Wisst Ihr was ein Steinbildhauer macht?
Genau, mit Hammer und Meißel schlägt er aus den härtesten Felsbrocken Figuren. Das ist eine ziemlich staubige und anstrengende Arbeit.
Diese Geschichte handelt von einem freundlichen Steinbildhauer, der tagein, tagaus schuftete. Besonders reich ist er dabei nicht geworden.
Eines Tages wurde er von sehr reichen Leuten in eine Villa gerufen, dort sollte er für eine Springbrunnenfigur einen neuen Kopf herstellen. Eine Woche lang ging er jeden Morgen in den Garten der Villa und arbeitete. Während er so arbeitete beobachtete er, wie der reiche Mann und die reiche Frau lebten.
Was glaubt Ihr was die beiden reichen Leute den ganzen Tag machten?
Der Steinbildhauer wurde neidisch und als er die Figur fertig hatte, sagte er für sich selbst: „Ich wäre gerne auch so ein reicher Mann, dann hätte ich auch eine solche Villa und könnte den ganzen Tag faulenzen.“
In dem Springbrunnen unter der Springbrunnenfigur wohnte eine kleine lustige Fee. Die hatte den Steinbildhauer die ganze Woche beobachtet und sich ein bisschen in ihn verliebt. Als sie von seinem Wunsch hörte, zückte sie ihren Zauberstab und wisperte: „Du sollst auf der Stelle ein reicher Mann sein.“
Und eh er wusste, wie ihm geschah, hatte sich der Steinbildhauer in einen reichen Mann verwandelt. Er hatte eine große Villa und ließ es sich gut gehen. Das neue Leben gefiel ihm ausgezeichnet.
Eines Tages saß er in seinem Garten unterm Sonnenschirm und schwitzte. Die Sonne brannte stark und der Mann schwitzte. Außerdem war ihm gerade ein bisschen langweilig. Da sagte er so vor sich hin: „Ich wäre so gerne die Sonne, dann hätte ich unendlich viel Kraft und könnte vom Himmel aus alles sehen, was auf der Wlt passiert.“
Die kleine lustige Fee hörte diesen Wunsch, sie zückte ihren Zauberstab und sagte: „Du sollst auf der Stelle die Sonne sein.“
Und eh er wusste wie ihm geschah, hatte sich der reiche Mann in die Sonne verwandelt. Das war wunderbar, als Sonne umrundete er die Erde, sah viele Länder und war unendlich stark und mächtig.
Was glaubt Ihr was er als Sonne alles gesehen hat?
Einmal aber tauchte eine Wolke auf. Zuerst schenkte die Sonne der Wolke keine Beachtung, aber dann wurde die Wolke größer und größer und schließlich verdeckte die Wolke die Sonne vollständig. Dabei lachte die Wolke ganz vergnügt, es machte ihr nämlich Spaß.
Das ärgerte die Sonne, weil sie nichts sah und weil sie nicht leiden konnte, wenn jemand stärker als sie war. Da wollte der Steinbildhauer nicht länger die Sonne sein, er wollte eine mächtige schwarze Wolke sein. Er sagte:
„Ich wäre so gerne eine schwarze Wolke, dann hätte ich viel mehr Spaß und könnte die Sonne ganz und gar verdecken.“
Die kleine lustige Fee zückte ihren Zauberstab und sagte: „Du sollst auf der Stelle eine schwarze Wolke sein.“
Und eh er wusste, wie ihm geschah, hatte sich der Steinbildhauer in eine schwarze Wolke verwandelt.
Das war herrlich, er verdeckte die Sonne und den Mond. Auf der Erde wurde es ganz dunkel und der Wolke machte das einen Riesenspaß. Sie fegte über den Himmel und lachte. Unten auf der Erde klang das wie Donnergrollen.
Was glaubt ihr, wen die Wolke damit erschreckte?
Irgendwann war die Wolke müde, sie rollte sich zusammen und wollte gerade ein wenig einschlafen, als ein Wind sie kitzelte. Lass mich in Ruhe, fauchte die Wolke. Aber der Wind wollte unbedingt mit der Wolke Fangen spielen, also pustete er umso heftiger.
