Der aufdringliche Verfolger

Er hieß Coco und war der liebs­te Hund, den man sich den­ken konn­te. Coco ließ sich fast alles gefal­len. Die Kin­der durf­ten ihn am Schwanz zie­hen, ihn in eine Kis­te ste­cken, ihm Rüschen um den Bauch bin­den, ohne dass er knurr­te oder gar nach ihnen schnapp­te. Und wenn es ihm doch zu bunt wur­de, troll­te sich Coco und ging sei­ner Wege.
Nur eines konn­te Coco nicht lei­den, und das war, wenn ein ande­rer Hund zu dicht vor ihm, hin­ter ihm oder neben ihm her­lief. Hun­de ren­nen sich ja eigent­lich immer gegen­sei­tig nach, beschnup­pern und jagen sich. Aber Coco war eben anders, der konn­te schier aus­ras­ten, wenn ihm einer zu nahe kam.

Und jetzt stellt euch vor, was ihm eines Tages pas­sier­te: An einem Som­mer­tag trot­te­te er gemüt­lich durch die Son­ne und was muss­te er bemer­ken, als er sich rein zufäl­lig umschau­te? Dass da doch einer genau einen Schritt hin­ter ihm her trot­te­te. 
Gut­mü­tig, wie er ja eigent­lich war, drück­te sich Coco auf die Sei­te, um den Kerl vor­bei zu las­sen. Aber was mach­te der? Der äff­te ihn nach, drück­te sich auch auf die Sei­te und blieb stehen.
„Der macht das mit Absicht,“ dach­te Coco. „Der weiß genau, dass ich es nicht lei­den kann, wenn mir einer hin­ter­her­läuft.“
 Dar­um dreh­te sich Coco um und bell­te: „Hau bloß ab!“
Aber meint ihr, der Ande­re hät­te sich dar­um geschert? Von wegen. Der blieb frech an sei­nem Platz und rühr­te sich nicht von der Stelle.
„Na war­te“, dach­te sich Coco, „dich wer­de ich gleich abge­hängt haben.“
Coco ver­stand zu lau­fen wie der Wind. Und wie der jetzt los­lief! Er lief, was er nur lau­fen konn­te. Coco hat­te noch nie einen Hund getrof­fen, der so schnell lau­fen konn­te wie er selbst. Aber der Kerl hin­ter ihm, der schaff­te das. Denn als Coco mit hän­gen­der Zun­ge anhielt und sich vor­sich­tig umschau­te, da war der noch immer genau einen Schritt hin­ter ihm. 
Da schoss Coco her­um und fauch­te: „Ver­piss dich! Oder ich beiß dich.“
Das saß. Der auf­dring­li­che Kerl war plötz­lich ver­schwun­den, als hät­te er sich in Luft aufgelöst.

Könnt ihr euch den­ken, wer da Coco hart­nä­ckig verfolgte?

Es war sein eige­ner Schat­ten. Der lief natür­lich genau­so schnell, wie Coco lief. Aber wie­so war der plötz­lich ver­schwun­den, als hät­te er sich in Luft auf­ge­löst? Ganz ein­fach: Eine klei­ne Wol­ke hat­te sich vor die Son­ne gescho­ben und sie ver­deckt. Und mit dem Son­nen­licht ver­schwand natür­lich auch Cocos Schat­ten. Aber dann kam die Son­ne wie­der hin­ter der Wol­ke vor und der Schat­ten folg­te Coco wie­der auf den Fersen.
Aber das bemerk­te Coco nicht. Er dach­te: „Den Kerl hab ich abge­hängt, der steigt mir so schnell nicht wie­der hinterher.“
Doch was muss­te er bemer­ken, als er umkehr­te, um wie­der nach Hau­se zu lau­fen? Da war er schon wie­der, und dies­mal lief der genau einen Schritt vor ihm her. Coco konn­te es noch weni­ger lei­den, wenn einer genau einen Schritt vor ihm her­lief. Des­we­gen blieb er zurück, um den auf­dring­li­chen Kerl vor­lau­fen zu lassen.
Aber kaum hielt er an, hielt der auch an. Woher der das nur wuss­te? Hat­te der hin­ten auch Augen, oder was?
 Coco kam die Gal­le hoch. „Zum let­zen Mal! Zieh Lei­ne oder ich schnapp nach dir!“ Und dabei bell­te er so böse, wie er nur bel­len konn­te. „Na siehst du, das sitzt. Er kriegt es mit der Angst.“
Weil der Ande­re nicht zurück­bell­te, glaub­te Coco, der hät­te Angst vor ihm. Aber der ließ sich kein biss­chen beein­dru­cken. Der blieb zwar stumm, aber er blieb auf der Stelle.

