Die Geschichte von Abu Kassem und seinen Pantoffeln

Abu Kas­sem war der reichs­te Kauf­mann von Bag­dad, aber er war lei­der auch der gei­zigs­te. Nicht nur, dass er nie­man­dem auch nur einen Pfen­nig schenk­te, auch sich selbst gönn­te er nichts. Sei­ne Hem­den trug er min­des­tens fünf, sei­ne Hosen zehn Jah­re, und was sei­ne Schu­he betraf, hät­te er selbst nicht ange­ben kön­nen, wie lan­ge er schon damit her­um­lief. Sofern man sie noch Schu­he nen­nen will! Es waren nur schlich­te Pan­tof­feln, wie sie jeder Last­rä­ger anhat­te, aber der Geiz­kra­gen dach­te nicht dar­an, sie zu wech­seln. Wenn die Soh­len durch­ge­lau­fen waren, ließ er eine neue Soh­le auf­na­geln. Wenn das Ober­le­der brü­chig und ris­sig wur­de, ließ er noch einen Leder­fli­cken drauf­set­zen. Daher waren sie Schu­he immer grö­ßer und schwe­rer gewor­den, hin­gen wie klei­ne Schif­fe an sei­nen Füßen und in ganz Bag­dad war er berüch­tigt für die Klo­ben, mit denen er durch die Stra­ßen stapf­te. So gut wie jeder in der Stadt kann­te den stein­rei­chen Filz, der zu gei­zig war, sich neue Schu­he anfer­ti­gen zu las­sen. Wenn ihn die Leu­te von wei­tem sahen, mein­ten sie lachend: „Schau an, da kom­men zwei Pan­tof­feln mit Abu Kassem.“

Abu Kas­sem hat­te einen guten Freund, der sich dafür schäm­te, dass der Geiz­kra­gen wegen sei­ner Schu­he zum Gespött wur­de. Des­halb hol­te er eines Tages, wäh­rend Abu Kas­sem drin­nen bete­te, des­sen alte Lat­schen aus dem Vor­raum der Moschee und ersetz­te sie durch ein Paar neu­er Schu­he.
 Als Abu Kas­sem das Got­tes­haus ver­ließ, fand er an der Stel­le sei­ner geflick­ten ein Paar nagel­neue Pan­tof­feln. Er war­te­te, bis alle Gläu­bi­gen die Moschee ver­las­sen hat­ten und stell­te dann beglückt fest, dass sie noch immer auf dem Platz stan­den, wo er sei­ne alten Lat­schen abge­stellt hat­te. Zufrie­den schlüpf­te er in die neu­en Schu­he und ging sei­ner Wege. Es schien ein glück­li­cher Tag für ihn zu wer­den. Nicht nur, dass er ohne Unkos­ten zu neu­em Schuh­werk gekom­men war. Im Bazar bot ihm der Ver­mitt­ler eine höchst güns­ti­ge Ladung wert­vol­ler Glas­ge­fä­ße an, danach erstand er weit unter Preis ein Fass Rosen­was­ser, ließ das kost­ba­re Nass in die Glä­ser fül­len und zu sich nach Hau­se schaffen.

Was war aber aus sei­nen abge­nutz­ten Lat­schen gewor­den? Damit der Geiz­kra­gen ihret­we­gen nie mehr zur Lach­num­mer wer­den wür­de, hat­te sein Freund sie inein­an­der gesteckt und in den Tigris gewor­fen. Als am nächs­ten Mor­gen ein Fischer sei­ne Angel aus­warf, ver­fing sich der Haken in den Pan­tof­feln. Der Fischer erkann­te gleich, was er da gean­gelt hat­te. Er ver­mu­te­te, der gei­zi­ge Kauf­mann wür­de sei­ne gelieb­ten Pan­tof­feln ver­mis­sen und als ein freund­li­cher Mensch, der er war, lief er zu des­sen Haus, um sie ihm zurück zu brin­gen. Das Haus fand er abge­schlos­sen, nur über der Tür stand ein Fens­ter­chen offen. Der Fischer warf die Schu­he durch das Fens­ter­chen und ging weg.

Als Abu Kas­sem nach Haus kam, war er fast am Durch­dre­hen: Sei­ne wert­vol­len Glä­ser lagen in Scher­ben und zwi­schen dem ver­schüt­te­ten Rosen­was­ser schwam­men sei­ne abge­nutz­ten Schlap­pen. Weiß der Him­mel, wie die da hin­ge­kom­men waren! Vor­sichts­hal­ber ver­kno­te­te er sie mit­ein­an­der und stell­te sie auf dem Haus­dach in die Son­ne. Man konn­te ja nie wis­sen, viel­leicht wür­den sie ihm doch noch ein­mal gute Diens­te leisten.

