Ernst-Fried­rich Suhr

Die Geschich­ten mei­ner Tan­ten sind für mich Bestand­tei­le der wirk­li­chen unend­li­chen Geschich­te, die jeder zu erzäh­len hat, und die eigent­lich nur aus einem ein­zi­gen Satz besteht. Ich fan­ge mit einer Geschich­te an, die zum Stan­dard unse­rer „Fami­li­en­le­gen­de“, gewis­ser­ma­ßen für den öffent­li­chen Gebrauch, gehört, und in der ich höchst­per­sön­lich vorkomme:

„… und da saß das klei­ne Fritz­chen mit einer Mais­brot­schnit­te auf der Hand, viel zu dünn saß es da auf sei­nem Topf, ver­rich­te­te sein Geschäft und sang: „Weil ich Jesu Schäf­lein bin“ – gerühr­tes Geläch­ter der Anwe­sen­den, und auf Vor­schlag des Erzäh­lers wird der Kanon gesun­gen „Er gie­bet Speise“.

Ort der Hand­lung: Ein gro­ßer Gemein­de­saal irgend­ei­ner evan­ge­li­schen Kir­chen­ge­mein­de in Müns­ter; anwe­send sind vor allem evan­ge­li­sche Pfar­rer mit ihren Fami­li­en; vie­le, wie wir aus dem Osten, mit Flücht­lings­aus­weis A; man ist zwar schon wie­der so eini­ger­ma­ßen in Amt und Woh­nung, aber man ist im katho­li­schen Müns­ter in der Dia­spo­ra, man rückt gern zusammen.

Die Zeit: etwa 1950, die Stadt ist noch recht zer­stört, aber der Wie­der­auf­bau hat schon For­men angenommen.

Unter den Zuhö­rern ein Kind (ich selbst, wie gesagt) etwa vier Jah­re alt, es fühlt sich nicht wohl in sei­nen Klei­dern, die wol­le­ne Unter­ho­se kratzt und ist zu weit, das Leib­chen, an dem die lan­gen Strümp­fe befes­tigt sind, kneift, und über­haupt soll­ten Jun­gen sol­che Sachen nicht anzie­hen müs­sen, auch wenn es alle ande­ren auch müs­sen. Das Kind kennt den Erzäh­ler da vorn in sei­nem Luther­rock, es kennt auch die Geschich­te schon, bei sol­chen Anläs­sen wird sie häu­fig erzählt; es ist stolz, das sein Name öffent­lich genannt wird, der gerühr­te Bei­fall der Erwach­se­nen, muss er nicht sei­nem Sin­gen gel­ten, von dem da eben die Rede war? Es lernt gleich­zei­tig, was es da gemacht hat, ist zu einer Geschich­te gewor­den, es ist nicht sei­ne Geschich­te, sie han­delt auch nicht von ihm, dem Kind, es ist die Geschich­te der Erwach­se­nen und han­delt von ihrer Zeit, sie heißt: „Die schlech­te Zeit.“

