Wort mit dir reden. Ich hab es satt, dass du mich jeden Mor­gen anmachst. Lade dei­ne schlech­te Lau­ne bit­te woan­ders ab!“
„Jetzt schlägt’s aber drei­zehn!“ erreg­te sich Mei­er. „Du ver­gisst wohl, wer du bist. Du bist nichts wei­ter als mein Spie­gel­bild. Wenn ich dich anma­che, mach ich mich an und das ist mei­ne Sache!“
„So? Das denkst du! Wen siehst du denn, wenn du in den Spie­gel schaust?“
„Was für eine Fra­ge! Ich sehe mich!“
„Nein. Du täuscht dich, mein Teu­rer! Du siehst mich!“
„Das wäre ja noch schö­ner! Was bil­dest du dir eigent­lich ein, wer du bist!“ belehr­te Mei­er sein Spie­gel­bild. „Als Spie­gel­bild hast du ers­tens pein­lich genau nach­zu­ma­chen, was dir vor­ge­macht wird. Zwei­tens hast du kein Recht, zu quas­seln. Damit das klar ist: Wenn ich mich jetzt ein­sei­fe, wirst du dich eben­falls genau dort ein­sei­fen, wo ich mich ein­sei­fe, und zwar ohne dabei einen Ton zu pfei­fen. Haben wir uns verstanden?“

Damit drück­te Mei­er sich Rasier­creme auf die Backe und ver­teil­te den Schaum über das Kinn, die Backen und die Ober­lip­pe. Ehe er den Rasier­ap­pa­rat ansetz­te, prüf­te er mit einem Blick in den Spie­gel, ob er sich auch über­all ein­ge­seift hat­te, wo ihm Bart­stop­peln wuch­sen.
Und was muss­te er bemer­ken? Sein Spie­gel­bild hielt noch immer den Rasier­pin­sel in der Hand und seif­te sich ein, aber nicht nur Kinn, Backen und Ober­lip­pe, son­dern auch noch die Nase, die Augen, die Stirn. Das gan­ze Gesicht war eine ein­zi­ge Wol­ke aus Schaum.
Mei­er war außer sich: „Das geht mir eine Num­mer zu weit, mein Lie­ber! Ich habe dei­ne Frech­hei­ten satt! Ent­we­der du benimmst dich, wie es sich für ein Spie­gel­bild gehört und machst mir stumm nach, was ich dir vor­ma­che. Oder ich jage dich davon und dann kannst du sehen, wo du bleibst!“
„Das wür­de dir schlecht bekom­men,“ kam es aus dem Spie­gel. „Ohne mich bist du auf­ge­schmis­sen.“
„Wie bit­te?“ keuch­te Mei­er. „Du und ver­schwin­den? Das geht ja gar nicht! Sobald ich in den Spie­gel schaue, must du auf­tau­chen, ob dir das passt oder nicht! Ich kann auf dich ver­zich­ten. Ich lebe auch ohne dich mun­ter wei­ter. Aber wenn ich nicht mehr in den Spie­gel schaue, bist du weg vom Fens­ter. Dann gibt es dich  nicht mehr!“
„Mach dir nichts vor! Ohne mich wür­dest du bald ziem­lich alt aus­schau­en. Die Augen wür­dest du dir nach mir aus­heu­len. Auf den Knien wür­dest du mich bit­ten zurück­zu­kom­men. Wol­len wir wet­ten?“
Das brach­te Mei­er end­gül­tig auf die Pal­me. „Nach dir? Dass ich nicht lache! Die­se Wet­te hast du schon ver­lo­ren! Das wer­de ich dir bewei­sen. Von jetzt an wer­de ich auf dich ver­zich­ten! Du bist ent­las­sen.“ schrie er. „Aus mei­nen Augen! Ver­schwin­de!“
Und was glaubt ihr, pas­sier­te? Man hör­te ein Geräusch, wie wenn ein Glas zer­springt. Pling! Und der Spie­gel blieb plötz­lich leer.
„Na bit­te, dem hab ich’s gezeigt!“ freu­te sich Mei­er. „Der geht mir nicht län­ger auf die Nerven.“

Dass er sein Spie­gel­bild ver­jagt hat­te, hat­te aller­dings einen Nach­teil: Als er jetzt wie­der nach dem Rasier­zeug griff, um sich zu rasie­ren, fehl­te ihm der Spie­gel. Immer wie­der schnitt er sich in die Backen und muss­te schließ­lich die blu­ten­den Schnit­te mit einem Pflas­ter verbinden.