Die Wolke wurde einfach weggeweht. Na sowas, dachte der zur Wolke verwandelte Steinbildhauer und es gefiel ihm gar nicht, dass der Wind mit der Wolke machen konnte, was er wollte. Da wollte er lieber ein Wind sein. Er sagte:
„Ich wäre so gerne der Wind, dann hätte ich viel mehr Macht und könnte machen was ich will.“
Die kleine lustige Fee zückte ihren Zauberstab und sagte: „Du sollst auf der Stelle ein Wind sein.“
Und eh er wusste wie ihm geschah, hatte der Steinbildhauer sich in einen Wind verwandelt.
Sofort pustete er los, er jagte die Wolken über den Himmel, rüttelte an Bäumen und Hausdächern und blies den Leuten in der Stadt die Regenschirme aus der Hand.
Was glaubt Ihr, blies der Wind alles weg?
Der Steinbildhauer hatte schon lange nicht mehr so getobt, wie als Wind. Das gefiel ihm so lange, bis er an einen Felsblock stieß. Der Felsblock stand fest und rührte sich keinen Millimeter. Egal wie stark er auch gegen ihn pustete, der Felsblock stand in aller Ruhe da und rührte sich nicht. Als der zum Wind verwandelte Steinbildhauer das sah, beneidete er den Felsblock um seine Ruhe. Und er sagte: „Ich wäre so gerne ein Felsblock, dann hätte ich in mir ganz viel Ruhe und niemand könnte mich umwerfen.“
Die kleine lustige Fee zückte ihren Zauberstab und sagte: „Du sollst auf der Stelle ein Felsblock sein.“
Und eh er wusste, wie ihm geschah, hatte der Steinbildhauer sich in einen mächtigen Felsblock verwandelt. Ruhig stand er auf dem Berg. Um ihn herum bewegten sich die Pflanzen, Tiere und Menschen im Wind, er aber saß unerschütterlich da und beobachtete das Geschehen um ihn herum.
Was glaubt Ihr, wen der Felsblock alles beobachtete?
Er stand zufrieden mit sich und der Welt da, als er Stimmen hörten. Vier Steinbildhauer kamen den Weg entlang und schauten sich suchend um. Einer zeigte auf ihn und sagte: „Das ist genau der Felsblock den wir brauchen.“
Die vier beschlossen Werkzeug zu holen und den Felsblock herauszubrechen und in die Werkstatt zu bringen.
Dem zum Felsblock verwandelten Steinbildhauer gefiel das überhaupt nicht. Er sagte: „Ich wäre so gerne ein Steinbildhauer, dann hätte ich selbst Werkzeug und könnte aus Felsen Figuren machen.“
Die kleine lustige Fee kicherte, als sie das hörte, sie zückte ihren Zauberstab und sagte: „Du sollst auf der Stelle wieder ein Steinbildhauer sein.“
Und eh er wusste wie ihm geschah, hatte sich der Steinbildhauer in einen Steinbildhauer zurückverwandelt. Er hatte Werkzeug in der Hand und ganz viele Ideen im Kopf, was er alles aus Stein herstellen könnte. Er hatte ja soviel gesehen auf seiner weiten Reise. Er ging in seine Werkstatt und baute die schönsten Figuren der Welt.
Die Fee nahm ihren Zauberstab und ging anderswo hin.
Stellt Euch mal vor die kleine lustige Fee säße mit ihrem Zauberstab da drüben im Regal. In wen würdet Ihr Euch gerne verwandeln?
Nach einem tibetischen Märchen
Man mag diese kleine Geschichte als Ausdruck östlicher Weisheit verstehen, sich mit seinem Platz im Leben zufrieden zu geben oder als Aufforderung „Schuster, bleib bei deinen Leisten!“ auffassen und ablehnen. In jedem Fall bietet die kreisförmige Handlung, die zum Ausgangspunkt zurückkehrt, eine einfache und wirksame Erzählvorlage. Wie sie die Zuhörenden aufnehmen, überlässt man gerade bei solchen etwas „zwielichtigen“ Geschichten am besten dem Publikum.
An dem Schaubild lassen sich die Stationen des Steinbildhauers verfolgen und in den Sprachblasen jeder Station seine Wünsche eintragen. Gezeichnet hat es Horst Rudolph.