Wie sähe des Kin­des eige­ne Geschich­te aus, das in den vie­len erbau­li­chen Erwach­se­nen­ge­schich­ten mehr dem Namen nach auf­tauch­te? Erst mal sicher nicht wie eine mit einem bestimm­ten Anfang oder einer Poin­te; viel ungreif­ba­rer und doch viel kon­kre­ter und schon gar nicht zusam­men­zu­fas­sen unter dem Titel „Schlech­te Zeit“; trotz­dem sind sol­che Begrif­fe oder Wör­ter in der beson­de­ren Gela­den­heit, die sie durch den Ton­fall, in dem sie aus­ge­spro­chen wer­den, in sich selbst schon fast wie Geschich­ten. Das Kind, das ich war, hat­te näm­lich beson­ders gute Ohren, und da es so klein und schmäch­tig war, wur­de es nur dann bemerkt, wenn es das woll­te, es hör­te alles – es ist auf­re­gend, klein zu sein. Und Jesu Schäf­lein ist man höchs­tens abends vorm Ein­schla­fen, wenn man sich vor Jesu Blut gru­selt; ansons­ten hat das Kind vol­le Frei­heit, sei­ne Ent­de­ckungs­fahr­ten durch das Haus zu unter­neh­men. Durch Aus­ru­fe von Besu­chern: „Ach, Niem­öl­ler hat hier gewohnt!“, und eben durch den beson­de­ren Ton­fall weiß das Kind, das das Haus etwas Beson­de­res sein muss, aber Niem­öl­ler wohnt hier nicht mehr, das Haus wird vom Kel­ler bis zum Boden von allen mög­li­chen Leu­ten bewohnt, und bei allen muss man gele­gent­lich einen klei­nen Besuch machen. Etwa bei Pas­tor H. oben: Der hat eine Frau und eine Toch­ter, die so alt ist wie man selbst. Der Pas­tor H. ist auch ein Amts­bru­der, und in der Fami­lie wird mit Vor­be­halt von ihm gespro­chen. Der Vater hat erwähnt, das er Hebrä­isch lesen kann und es sogar täg­lich tut. Das Kind begreift, das der Vater das sehr bewun­dert; von der Geschich­te die­ser Fami­lie weiß das Kind aber kei­ne rich­ti­ge Geschich­te, son­dern nur ein­zel­ne wich­ti­ge Wör­ter. Sie hei­ßen: „Lager­pfar­rer“, „Diepies“ (es lernt spä­ter, das die­ser Aus­druck von „dis­pla­ced per­sons“ kommt), und das Kind hat hal­be Sät­ze im Ohr: „alle Frau­en“, „an die Rich­ti­ge gera­ten“. Die Frau trägt einen Pelz­man­tel und Sei­den­strümp­fe. Das ist etwas, was die Mut­ter extra erwähnt hat. Die Toch­ter benutzt das besu­chen­de Kind, das so vol­ler Wör­ter steckt, ein wenig als Pferd.

Wenn das Kind kein Pferd mehr sein will, geht es nach neben­an, da wohnt Fräu­lein P. mit ihrer alten Mut­ter und einem ande­ren Fräu­lein. Dort kann man eine Par­tie Hal­ma spie­len mit glä­ser­nen Figu­ren, und von die­sen Leu­ten weiß das Kind nur das Wort „Für­sor­ge­rin“, und die Eltern sehen es gern, wenn man dort ist.

Noch wei­ter oben woh­nen M’s: Die besucht das Kind nur der Voll­stän­dig­keit hal­ber und wegen des Rauch­ver­zeh­rers, einer Eule mit roten Glas­au­gen, und die Mut­ter hat von den Sofa­kis­sen gespro­chen, und das die einen schar­fen Knick hät­ten; die Kis­sen haben wirk­lich einen schar­fen Knick.

Und ganz unten ist das Büro: Die Leu­te sind nett und das Kind fin­det, man muss ihnen die Blei­stif­te in Ord­nung hal­ten, zum Anspit­zen gibt es ein Maschin­chen mit einer Kur­bel, und man muss sehr auf­pas­sen, das die Stif­te nicht so schnell so kurz wer­den; das fin­den die Büro­leu­te auch, einer heißt Fritz wie man selbst und ist epi­lep­tisch. Wenn man sich guten Tag sagt und den ande­ren mit dem eige­nen Namen anre­det und bekommt ihn voll­stän­dig zurück, wird es fast feierlich.

Vom Fritz aus dem Büro weiß man noch, das er eine dicke Mut­ter hat, die immer ihre Gal­len­stei­ne zei­gen will, damit man ihr glaubt, wie groß sie sind; sie wohnt im Haus neben­an, dem Haus mit dem Trep­pen­haus; es ist das Trep­pen­haus, weil ganz oben pol­ni­sche Flücht­lin­ge woh­nen (das haben die älte­ren Geschwis­ter erzählt), die hal­ten ihr ver­rück­tes Kind gefan­gen, und man kann es manch­mal durch den Luft­schacht hören, wie es um Hil­fe ruft. Man geht trotz­dem in das Haus neben­an: Da ist noch ein Fräu­lein, es ist auch Für­sor­ge­rin, sie bie­tet dem Kind ein Stühl­chen an, das aus­sieht wie ein rich­ti­ger gro­ßer Stuhl, nur klein, sie hat stei­ner­ne Klöt­ze zum Spie­len und höl­zer­ne Pran­ken unter ihrem Tisch. Dann, ab irgend­wann kann man das Fräu­lein nicht mehr besu­chen, zum Trost ist der gro­ße klei­ne Stuhl im Wohn­zim­mer der eige­nen Fami­lie gelan­det, das Kind hat geerbt. Spä­ter, viel spä­ter, als das Kind gar keins mehr ist, erfährt es, das sich das Fräu­lein am Heiz­kör­per erhängt hat.