Der Geruch des Rosen­was­sers aber lock­te einen Hund an, der von der Alta­ne des Nach­bar­hau­ses auf Abu Kas­sems Dach sprang, die Pan­tof­fel ins Maul nahm und über die enge Gas­se auf das Nach­bar­haus zurück­sprang. Lei­der fie­len sie ihm mit­ten im Sprung aus dem Maul, stürz­ten in die enge Gas­se und tra­fen eine jun­ge Frau, die gera­de durch die Gas­se ging. Sie schrie laut auf, denn sie war schwan­ger und die klo­bi­gen Lat­schen waren ihr auf den Bauch gefal­len. Sie schlepp­te sich noch nach Haus, wo sie ihr Kind ver­lor.

Wie jeder­mann in Bag­dad kann­te ihr Ehe­mann Abu Kas­sems berüch­tig­te Pan­tof­feln. Er lief auf der Stel­le zum Kadi und ver­klag­te den Kauf­mann auf Scha­den­er­satz. Der Rich­ter ließ Abul Kas­sem ver­haf­ten und ver­ur­teil­te ihn dazu, dem Ehe­mann zur Ent­schä­di­gung ein Vier­tel sei­nes Ver­mö­gens zu über­las­sen. Nach der Ver­hand­lung wur­den ihm aber die Pan­tof­feln, die das Unglück ver­schul­det hat­ten, als sein recht­mä­ßi­ges Eigen­tum wie­der ausgehändigt.

Mit den alten Schlap­pen unter dem Arm kehr­te Abu Kas­sem nach Haus zurück, fest ent­schlos­sen, die­se Unglücks­lat­schen, die ihm um ein Vier­tel sei­nes hart erar­bei­te­ten Ver­mö­gens gebracht hat­ten, bei der nächst­bes­ten Gele­gen­heit los­zu­wer­den. Er war­te­te nur noch den Ein­bruch der Nacht ab, um im Hof sei­nes Hau­ses ein Feu­er zu ent­fa­chen. Sobald das Feu­er ordent­lich brann­te, schleu­der­te er die ver­fluch­ten Schu­he in die Flam­men und ver­wünsch­te sie auf Nim­mer­wie­der­se­hen.
Zufrie­den, sie ein für alle­mal los­zu­sein, zog er sich zum Abend­essen ins Haus zurück.

Der Schein des Feu­ers aber hat­te die Nach­bar­schaft auf­ge­schreckt, die aus Furcht, der Brand könn­te auf ihre Häu­ser über­grei­fen, auf Dächer und Alta­nen stie­gen und Kübel voll Was­ser auf die Flam­men kipp­ten. Inzwi­schen hat­ten aber die auf­lo­dern­den Flam­men eine Mat­te in Brand gesetzt, die gegen die Son­ne über dem Hof aus­ge­spannt waren. Über die bren­nen­de Mat­te fing auch das Haus selbst Feu­er und brann­te bis auf die Grund­mau­ern nieder.

Am nächs­ten Mor­gen saß Abu Kas­sem zwi­schen der Asche sei­nes Hau­ses und alles, was heil geblie­ben war, waren sei­ne Pan­tof­feln, die dank der Was­ser­güs­se der Nach­barn das Feu­er unbe­scha­det über­stan­den hat­ten.
Abu Kas­sem grü­bel­te nach, wie er die­se unse­li­gen Schlap­pen, die ihn wie ein böser Fluch zu ver­fol­gen schie­nen, ein für alle­mal ent­sor­gen könn­te. Schließ­lich hat­te er die Lösung: Er wür­de sie zer­schnei­den und die­se Tei­le weit über die Stadt ver­streu­en. Einen hal­ben Schuh wür­de nie­mand mehr mit ihm in Ver­bin­dung brin­gen. Es war aller­dings nicht so ein­fach, die unför­mi­gen Lat­schen mit ihren zahl­lo­sen auf­ge­setz­ten Soh­len zu durch­tren­nen, aber mit einem Beil gelang es ihm und er mach­te sich auf den Weg, die vier Hälf­ten quer über die Stadt zu ver­tei­len.