3.
Ohne Spie­gel­bild zu leben, war aber tat­säch­lich gar nicht so ein­fach, wie Mei­er sich das gedacht hat­te. Dass er mor­gens im Bad in einen lee­ren Spie­gel schau­te, war das Wenigs­te, da wuss­te er sich zu hel­fen: Auf das Spie­gel­glas kleb­te er ein Por­trait­fo­to von sich, auf dem er freund­lich lächelnd in die Welt schau­te. Jeden Mor­gen trat er vor das Wasch­be­cken und freu­te sich über sein vor­teil­haf­tes Aus­se­hen.
Auch das Pro­blem mit dem Rasie­ren hat­te er rasch gelöst: Er ließ sich ein­fach einen Bart wachsen.

Was ihm bald Kum­mer mach­te, war etwas Ande­res. Zwar hat­te er sich rasch dar­an gewöhnt, dass die Spie­gel vor ihm leer blie­ben. Was ihn aber nerv­te, waren die Leu­te, die das spitz krieg­ten. Es war ja schon nicht aus­zu­hal­ten, dass sie ihn wie ein Mons­ter anstarr­ten. Noch schlim­mer aber waren die däm­li­chen Bemer­kun­gen, die er sich oft anhö­ren muss­te.
Da ging er zum Bei­spiel eines Abends in ein Restau­rant. Bevor er sich setz­te, ver­schwand er kurz in den Toi­let­ten. Wäh­rend er sich dort am Wasch­be­cken die Hän­de wäscht, kommt so ein jun­ger Schnö­sel rein, glotzt ihn plötz­lich an wie ein Mond­kalb. Erst jetzt fällt Mei­er wie­der ein, dass er ja kein Spie­gel­bild wirft, er beugt sich schnell über das Wasch­be­cken und tut so, als wür­de er sich das Gesicht waschen. Aber es war wohl schon zu spät, der Kerl war schon fast so schnell durch die Tür ver­schwun­den, wie er rein­ge­kom­men war.

Dum­mer­wei­se war das einer von den Köchen aus der Küche, und dem fällt nichts ande­res ein als gleich zum Restau­rant­be­sit­zer zu lau­fen: „He Chef, ich fürch­te, wir haben heut einen Geist im Haus.“ Und er erzählt ihm gleich auf­ge­regt, dass der Kerl in der Toi­let­te um Spie­gel nicht zu sehen war.
Und als sich Mei­er ahnungs­los an sei­nen Tisch setzt, kommt auch gleich eine Bedie­nung ange­lau­fen. Aber statt sei­ne Bestel­lung auf­zu­neh­men, hält sie ihm blitz­schnell einen Spie­gel vor die Nase und hin­ter ihm faucht jemand: „Mein Herr, ver­las­sen Sie auf der Stel­le mein Lokal! Sie haben hier Hausverbot.“

Was soll­te er machen? Von da an mied Mai­er nicht nur öffent­li­che Toi­let­ten, son­dern alle Plät­ze, wo  Spie­gel hän­gen konnten. 

Könnt ihr euch den­ken, wo man sonst noch ris­kiert, auf Spie­gel zu treffen?