Soweit hat das Kind gelernt, das es sich frei und sicher bewe­gen kann, über­all wird es freund­lich begrüßt und bewir­tet, man braucht sich nicht zu fürch­ten, oder doch? Doch, vor Hun­de­mei­er muss man sich fürch­ten. Hun­de­mei­er wohnt gegen­über und heißt so, weil er einen klei­nen Hund hat, der immer an der Lei­ne zieht; das Kind und sei­ne Geschwis­ter sind sicher, das sich der gro­ße Mann von dem klei­nen, klei­nen Hund zie­hen lässt, man kann sehen, wie sich das Hünd­chen abra­ckern muss, wie es keucht; oder sehen wir Hun­de­mei­er und sei­nen Hund nur so, weil er zu denen gehört, von denen die Eltern mit so lei­ser Stim­me reden, mit gera­de der Stim­me, die für die wich­ti­gen Wör­ter da ist? Das Kind weiß schon eine gan­ze Rei­he, jedes ist so gut wie eine Geschich­te oder wie der Anfang einer Geschich­te oder ein Ende, sie haben alle mit „drei­und­drei­ßig“ zu tun, und „abho­len“ gehört dazu und „Par­tei“ und „Pg“ und „Orts­grup­pen­lei­ter“; es gibt vie­le Wör­ter, und sie bedeu­ten alle das­sel­be: Es gibt etwas, was den Eltern Angst macht, es hat ihnen schon ganz lan­ge Angst gemacht, es ist etwas gesche­hen, wes­we­gen sie eigent­lich nicht mehr soviel Angst haben müss­ten, aber das Kind begreift: Wenn man die wich­ti­gen Wör­ter zu laut aus­spricht, wer­den sie wie­der mäch­tig und ste­hen mit einem­mal mit­ten im Haus­flur, wie Hun­de­mei­er eines Tages, dem hat­te mein Vet­ter auch zu laut: „Hun­de­mei­er!“ hin­ter­her­ge­ru­fen und sich dann schnell ins Haus gef1üchtet, und Hun­de­mei­er hat­te geklin­gelt, und der dum­me Vet­ter macht auch noch selbst auf, und Hun­de­mei­er schlägt ihm mit vol­ler Wut rechts und links ins Gesicht und in unserm Haus, und wir hat­ten ihn noch reingelassen.