Den ers­ten hal­ben Schuh warf er in die Sat­tel­ta­sche eines Esels, der vor dem Bazar war­te­te und schon halb mit Gemü­se­ab­fäl­len bela­den war. Der zwei­te lan­de­te am ande­ren Ende der Stadt in einem Teich. Den drit­ten schleu­der­te er in der Nähe des Tigris über eine halb ver­fal­le­ne Mau­er. Schließ­lich ent­deck­te er am Fluss einen Raben, der sich in einem zer­ris­se­nen Fischer­netz ver­fan­gen hat­te. Er befrei­te den Vogel, band ihm die letz­ten Schuh­hälf­te an die Füße und ließ ihn davon flie­gen. Er war sich abso­lut sicher, dass er sich von die­sen rach­süch­ti­gen Tre­tern befreit hat­te, mie­te­te ein neu­es Haus und ging wie­der sei­nen gewohn­ten Geschäf­ten nach, nicht ahnend, dass sich schon wie­der neu­es Unglück über ihm zusam­men­brau­te.

Denn schon am nächs­ten Mor­gen stürz­te ein Fuhr­knecht in die Amts­stu­be des Rich­ters und beklag­te sich dar­über, dass ihn sein Arbeit­ge­ber unge­recht­fer­tigt geschla­gen und miss­han­delt habe. „Was kann ich dafür, dass man mir einen zer­ris­se­nen Schuh zwi­schen die Gemü­se­res­te packt? Ich hole das Zeug nur ab! Es geht mich nichts an, was die mir in die Taschen packen!“
Auf Nach­fra­ge erfuhr der Rich­ter, dass der Fuhr­knecht den Auf­trag hat­te, die Gemü­se­res­te zum Gar­ten des Wesirs zu brin­gen, wo sie an die dort gehal­te­nen Tie­re ver­füt­tert wur­den. Und am Vor­tag war der berühm­te wei­ße Hirsch an einem hal­ben Pan­tof­fel  erstickt.

Der Kadi besah den hal­ben Schuh, den ihm der Knecht hin­hielt. „Sieh an, sieh an!“ wun­der­te sich der Kadi, „Es scheint, nun trei­ben sich nun sogar sei­ne hal­ben Schu­he in der Stadt her­um und rich­ten Unheil an?“

Noch bevor der Kadi in die­ser Sache etwas unter­neh­men konn­te, erschien ein Bade­haus­be­sit­zer und klag­te dar­über, dass ihm irgend­ein hiner­häl­ti­ger Idi­ot die Zulei­tung zum Bade­haus ver­stopft habe. Und zum Beweis leg­te er ihm einen hal­ben Schuh auf den Tisch. Der Rich­ter hielt den an das Teil, das ihm der Fuhr­knecht gebracht hat­te, und sie­he da, sie pass­ten wie Zwil­lin­ge zueinander. 

Der Rich­ter erteil­te Befehl, Abu Kas­sem auf­zu­spü­ren und vor ihn zu brin­gen. Zuvor aber woll­te er sich auf dem Dach des Gerichts­hau­ses ein reich­li­ches Mit­tag­essen ser­vie­ren las­sen.
Wäh­rend er dort auf das Essen war­te­te, kam der Boots­bau­er gelau­fen, den er beauf­tragt hat­te, das Aus­flugs­boot des Kadis instand zu set­zen. 
„Mein Herr“, schrie der Boots­bau­er. „Ich kann nichts dazu, ich schwö­re es! Ich habe das Segel­tuch nicht auf­ge­schlitzt!“ Und dabei fuch­tel­te er mit einem hal­ben Pan­tof­fel her­um.

Auf Nach­fra­ge erklär­te ihm der Boots­bau­er, er habe ges­tern auf­trags­ge­mäß begon­nen, das Boot des Herrn Rich­ters mit Erd­pech abzu­dich­ten. Als er jedoch heu­te mor­gen sei­nen Hof betrat, um die Arbeit fort­zu­set­zen, habe er das Segel des Boo­tes zer­schlitzt vor­ge­fun­den und mit­ten auf dem Hof sei die­ser hal­be Pan­tof­fel her­um­ge­le­gen, den doch ganz offen­sicht­lich der Übel­tä­ter zurück­ge­las­sen­ha­ben muss­te, der das Segel zer­fetz­te.

