Johan­nes Merkel

1. Beteiligung an einer laufenden Erzählung

  • Bei aus­rei­chen­der Sprach­be­herr­schung wer­den die Zuhö­ren­den an den Kno­ten­punk­ten der Erzäh­lung gefragt, was sie an der Stel­le des Hel­den gemacht hätten.

Ihre Vor­schlä­ge (die natür­lich in geord­ne­ter Form, z.B. mit Hil­fe eines „Sprech­bä­ren“ erfol­gen müs­sen) wer­den vom Erzäh­len­den ent­we­der ins sei­ne Erzäh­lung ein­ge­fügt oder, wo sie zu sehr abwei­chen, führt er mit der Bemer­kung in sei­ne Erzäh­lung zurück: „Das hät­te er auch tun kön­nen, in mei­ner Erzäh­lung aber hat er so gehandelt.“

Durch die­ses Ver­fah­ren wer­den nicht nur inter­es­san­te Sprech­an­läs­se gebo­ten, son­dern die Zuhö­ren­den zugleich auf die wesent­li­chen Struk­tur­ele­men­te der Geschich­te hin­ge­wie­sen. Sol­che Fra­gen soll­ten dar­um nicht wahl­los die Erzäh­lung zer­rei­ßen, son­dern über­legt an den Kno­ten­punk­ten der Hand­lung gestellt werden.

Für das Ent­wi­ckeln und Erpro­ben selbst aus­ge­dach­ter Geschich­ten bie­ten die Vor­schlä­ge auch oft brauch­ba­re Ver­bes­se­run­gen, die in die Erzäh­lung ein­ge­ar­bei­tet wer­den können.

2. Miterzählen in Kettenerzählungen

Erzählt man Geschich­ten, in denen der oder die Hel­den nach­ein­an­der ähn­li­che Epi­so­den durch­le­ben, dann sehen die Zuhö­ren­den den Ablauf der Epi­so­den bald schon vor­aus. Sie kön­nen des­halb gefragt wer­den, was in der nächs­ten Epi­so­de pas­sie­ren wird.

Je nach ihrer Sprach­fä­hig­keit kön­nen ihre Bei­trä­ge umfassen:

  • Eine kur­ze Anga­be, was pas­sie­ren wird oder wen der Held als nächs­ten tref­fen soll. Der Erzäh­ler baut dann die nächs­te Epi­so­de nach die­sen Vorschlägen.
  • Der oder die Zuhö­ren­den rea­li­sie­ren ihren Vor­schlag, indem sie im Prin­zip die gan­ze Epi­so­de vor den ande­ren Kin­dern erzäh­len (und dazu auch die Stel­le des Erzäh­len­den ein­neh­men). Sto­cken sie oder sind sie sprach­lich nicht in der Lage selb­stän­dig zu erzäh­len, dann unter­stützt sie der Erzäh­len­de nach dem Ver­fah­ren gemein­sa­men Erzäh­lens, indem er nach­fragt und ihre Vor­schlä­ge detail­lier­ter ausführt.

3. Beteiligung beim wiederholenden Erzählen

Für ein gemein­sa­mes sprach­li­ches Rekon­stru­ie­ren der Geschich­te soll­te ein kla­res Ritu­al der Betei­li­gung ein­ge­führt wer­den, das die Bei­trä­ge der ein­zel­nen Kin­der ord­net und die rich­ti­ge Abfol­ge der Hand­lungs­schrit­te und damit der Struk­tur­ele­men­te der Erzäh­lung sicher stellt.

