Es war einmal ein Krokodil, das hasste alles, was grün war. Zum Beispiel hasste es Bäume, es hasste Gras, es hasste Förster, es hasste Gurken, es hasste Frösche.
Was weiß ich, was es noch alles hasste! Das werdet ihr euch ja denken können.
Aber was es am meisten hasste, war sein eigener Schwanz. Wenn es den zwischen die Zähne gekriegt hätte, es hätte ihn vor Wut glatt abgebissen.
Nun stellt euch vor, dieses Krokodil kommt eines Tages an eine Ampel, und diese Ampel besitzt die Frechheit und schaltet von Rot auf Gelb auf Grün. Da hättet ihr das Krokodil erleben sollen! Es schimpfte und tobte, zeigte die Zähne, trampelte aufs Pflaster und trat gegen die Ampel.
Die Ampel muss fürchterlich erschrocken sein, denn auf der Stelle schaltete sie gleich wieder von Grün auf Gelb auf Rot. Das Krokodil war sehr zufrieden. Es sagte: „Lass‘ dich nicht noch mal erwischen!“ und wollte weitergehen. Aber kaum hatte es der Ampel den Rücken zugedreht, was machte da dieses freche Stück? Es schaltete gleich wieder von Rot auf Gelb auf Grün.
Zum Glück hatte es das Krokodil aus den Augenwinkeln beobachtet. Es fuhr herum, schimpfte und tobte, zeigte die Zähne, trampelte aufs Pflaster und trat gegen die Ampel. Und tatsächlich, die Ampel kriegte es mit der Angst und schaltete schnell von Grün auf Gelb auf Rot. Schon wollte sich das Krokodil wieder davonmachen.
Aber was musste es da aus den Augenwinkeln mit ansehen? Kaum hatte ihr das Krokodil den Rücken zugekehrt, schaltete diese dreiste Ampel wieder von Rot auf Gelb auf Grün zurück. Das Krokodil fuhr herum, schimpfte und tobte, zeigte die Zähne, trampelte aufs Pflaster und trat gegen die Ampel.
Und was sage ich euch? Jedes Mal, wenn das wütende Krokodil auf die Ampel losging, schaltete sie brav auf Rot. Aber kaum kehrte das Tier ihm den Rücken, schaltete es gleich wieder auf Grün zurück. Da konnte das Krokodil doch nicht einfach weggehen. Oder? Deshalb blieb das Krokodil an der Ampel, und jedes Mal, wenn sie auf Grün schaltete, schimpfte und tobte es, zeigte die Zähne, trampelte aufs Pflaster und trat gegen die Ampel, bis sie wieder auf Rot schaltete.
Wozu ist eine Ampel gut, die von einem wütenden Krokodil belagert wird? Zu Fuß wagte sich niemand mehr an dieser Ampel über die Straße zu gehen, aus Angst, von dem wütenden Krokodil gebissen zu werden. Und sogar die Autofahrer machten lieber Umwege, um diese Kreuzung zu meiden. Wer weiß, am Ende würde dieses Vieh noch gegen ihre Kotflügel treten und den Lack an ihrem Auto zerkratzen.
Immer mehr Leute schimpften darüber, dass sie diese Kreuzung nicht mehr benutzen konnten. Und als das die Zeitungsmacher bemerkten, schrieben sie in der Zeitung: „Warum duldet unsere Behörde, dass ein Krokodil mitten in der Stadt eine viel befahrene Straßenkreuzung blockiert? Wozu gibt es Experten, die mit so einem verrückt gewordenen Tier umzugehen verstehen?“
Das las auch ein Tierpsychologe, meldete sich bei der zuständigen Behörde und erklärte, dass man solchen Tieren niemals mit nackter Gewalt kommen darf. „Es muss ein furchtbares Erlebnis gehabt haben, nur deshalb hasst es seine eigene Farbe. Man muss ihm das Selbstvertrauen zurückgeben, dann verschwindet es von selbst.“
Daraufhin beauftragte die Behörde den Psychologen, das Krokodil von der Ampel zu entfernen. Der Psychologe kam auch gleich mit einem großen Spiegel zum Krokodil an der Ampel. Er grüßte es ganz freundlich: „Hallo Krokodil! Ich sehe, du bist sehr beschäftigt.“
„Quatsch mich nicht an!“ fauchte das Krokodil. „Ich muss mit einer unverschämten Ampel kämpfen.“
„Recht hast du. Zeig es ihr!“ meinte der Psychologe. „Aber was ich dich noch fragen wollte: Hast du eigentlich schon einmal bemerkt, wie hübsch du bist? Und vor allem, was du für einen wunderschönen Schwanz besitzt?“
„Hör mir bloß damit auf!“ keuchte das Krokodil. „Mein Schwanz ist zum Kotzen! Der ist grün!“
„Aber was für ein bezauberndes Grün!“ antwortete der Psychologe. „Schau doch, wie geheimnisvoll es schimmert! Einfach hinreißend!“ Und damit stellte er den Spiegel vor dem Krokodil auf.
Nein, so was Nettes hatte dem Krokodil noch niemand gesagt! Es begann sich verstohlen im Spiegel zu betrachten. Und wirklich, sein Schwanz schimmerte in einem geheimnisvollen und bezaubernden Grün. Je mehr es ihn anschaute, desto besser gefiel er ihm. Ja, das Krokodil fand dieses Grün tatsächlich irgendwie unvergleichlich. Und überhaupt, wenn es das genau bedachte, war Grün doch eigentlich die schönste Farbe der Welt.