Was bei­de nicht wis­sen konn­ten: Zwei Bett­ler, die der Kadi von ihrem ein­träg­li­chen Platz vor der Moschee hat­te ver­trei­ben las­sen, hat­ten sich an ihm gerächt, indem sie die teu­ren Segel sei­nes Boo­tes zer­schlitz­ten.
Ein Blick auf das zer­fled­der­te Stück Pan­tof­fel genüg­te dem Kadi. Kopf­schüt­telnd stellt er fest: „Nun fehlt nur noch das vier­te Stück, um das Paar voll zu machen.“
Und auch das ließ nicht lan­ge auf sich war­ten, denn als der Rich­ter unge­hal­ten nach­frag­te, wann ihm end­lich die bestell­te Mahl­zeit ser­viert wer­de, kam sein Koch gelau­fen. Und was streck­te er ihm ent­ge­gen? Einen ruß­ver­schmier­ten hal­ben Pan­tof­fel.
 Er buckel­te vor dem Rich­ter und bat tau­send Mal um Ver­zei­hung wegen der unvor­her­seh­ba­ren Ver­zö­ge­rung. An ihm jeden­falls habe es nicht gele­gen. Wäh­rend er am Kochen gewe­sen sei, habe sich die Küche plötz­lich mit Rauch gefüllt. Als man den Kamin­ab­zug unter­such­te, sei die­ses Leder­teil aus dem engen Kamingang gezo­gen wor­den, das offe­nar von oben in den Kamin gewor­fen wor­den sei und den Rauch­ab­zug damit ver­stopf­te. Natür­lich habe er den Küchen­jun­gen sofort aufs Dach geschickt, den Kerl zu stel­len, der sei aber lei­der nicht mehr auf­find­bar gewe­sen.

Wir ahnen es: Es muss wohl der Rabe gewe­sen sein, dem Abu Kas­sem den vier­ten Schuh­teil an die Füße gebun­den hat­te. Ver­mut­lich stör­te das das Tier, er hat sich wohl oben auf dem Kamin nie­der­ge­las­sen und wird so lan­ge  dar­an gepickt und die Schnur gelo­ckert haben, bis sich der hal­be Pan­tof­fel lös­te und im Kamin lan­de­te.

Der Rich­ter war über­zeugt, nur Abu Kas­sem konn­te es gewe­sen sein, der ihm das Segel zer­schlitz­te und den Kamin ver­stopf­te. Schließ­lich hat­te der Kerl ein hand­fes­tes Motiv, sich für den Ver­lust eines Vier­tel sei­nes Ver­mö­gens zu rächen. Als die Gerichts­die­ner ihn auf­ge­grif­fen und vor den Rich­ter geschleppt hat­ten, lau­te­te das Urteil: Er habe auf sei­ne Kos­ten den an sei­nem Schuh erstick­ten wei­ßen Hirsch zu erset­zen, für die Repa­ra­tur der Was­ser­lei­tung des Bade­hau­ses auf­zu­kom­men und selbst­re­dend auch das zer­stör­te Segel zu erneu­ern. Dar­über hin­aus sei­en ihm ange­sichts fort­ge­setz­ter Wie­der­ho­lungs­ta­ten und offen­bar feh­len­der Ein­sicht in sei­ne kri­mi­nel­len Hand­lungs­wei­sen zwan­zig Peit­sche­hie­be zu ver­ab­rei­chen, des Wei­te­ren sei die Hälf­te des ihm ver­blie­be­nen Ver­mö­gens dem Staats­schatz zu über­las­sen.
Nach voll­streck­tem Urteil wur­den ihm jedoch die vier Tei­le sei­ner Schlap­pen über­reicht, deren Erhalt er mit sei­nem Sie­gel­ring zu beglau­bi­gen hatte.

Mit blu­ten­dem Rücken und am Boden zer­stört jam­mer­te Abu Kas­sem über sein furcht­ba­res Geschick. Soll­ten ihn denn die­se ver­fluch­ten Schlap­pen noch um sein gan­zes sau­er ver­dien­tes Ver­mö­gen brin­gen? Ehe sie ihn in den voll­stän­di­gen Ruin trie­ben, muss­te er sie dort ent­sor­gen, wo ihn und sei­ne berüch­tig­ten Schu­he nie­mand kann­te.
 Noch am glei­chen Tag wan­der­te er weit vor die Stadt hin­aus und erkun­de­te einen geei­gen­ten Platz in einem Wäld­chen. In der nächs­ten mond­lo­sen Nacht hob er im Schein einer Later­ne dort eine tie­fe Gru­be aus, warf die vier Tei­le sei­ner ver­fluch­ten Schlap­pen hin­ein, schau­fel­te Erde dar­auf, ver­streu­te Laub dar­über, damit nie­mand bemerk­te, dass sie dort ver­gra­ben lagen. Dies­mal, da war er sich ganz sicher, wür­de er die­se heil­lo­sen Unglücks­tre­ter nie mehr zu Gesicht bekommen.