Da wur­de Coco viel­leicht sau­er. Er beschloss, den auf­dring­li­chen Kerl zu ver­ja­gen. Er ging auf ihn los und jetzt bekam es der Ande­re wirk­lich mit der Angst, denn er rann­te vor ihm weg. 
Aber so schnell Coco auch lief, der Kerl vor ihm lief genau­so schnell und blieb immer genau einen Schritt vor ihm. Bis Coco keu­chend und mit hän­gen­der Zun­ge ste­hen blieb, weil er nicht mehr konn­te. Da mach­te sich der Kerl vor ihm einen Spaß dar­aus, gleich­falls ste­hen zu blei­ben, als woll­te er ihm sagen: „Ätsch, du erwischt mich ja doch nicht.“

Was glaubt ihr, was Coco noch alles ver­such­te, um die­sen auf­dring­li­chen Ver­fol­ger los­zu­wer­den, der sich nicht abschüt­teln ließ?

Jetzt wollt ihr sicher noch wis­sen, wie das mit Coco und sei­nem Schat­ten schließ­lich ausging.
Ich kann es euch ver­ra­ten, denn ich schau­te gera­de aus dem Fens­ter, als er knur­rend und bel­lend an unse­rem Haus vor­bei­schoss. Ich  dach­te: Was ist dennn in den gefah­ren? Wegen die­ses rotz­fre­chen Kerls, der sich nicht ver­ja­gen ließ, muss Coco inzwi­schen wohl fuchs­teu­fels­wold gewor­den sein. Ich sah, wie er hoch­sprang, um sich auf ihn zu stür­zen. Es war gera­de Mit­tags­zeit und die Son­ne stand am höchsten.

Könnt ihr euch den­ken, wo Coco jetzt sei­nen Schat­ten warf?

Genau unter sich natür­lich, weil doch die Son­ne am Mit­tag genau über ihm am Himel stand. Ich sah noch, wie er das Maul auf­riss, auf allen Vie­ren auf den Boden krach­te. Ich dach­te: Hof­fent­lich hat der sich nichts gebro­chen. Aber nichts davon. Coco stand auf, als wäre nichts pas­siert, leck­te sich das Maul und trot­te­te zufrie­den davon. 
Aber was muss­te ich bemer­ken, als er über den son­nen­be­schie­ne­nen Hof trab­te? Er warf nicht mehr die Spur eines Schattens.

Was glaubt, was pas­siert war?

In sei­ner Wut hat­te er doch glatt sei­nen eige­nen Schat­ten gefres­sen! 
Habt ihr schon mal einen Schat­ten ver­schluckt? Ich auch nicht, aber ich schät­ze, das macht Bauchschmerzen.
Coco jeden­falls hock­te bald dar­auf vor sei­ner Hüt­te, ver­zog das Maul und jaul­te jäm­mer­lich. Es war nicht zum Anhören!

Das hör­te unse­re Nach­ba­rin, der Coco gehör­te. Sie kam aus dem Haus und frag­te: „Was der Hund nur hat?“
I ch erzähl­te ihr, was ich beob­ach­te­te hatte.
„Was für ein ver­rück­tes Tier!“ mein­te die Nach­ba­rin. „Sein Schat­ten ist doch genau so groß wie er sel­ber. Das muss ihn doch fürch­ter­lich drü­cken im Bauch!“ 
Sie lieb­te ihren Coco, setz­te ihn in einen Korb und fuhr zum Tierarzt.
Der gab dem armen Hund ein kräf­ti­ges Abführ­mit­tel. Aber kaum war Coco mit der Nach­ba­rin zurück, da jam­mer­te und jaul­te er noch gotts­er­bärm­li­cher. Bis es auf ein­mal einen Schlag mach­te, als ob ein Rei­fen platzt. Und als ich nach­schau­te, saß Coco vor einem Hau­fen Hun­de­kö­tel in der Son­ne und wer saß hin­ter ihm? Sein Schatten.

Seit die­sem Tag schaut sich Coco nicht mehr um, wenn er durch die Son­ne trot­tet. Und ob einer hin­ter ihm her­läuft, ist ihm völ­lig schnup­pe. Und wenn der Schat­ten vor ihm her­um­rennt, kneift er die Augen zu oder schaut ein­fach auf die Sei­te. Aber zu nahe kom­men darfst du ihm dann nicht. Ich glau­be näm­lich, er ärgert sich noch immer und will das nur nicht zei­gen. Kommst du ihm dann aber zu nahe, kann es sein, dass er sei­nen Ärger an dir aus­tobt, dich anfaucht und bellt und viel­leicht sogar ver­sucht, nach dir zu schnap­pen. Aber sonst ist er wirk­lich der liebs­te Hund von der Welt.