Die lei­sen Wör­ter wer­den laut sehr laut, wenn der Nazi-Onkel zu Besuch kommt. Er will sich mit dem Kind anfreun­den, er weiß, das das Kind was gilt in der Fami­lie, aber er hat kei­ne Chan­ce; das ein­zig Gute an ihm ist sei­ne rote, rich­ti­ge Bahn­hofs­vor­ste­her­müt­ze. Der Onkel ist Reichs­bah­ner gewe­sen und darf immer noch umsonst mit der Bahn fah­ren, so oft er will. Der Onkel ist zu laut, und er zieht sich gleich sei­ne Jacke aus, weil er immer so schwitzt; wenn er zu dem Kind sagt: „Kumm bei meisch“, das sagen da, wo er her­kommt, die Leu­te, wenn sie mei­nen „Komm zu mir“, dann will das Kind nicht kom­men; es fin­det die Spra­che so ver­kehrt und häss­lich wie den gan­zen Onkel, er gehört zu den Wör­tern, er haut sein Kind, den Vet­ter; sei­ner Freund­lich­keit ist nicht zu trau­en, nicht ein­mal, wenn einem die Müt­ze gehö­ren soll, der Onkel kommt zu nahe und will das Kind kit­zeln, er hat kei­ne Chan­ce, er ist der ers­te, der rich­ti­gen Abscheu erregt, das ist noch etwas ande­res als die Angst vor Hun­de­mei­er. Kei­ner in der Fami­lie mag ihn, das Kind fühlt, es darf ihn has­sen und hasst ihn, für alle Wör­ter und die Angst, die mit ihnen im Haus ist, es ist unge­recht, aber auch das darf es sein. Die Tan­te, die zu ihm gehört, darf auch umsonst mit der Bahn fah­ren. Sie kömmt öfter, immer hat sie einen Zug ver­passt, und alle wer­den ner­vös. Wenn sie da ist, kom­men noch zwei ande­re Tan­ten zu Besuch; die Mut­ter sieht ihnen so ähn­lich, als ob sie auch bloß eine Tan­te ist. Das Kind ist nicht ein­ver­stan­den damit und fühlt sich von der Mut­ter ver­ra­ten. Die Tan­ten lachen immer viel, und die Eisen­bah­ner­tan­te wird oft aus­ge­lacht und merkt es gar nicht, aber das Kind merkt es und gönnt es ihr wegen des Onkels; von dem wird gar nicht gespro­chen, wenn er nicht da ist, oder doch? Doch, das Kind will die Geschich­te von dem Polen mit dem Hut hören, es ist wie die Geschich­te von Jesu Schäf­lein: Sie han­delt von zwei Sachen, und sie gehört in den Osten. „Im Osten“ gehört zu den Wör­tern, und davon han­delt die­se Geschich­te und die, die dann immer gleich hin­ter­her­kommt, und dann han­delt die Geschich­te auch vom Onkel: „Das war in Wol­stein!“, rufen die Tan­ten, und wie doch der Onkel „Pg“ war, und wie die Tan­ten das aus­spre­chen, hat man kei­ne Angst, es klingt bloß wie etwas Häss­li­ches, da hat er also von „der Par­tei“ ein Haus bekom­men, eine rich­ti­ge Vil­la, aber nicht rich­tig von der Par­tei, son­dern von einem Polen, der muss­te aus sei­nem Haus aus­zie­hen, damit der Onkel dar­in woh­nen konn­te, er ganz allein, bloß noch mit der Tan­te und dem Vet­ter und der Cou­si­ne. Die Tan­te hat es nicht recht gefun­den, und das Kind begreift, das sie es dem Onkel nicht sagen moch­te, er wird so schreck­lich wütend. Aber der Mann, dem sie das Haus weg­ge­nom­men hat­ten, kam jeden Tag vor­bei und hat geguckt, was die Tan­te und der Onkel in sei­nem Haus mach­ten. Und die Tan­te hat jeden Tag am Fens­ter hin­ter dem Vor­hang gestan­den, mit Herz­klop­fen, und gewar­tet, ob er heu­te auch kommt, und davon durf­te sie dem Onkel auch nichts erzäh­len und auch nichts davon, was der Mann immer gemacht hat, wenn er an dem Haus vor­bei­spa­ziert ist: Er hat näm­lich immer zu dem Fens­ter hoch­ge­guckt, als ob er wüss­te, das die Tan­te hin­ter dem Vor­hang ver­steckt wäre, dann hat er sei­nen gro­ßen, schwar­zen Hut tief gezo­gen und furcht­bar höf­lich zu mei­ner Tan­te hoch­ge­grüßt. Das hat er jeden Tag gemacht, solan­ge sie dar­in wohn­te. Das Kind lieb­te die Geschich­te wegen des Hutes und der Ver­beu­gung, und es wuss­te nun, das im Osten die Män­ner gro­ße, schwar­ze Hüte tra­gen und Ver­beu­gun­gen machen, vor denen man sich fürch­ten musste.

„Das war mei­ne Stra­fe“, sag­te die Tan­te immer zum Schluss, und danach wur­de sie auch nicht mehr aus­ge­lacht; und das Kind wuss­te auch, das die Geschich­te eigent­lich wegen des Onkels erzählt wur­de, der nicht da war und nicht rich­tig zu uns gehö­ren sollte.