Doch nur weni­ge Wochen spä­ter, als er sei­ne ver­ma­le­dei­ten Schu­he schon fast ver­ges­sen hat­te, ergrif­fen ihn erneut die Gerichts­die­ner und schlepp­ten ihn vor den Kadi. Und was lag vor dem Rich­ter auf dem Tisch? Die vier Trüm­mer von Abu Kas­sems Pan­tof­feln. Was war gesche­hen?
An dem Wäld­chen, in dem sei­ne Pan­tof­fel ver­gra­ben lagen, waren drei rei­sen­de Kauf­leu­te vor­bei­ge­kom­men, die vor­hat­ten, ihre Waren auf dem Bazar von Bag­dad anzu­bie­ten. Da sie eine Men­ge Bar­geld mit sich führ­ten und fürch­te­ten, es kön­ne ihnen in der Her­ber­ge gestoh­len wer­den, woll­ten sie vor­her ihr Geld an einer gehei­men Stel­le ver­gra­ben, und wie es der Teu­fel woll­te, hat­ten sie das genau an der Stel­le getan, wo Abu Kas­sems Pan­tof­fel begra­ben lagen. Lei­der hat­te sie dabei ein Bedui­ne beob­ach­tet, hat­te sei­ne Freun­de geru­fen, die die ver­gra­be­nen Schät­ze aus­räum­ten.

Nach­dem die Kauf­leu­te ihre Geschäf­te getä­tigt hat­ten und nach ihrem Bar­geld sahen, stan­den sie vor einem offe­nen Loch. Sie wühl­ten dar­in her­um und stie­ßen schließ­lich auf Abu Kas­sems zer­schnit­te­ne Pan­tof­feln. Sie erstat­te­ten Anzei­ge beim Rich­ter, der nur einen kur­zen Blick dar­auf warf und deren Eigen­tü­mer vor­füh­ren ließ. Dies­mal bestraf­te ihn der Rich­ter mit der gan­zen Här­te des Geset­zes: Wegen erwie­se­nen Dieb­stahls ließ er ihm die rech­te Hand abha­cken, als unver­bes­ser­li­chen Wie­der­ho­lungs­tä­ter wur­de sein rest­li­ches Ver­mö­gen zuguns­ten der Staats­kas­se ein­ge­zo­gen.
Mit dem ein­zi­gen Besitz, der ihm noch blieb, den vier hal­ben Pan­tof­feln unter dem ver­stüm­mel­ten Arm wur­de Abu Kas­sem entlassen.

Was blieb ihm ande­res übrig als die Stadt Bag­dad zu ver­las­sen, wo doch jeder ihn mit sei­nen abge­nutz­ten Schlap­pen kann­te? Im Schut­ze der Nacht ließ er die Res­te sei­ner Pan­tof­feln am Ufer des Tigris zurück, mach­te ein frem­des Boot los und ruder­te auf den Fluss hin­aus, um dort ein neu­es Leben zu begin­nen, wo ihn und sei­ne Pan­tof­feln nie­mand kann­te. Aber mit einer Hand gelang es ihm kaum Kurs zu hal­ten, immer wie­der dreh­te sich sein Boot, schließ­lich geriet er gar in Strom­schnel­len, sein Boot kipp­te um und warf ihn in die Flu­ten. Mit einer Hand konn­te er aber auch kaum schwim­men, eini­ge Zeit ver­such­te er sich müh­sam über Was­ser zu hal­ten, schaff­te es aber nicht und ertrank.

Am nächs­ten Mor­gen ent­deck­ten Fischer sei­ne Lei­che, die der Fluss ange­schwemmt hat­te, nicht weit unter­halb der Stel­le, an der er die Res­te sei­ner Pan­tof­feln zurück­ge­las­sen hat­te. „Ohne eine Hand kön­nen wir ihn begra­ben“, mein­ten die Fischer, „aber doch nicht ohne sei­ne Pan­tof­feln.“ Sie ban­den die klo­bi­gen Tre­ter zusam­men, hin­gen sie ihm an die Füße und begru­ben ihn, wie es sich für einen Mus­lim gehört.

Freie Fas­sung einer ver­brei­te­ten ara­bi­schen Erzäh­lung.

Zwei der zahl­rei­chen Vari­an­ten:
The Shoes of Abu Kasim, in H.L. Kati­bah, Other Ara­bi­an Nights, New York 1928, p. 29-41
„Die Geschich­te von dem Geiz­hals Jafer Tam­bu­ri und sei­nen Schu­hen“, in: Johan­nes Mer­kel, Hg., Eine von tau­send Näch­ten, Mär­chen aus dem Ori­ent, Mün­chen 1987, S.43-49  (Über­setzt aus C.G.Campbell, From Town to Tri­be, Lon­don 1952)