Aber es sind ja nicht nur eigent­li­che Spie­gel, die ein Spie­gel­bild wer­fen kön­nen.
Zum Bei­spiel ging er eines Mor­gens  bei Son­nen­schein an der Schau­fens­ter­front eines Kauf­hau­ses vor­bei. Plötz­lich hört er hin­ter sich eine Kin­der­stim­me rufen: „Du Mama, war­um sieht man den Onkel da gar nicht?“ Und als er sich umdreht, deu­tet ein klei­nes Mäd­chen, das an der Hand sei­ner Mut­ter geht, auf die Schau­fens­ter­schei­be, in der zwar sie und ihre Mama, aber kein Mei­er zu sehen ist.
„Was geht Sie das an?“ schimpf­te Mei­er. „Küm­mern Sie sich um Ihren eige­nen Mist!“
Mei­er war so erschro­cken, dass er ohne sich umzu­se­hen, die Stra­ße über­quer­te, dabei hät­te ihn fast ein Auto über­fah­ren. Aber die ande­re Stra­ßen­sei­te half Mei­er auch nicht viel. Denn dort stieß er wie­der auf ein Geschäft mit brei­ten Schau­fens­tern. Wenigs­tens beob­ach­te­te ihn dies­mal nie­mand. Aber Mei­er hat­te die Nase voll und lief schleu­nigst wie­der nach Hau­se.
Von da an ach­te er auch pein­lich dar­auf, dass er bei Son­nen­schein nicht durch die Stadt lief. Sei­ne Ein­käu­fe mach­te er jetzt meist erst nach Ein­bruch der Dunkelheit.

Aber auch das nutz­te ihm wenig. Es sind ja nicht nur Fens­ter­schei­ben, die Spie­gel­bil­der wer­fen können.

Wisst ihr, wel­ches Mate­ri­al sonst noch spie­geln kann?

Mei­er lieb­te es immer, am See­ufer im Stadt­park spa­zie­ren zu gehen, aber damit war es auch bald vor­bei. Als er dort wie­der ein­mal ent­lang lief, spür­te er plötz­lich eine Hand an sei­ner Schul­ter. Mei­er fuhr her­um. Vor ihm stand eine alte Dame und rief: „Ent­schul­di­gen Sie bit­te, es ist nicht bös gemeint. Ich woll­te doch nur wis­sen, ob Sie aus Fleisch und Blut sind?“
„Was dach­ten Sie wohl?“ knurr­te Mei­er.
„Bit­te, ver­zei­hen Sie mir! Ich weiß auch nicht. Ich hat­te so einen Schreck, als ich sah, dass Sie sich gar nicht im Was­ser spie­geln.“
Seit­dem wag­te sich Mei­er auch nicht mehr an den See im Stadt­park. Und nicht nur das! Von da an mach­te er bei Regen­wet­ter selbst um jede klei­ne Pfüt­ze einen Bogen, selbst Pfüt­zen konn­ten ja spiegeln.

Aber es kam sogar noch schlim­mer. Bald näm­lich starr­ten ihn Leu­te nicht nur an, weil er in kei­nem Spie­gel erschien. Sie starr­ten ihn an, weil er inzwi­schen aus­schau­te wie von einem andern Stern.
Und das kam so: Neh­men wir an, er geneh­mig­te sich zum Früh­stück ein wei­ches Ei, dabei fie­len ihm beim Aus­löf­feln leicht eini­ge Trop­fen Eigelb auf sei­nen strub­be­li­gen Bart. Aber wie soll­te er bemer­ken, dass er gel­be Fle­cken auf dem Bart hat­te, ohne einen Spie­gel zu benut­zen? Oder er repa­rier­te gera­de sein Fahr­rad, hat­te kohl­ra­ben­schwar­ze Hän­de, plötz­lich juck­te es ihn an der Backe, er kratz­te sich und was pas­sier­te? Na klar, dicke schwar­ze Strei­fen lie­fen ihm über das Gesicht, nur merk­te er das nicht.
Die Haa­re flat­ter­ten ihm sowie­so schon wild um den Schä­del. Denn zum Fri­seur konn­te er ja schon lan­ge nicht mehr gehen, dort hät­te er ja vor einem Spie­gel sit­zen müs­sen.
Und weil er ohne Spie­gel nicht mehr auf sein Aus­se­hen ach­ten konn­te, lief Herr Mei­er bald so unge­pflegt und ver­nach­läs­sigt her­um, dass die Nach­barn nur die Köp­fe schüt­tel­ten. Schließ­lich fin­gen die Kin­der auf der Stra­ße schon an, mit dem Fin­ger auf ihn zu zei­gen und ihm „Gam­mel­mei­er“ nachzurufen.