„Na bitte!“ sagte der Psychologe, nahm seinen Spiegel und ging nach Hause.
Ja glaubt ihr, das Krokodil hätte jetzt die Ampel geräumt? Von wegen! Weil es Grün nun so hinreißend fand, wollte es jetzt, dass die Ampel immer nur Grün zeigte. Aber was machte dieses Miststück von einer Ampel? Kaum hatte es Grün angezeigt, schaltete es gleich wieder auf Gelb und auf Rot. Das konnte ihm das Krokodil doch nicht einfach durchgehen lassen. Oder?
Es fuhr auf die Ampel los, schimpfte und tobte, zeigte die Zähne, trampelte aufs Pflaster und trat gegen die Ampel. Die Ampel erschrak und schaltete auf der Stelle wieder von Rot auf Gelb auf Grün.
Aber was machte dieses Miststück von einer Ampel, kaum dass ihm das Krokodil wieder den Rücken zugekehrt hatte? Sie schaltete gleich wieder von Grün auf Gelb auf Rot zurück. Das Krokodil fuhr herum, schimpfte und tobte, zeigte die Zähne, trampelte aufs Pflaster und trat gegen die Ampel.
Und was sage ich euch? Jedes Mal, wenn das wütende Krokodil auf die Ampel losging, schaltete sie brav wieder auf Grün. Aber kaum kehrte das Tier ihm den Rücken, schaltete sie gleich wieder auf Rot zurück. Da konnte das Krokodil doch nicht einfach weggehen. Oder?
Deshalb blieb das Krokodil an der Ampel, und jedes Mal, wenn sie auf Rot schaltete, schimpfte und tobte es, zeigte die Zähne, trampelte aufs Pflaster und trat gegen die Ampel.
Ihr könnt euch ausmalen, was sie jetzt in der Zeitung schrieben. „Unfassbar! Ein ausgeflipptes Krokodil bedroht die öffentliche Sicherheit. Wieso darf dieses Untier ungestraft an unserer Ampel herumlungern? Wann sorgt die Behörde endlich für Ordnung auf unseren Straßen? Warum wird diese verrückte Bestie nicht kurzerhand kalt gemacht?“
In der Verkehrsbehörde wurde daraufhin beschlossen, unnachgiebig für Ordnung zu sorgen. Man beauftragte einen erfahrenen Großwildjäger, das Krokodil mit einem Giftpfeil zu betäuben und wegzuschaffen. Für die Jagd auf das Krokodil wurde die Kreuzung gesperrt. Leider duckte sich das Krokodil, als der Großwildjäger auf das Tier anlegte. Der Giftpfeil traf einen Polizisten, der auf der anderen Straßebseite wartete und auf der Stelle betäubt umfiel.
Der Großwildjäger legte einen zweiten Giftpfeil ein. Aber als er abdrücken wollte, riss das Krokodil seinen Rachen auf. Der Großwildjäger wusste, wie gefährlich Krokodile werden können, er bekam es mit der Angst und zitterte. Deswegen schoss er daneben, der Giftpfeil traf eine alte Frau, die gerade aus dem Fenster schaute und ohnmächtig auf der Fensterbank zusammensackte.
Da schickten die Behörden den Großwildjäger mit seinen Giftpfeilen nach Hause.
Was glaubt ihr wohl, was sie jetzt in den Zeitungen schrieben? „Skandal! Himmelschreiende Unfähigkeit unserer Behörden! Zwei Unschuldige erlegt und das Untier lauert noch immer an der Ampel.“
Zum Glück verschwand das Krokodil, bevor die Behörden auf die Idee kamen, es kurzerhand kalt zu machen. Und wisst ihr, wieso? Ganz einfach: Mit seinen wütenden Tritten gegen die Ampel hatte das Krokodil die Schaltautomatik beschädigt. Und siehe da, die Ampel hörte plötzlich mit dem Umschalten auf. Weil sie gerade auf Grün stand, blieb sie auf Grün stehen.
Da hättet ihr das Krokodil sehen sollen! Mit aufgerichtetem Schwanz drehte es sich um, um wegzugehen, aber aus den Augenwinkeln beobachtete es immer noch die dreiste Ampel. Aber die hatte ihr Fett weg! Die dachte nicht mehr daran, hinter seinem Rücken auf Rot zu schalten. Zufrieden und stolz konnte sich das Krokodil endlich davonmachen.
Was das Krokodil nicht ahnte: Es dauerte nicht lange, da ließ die Verkehrspolizei den Schaltmechanismus reparieren und die Ampel wechselte nun wieder von grün auf gelb auf rot und von rot auf gelb und auf grün. Aber das bekam das Krokodil nicht mit. Warum sollte es auch zu der Ampel zurückkehren? Der hatte es ja ein für allemal gezeigt, dass es sich nicht verhohnepiepeln ließ!
Und seit diesem Tag liebte dieses Krokodil alles, was grün war. Es liebte Bäume, es liebte Gras, es liebte Förster, es liebte Gurken, es liebte Frösche.
Was weiß ich, was es noch alles liebte? Das werdet ihr euch ja denken können.
Aber am allermeisten liebte es seinen wunderschönen Schwanz, weil der so hinreißend grün war und so geheimnisvoll schimmerte.
Ursprünglich erschienen in: Johannes Merkel: Das Krokodil an der Ampel, Berlin 1988, S.5-9
Zeichnungen: Dieter Malzacher