  • Der Erzäh­len­de kann den Ein­stieg der Geschich­te erzäh­len und dann an den ent­schei­den­den Stel­len nach­fra­gen: „Wisst ihr noch, was der Held getan, was er gesagt hat?“ Der Erzäh­len­de behält also die Erzäh­ler­rol­le und betei­ligt die Zuhö­ren­den über Nachfragen.
  • Der Erzäh­len­de kann auch nach einer kur­zen  Vor­stel­lung von Titel und dem Ein­stieg ein­zel­ne Kin­der aus­wäh­len, die dann (mög­lichst indem sie vor die ande­ren tre­ten und die Erzäh­ler­po­si­ti­on ein­neh­men) einen Abschnitt der Erzäh­lung wie­der­ge­ben. Wenn sie Vor­gän­ge über­ge­hen, kann der Erzäh­len­de über Nach­fra­gen dar­auf auf­merk­sam machen.
  • Die Zuhö­ren­den kön­nen aber auch über ein abge­spro­che­nes Zei­chen (Hand heben/ Kärt­chen hoch­he­ben etc.) signa­li­sie­ren, dass der Nach­er­zäh­len­de etwas aus­ge­las­sen hat. Sie erhal­ten dann nach Auf­for­de­rung durch den Erzäh­len­den die Mög­lich­keit es nachzutragen.
  • Falls die Zuhö­ren­den schon aus­rei­chend lesen kön­nen, kön­nen auch Kärt­chen mit stich­wort­ar­ti­gen Anga­ben zum Ablauf der Geschich­te ange­fer­tigt wer­den, die an Kin­der ver­teilt wer­den, die nun nach­ein­an­der ihren Teil der Erzäh­lung vor­tra­gen. Um die zutref­fen­de Rei­hen­fol­ge ein­zu­hal­ten, kön­nen die Kärt­chen num­me­riert werden.
  • Schließ­lich kann die Erzäh­ler­rol­le, wenn das von den Fähig­kei­ten her mög­lich erscheint, auch ein­zel­nen Kin­dern über­las­sen wer­den, die nun ver­su­chen, die gesam­te Geschich­te vor den ande­ren vor­zu­tra­gen. Dazu soll­ten die auf jeden Fall als Erzäh­len­de her­aus­ge­stellt wer­den, indem ein Erzäh­ler­stuhl benutzt wird, eine Müt­ze oder ande­re Zei­chen (die dann auch der Erzäh­len­de selbst benutzt haben soll­te). Der Erzäh­len­de soll­te dabei nach Bedarf Hil­fe­stel­lung und Ergän­zun­gen bie­ten bzw. die  zuhö­ren­den Kin­dern erhal­ten das Recht Aus­las­sun­gen zu ergänzen.

4. Beteiligung beim Erfinden von Geschichten

       Erfin­den von zusätz­li­chen Epi­so­den in Kettenerzählungen

  • Zuhö­ren­de Kin­der über­le­gen gemein­sam oder indi­vi­du­ell eine Epi­so­de und tra­gen sie vor den ande­ren vor. Den Ein­stieg soll­te auch hier wie­der der Erzäh­len­de vor­tra­gen sowie nach der Vor­füh­rung aller zusätz­li­chen Epi­so­den die abschlie­ßen­de Auf­lö­sung der Kette.

Die Vor­trä­ge der Kin­der soll­ten auf Band auf­ge­nom­men wer­den und kön­nen dann nach Bedarf zu einer Ton- oder Video­kas­set­te ver­ar­bei­tet oder ver­schrift­licht und damit wei­ter gege­ben werden.

  • Voll­stän­di­ge Geschich­ten wer­den sich Kin­der nur in Aus­nah­me­fäl­len oder, wenn sie mit dem Erzäh­len sehr ver­traut sind, über das Bespre­chen aus­den­ken kön­nen. Sie brau­chen dazu meist geeig­ne­te mate­ri­el­le Anre­gun­gen über Gegen­stän­de. durch Bild­ma­te­ri­al oder auf­grund sprach­li­cher Vor­ga­ben, die sie zu einer voll­stän­di­gen Geschich­te ergänzen.

Zum Ver­fah­ren mit Gegenständen:

            Schach­tel­ge­schich­ten in:

Claus Claus­sen: Mit Kin­dern Geschich­ten erzäh­len, Ber­lin 2006 

Zum Ver­fah­ren mit Bildmaterial:

J. Mer­kel, Col­la­ge­ge­schich­ten, in: Petra Wieler(Hg): Medi­en als Erzähl­an­lass, Frei­burg 2008

            Zum Ver­fah­ren mit sprach­li­chem Material:

                        Das „Geschich­ten­er­fin­der­spiel“ in:

Claus Claussen/Valentin Mer­kel­bach: Erzähl­werk­statt, Braun­schweig 1995

                        oder Gian­ni Roda­ri, Gram­ma­tik der Phan­ta­sie, Leip­zig 1992