4.
Bis eines Tages ein guter Freund mein­te: „Mei­er, du ver­lot­terst! Du soll­test etwas mehr auf dich ach­ten!“
Mei­er kamen fast die Trä­nen: „Du hast gut reden! Du hast ein Spie­gel­bild!“ Und da gestand ihm Mei­er, dass er sein Spie­gel­bild davon gejagt hat­te.
„Wie kannst du das machen?“ schimpf­te der Freund. „Dein Spie­gel­bild gehört zu dir wie dei­ne Füße oder dein Kopf. Ohne das Spie­gel­bild bist du nur ein hal­ber Mensch. Du musst es sofort zurück­ru­fen!“
„Wie soll das gehen? Weiß der Him­mel, wo es sich her­um­treibt,“ jam­mer­te Mei­er.
„Du musst ihm eine Chan­ce geben. Wie soll es zurück­kom­men, wenn du dei­nen Spie­gel ver­hüllst. Zual­ler­erst nimmst du dein Por­trait­fo­to vom Spie­gel.“
Mei­er folg­te dem Rat und ent­fern­te sein Foto vom Bade­zim­mer­spie­gel. Am nächs­ten Mor­gen stürm­te er vol­ler Erwar­tung ins Bad, aber der Spie­gel blieb leer.

Sein Freund mein­te: „Viel­leicht musst du dich bei ihm ent­schul­di­gen und ihn bit­ten zurück­zu­kom­men. Aber bit­te recht freund­lich, hörst du.“
Des­we­gen stell­te sich Mei­er am nächs­ten Tag vor sei­nen Spie­gel und erklär­te ihm: „Mein lie­bes, lie­bes Spie­gel­bild, es tut mir von Her­zen leid, dass ich dich davon­ge­jagt habe. Bit­te, bit­te, komm zu mir zurück!“
Er war­te­te, war­te­te und war­te­te, aber der Spie­gel blieb leer. Dann dach­te Mei­er: Viel­leicht war das nicht stark genug. Ich muss ihn anfle­hen. Und des­we­gen ging er vor dem lee­ren Spie­gel auf die Knie und jam­mer­te: „Mein gelieb­tes Spie­gel­bild, hier lie­ge ich vor dir auf den Knien und fle­he dich an: Ver­zei­he mir und komm zurück! Ich ver­zeh­re mich vor Sehn­sucht nach dir. Ach bit­te, bit­te, lass mich nicht län­ger schmach­ten.“
Er war­te­te, war­te­te und war­te­te, aber der Spie­gel blieb wei­ter leer. Dann dach­te Mei­er: Viel­leicht soll­te ich es mit einem Befehl pro­bie­ren. Und des­we­gen schrie er den Spie­gel an: „Hier spricht dein Chef! Du kommst auf der Stel­le zurück. Das ist ein Befehl! Ich zäh­le bis drei, bist du dann nicht zurück, wer­de ich dich von der Poli­zei suchen las­sen. Ver­stan­den! Eins. zwei, drei.“
Aber meint ihr, das Spie­gel­bild wäre jetzt erschie­nen? Nicht die Spur!
Als er dar­über nach­dach­te, sag­te sich Mei­er: Ist ja eigent­lich ganz logisch. Der sitzt ja sicher nicht hin­ter dem Spie­gel, also kann er mich weder hören noch sehen. Ich muss ihm eine Nach­richt schi­cken. Nur, wie errei­che ich den Kerl? Brief schrei­ben geht nicht, ich habe doch kei­ne Adres­se. Aber viel­leicht könn­te ich ihm eine E-Mail schrei­ben, ging es ihm durch den Kopf. Nur wie lau­te­te wohl die E-Mail-Adres­se sei­nes Spiegelbildes?

Habt ihr eine Idee, wie die E-Mail-Adres­se von Mei­ers Spie­gel­bild lau­ten könnte?

Mit­ten in der Nacht kam ihm der ret­ten­de Ein­fall? Ein Spie­gel­bild muss­te doch eigent­lich die glei­che Adres­se haben wie der Mensch, zu dem es gehör­te, nur eben spie­gel­ver­kehrt. Und des­halb sprang er gleich aus dem Bett und gab als Adres­se sei­nen Namen Hei­ner Mei­er ver­kehrt her­um ein: rei­em ren­eih.
Noch mit­ten in der Nacht setz­te er sich an sei­nen Com­pu­ter und schrieb:: „Mein lie­bes Spie­gel­bild, bit­te, komm zu mir zurück! Ich gebe zu, du hast die Wet­te gewon­nen, ich weiß  schon nicht mehr, wie ich aus­se­he und wer ich bin. Ich kann ohne dich nicht leben. Dein Eben­bild Mei­er.“
Aber dann ging ihm plötz­lich durch den Kopf: „Ob der über­haupt lesen kann?“ Er über­leg­te: Wenn der lesen kann, dann bestimmt nur in Spiegelschrift.

Aber wie soll­te  er sei­ne Bot­schaft in Spie­gel­schrift verwandeln?

Mei­er  wuss­te sich zu hel­fen: Er druck­te die­se Nach­richt auf durch­sich­ti­ges Papier aus, beleuch­te­te das Blatt von vor­ne, foto­gra­fier­te des­sen Rück­sei­te, scann­te das Schrift­bild und schick­te  die Bot­schaft los.

Und tat­säch­lich, es klapp­te. Denn wer blick­te ihm am nächs­ten Mor­gen aus dem Spie­gel ent­ge­gen? Sein ver­schwun­de­nes Spie­gel­bild.
Unser Herr Mei­er lach­te ihn glück­lich an. „Wie wun­der­bar, dass du wie­der zurück bist, mein Lie­ber! Wie geht es dir?“
Das Spie­gel­bild lach­te zurück und mein­te: „Gra­de geht es mir wirk­lich groß­ar­tig! Hät­test du mich nur immer so fröh­lich ange­lacht wie heu­te, wäre ich nie auf die Idee gekom­men, dich anzu­ma­chen. Aber jeden Mor­gen in eine gries­grä­mi­ge ver­penn­te Visa­ge zu bli­cken und dann auch noch beschimpft zu wer­den, das war wirk­lich zu viel ver­langt! Wer soll denn das auf die Dau­er aushalten?“

Glück­lich begann Mei­er sich end­lich wie­der von sei­nem strup­pi­gen Bart zu befrei­en. Zuerst schnitt er sich mit der Sche­re die lan­gen Bart­haa­re ab. Dann drück­te er sich Rasier­creme auf die Backe und ver­teil­te den Schaum über das Kinn, die Backen und die Ober­lip­pe. Ehe er den Rasier­ap­pa­rat ansetz­te, prüf­te er mit einem Blick in den Spie­gel, ob er sich auch über­all ein­ge­seift hat­te.
Und was sah er im Spie­gel? Sein Spie­gel­bild hielt noch immer den Rasier­pin­sel in der Hand und seif­te sich ein, aber nicht nur Kinn, Backen und Ober­lip­pe, son­dern auch noch die Nase, die Augen, die Stirn. Das gan­ze Gesicht war eine ein­zi­ge Wol­ke aus Schaum.
Da griff auch unser Herr Mei­er wie­der nach sei­nem Pin­sel und seif­te sich selbst auch die Nase, die Augen und die Stirn ein. Dar­über muss­te er lachen, und auch sein Spie­gel­bild begann mit­zu­la­chen. Als sich Herr Mei­er lachend den Schaum von der Stirn, der Nase und den Augen wisch­te, wisch­te sich auch sein Spie­gel­bild den Schaum ab.

Und wisst ihr, was unser Herr Mei­er nun jeden Mor­gen beim Auf­ste­hen macht? Sobald er sein Bade­zim­mer betritt, ruft er nicht nur fröh­lich einen wun­der­schö­nen guten Mor­gen und lacht dabei den Spie­gel aus vol­lem Her­zen an, er setzt sei­nem Spie­gel­bild auch noch einen dicken Kuss auf die Backe.
Und was glaubt ihr, macht das Spie­gel­bild? Es grüßt zurück, lacht und küsst unsern Herrn Mei­er. Und seit­dem ver­ste­hen sich die Bei­den ganz präch­tig und sind wie­der ein Herz und eine Seele.