Wenn die­se Geschich­te fer­tig war, kam immer die ande­re, die die Mut­ter erzäh­len muss­te und die auch von Polen han­del­te, „Gefan­ge­ne“, sag­te die Mut­ter, und das Kind hat erst spä­ter begrif­fen, was es sich bei dem Wort gedacht hat­te: Da sah es in einem Muse­um in Ham­burg einen „Men­schen­fän­ger“, einen lan­gen Stock mit einer eiser­nen Schlin­ge, die wur­de einem Gejag­ten von der Poli­zei über den Kopf geschla­gen: So muss­ten die­se Polen wohl gefan­gen wor­den sein; der Vater war ja damals „im Krieg“, das Kind weiß schon, nur der Vater und die Onkel waren „im Krieg“, wer dar­in war, hat nicht viel zu sagen, wenn die Tan­ten erzäh­len („der Vater“, sagt die Mut­ter, „träumt bloß oft davon, wie er im Krieg war, dann schreit er ganz laut und wacht auf mit­ten in der Nacht“); die Tan­ten waren nicht „im Krieg“, sie waren im Luft­schutz­kel­ler, wenn die Bom­ben­näch­te waren, und die waren, „als es Krieg war“. So war die Mut­ter ohne den Vater im Osten, wäh­rend des Krie­ges, und es war Win­ter, und eine ande­re Geschich­te ging so, das im Osten die Win­ter so kalt sind, das die Raben, die viel grö­ßer sind als die Doh­len, die das Kind kennt, groß wie Hüh­ner sol­len sie sein, das also die Raben über Nacht auf den Zwei­gen erfrie­ren und am nächs­ten Tag plötz­lich in den Schnee auf dem Boden fal­len; in so einem Win­ter also wur­den gefan­ge­ne Polen in die Kir­che von Bobers­berg ein­ge­sperrt, da hat­ten die Eltern eine Gemein­de. Dar­in muss­ten sie hun­gern und frie­ren, und vor der Kir­che hielt ein Sol­dat Wache. Und dann erzähl­te die Mut­ter, wie die Ein­woh­ner von Bobers­berg an der Kir­che vor­bei­gin­gen und hin­ter der bewach­ten Tür ein Kra­chen und Split­tern und Sin­gen hör­ten: Das waren die Polen, die das Kir­chen­ge­stühl zer­bra­chen, um sich ein Feu­er zu machen, und die san­gen, um sich zu trös­ten. Das Kind weiß, das man in der Kir­che ganz still sein muss, es hat kein Mit­leid mit den Gefan­ge­nen; die Vor­stel­lung ist so furcht­erre­gend: Hin­ter der Kir­chen­tür das Kra­chen und Knis­tern von Feu­er und Gesang, das muss­ten rich­ti­ge Ver­damm­te in der Höl­le sein, oder so etwas wie die Jüng­lin­ge im Feu­er­ofen, die es aus den bibli­schen Geschich­ten kennt, denen war nicht mehr zu hel­fen; das dann die Polen von einem Wehr­machts­kom­man­do auf die Dorf­wie­se getrie­ben und in die Luft gesprengt wur­den, scheint dem Kind das rich­ti­ge Ende zu den schreck­li­chen Geräu­schen in der Kir­che zu sein. Nein, im Osten ist es nicht geheu­er. Gut, das man da nicht mehr hin­ge­hen kann, aber viel­leicht ist es auch scha­de, sonst wür­de der Vater, der daher stammt, auch etwas davon erzäh­len, wie es bei ihm war, als er so klein wie das Kind war. Oder sind die Väter von Vätern aus dem Osten auch nicht recht geheu­er, und man erzählt lie­ber nichts von ihnen? Bestimmt kön­nen sie nicht so auf­re­gend sein, wie der Vater der Tan­ten, sie und die Mut­ter haben ja alle den­sel­ben, es muss der bes­te Vater sein, den man haben kann. Er hat Land­stras­sen gebaut und ein­mal einen Stau­damm, da durf­ten die Tan­ten in Dör­fern woh­nen, die waren ganz ver­las­sen, „eva­ku­iert“, heißt es, jetzt sind sie alle unter Was­ser; und manch­mal war er unsin­nig reich, zwei­hun­dert Schreib­ma­schi­nen auf ein­mal hat er da gekauft, „wegen der Infla­ti­on“, sagen die Tan­ten, das war auch eine „schlech­te Zeit“, und die Tan­ten gin­gen noch zur Schu­le, und eines Mor­gens waren alle Schreib­ma­schi­nen geklaut, und die Fami­lie war wie­der arm: Die Tan­ten muss­ten in Holz­schu­hen zur Schu­le gehen; das Kind denkt an die Sonn­tags­spa­zier­gän­ge, immer hat es einen Stein im Schuh, die Tan­ten tun ihm leid, wenn sie erzäh­len, wie hart sol­che Holz­schu­he drü­cken, die Knö­chel wer­den wund und blu­ten, die Woll­strümp­fe sind dick und scheu­ern an den offe­nen Stel­len und ver­kle­ben, wenn das Blut ein­trock­net, und das Schlimms­te ist die Schan­de, das man kei­ne Leder­schu­he hat; wenn in der Schu­le Pau­se ist, ren­nen die Tan­ten ganz schnell zur Sand­kuh­le auf dem Schul­hof und bud­deln sich bis zu den Knö­cheln in den Sand ein, damit nie­mand die Holz­schu­he sehen kann, erst wenn die Pau­se vor­bei ist, bud­deln sie sich wie­der aus. Bei ihnen zu Hau­se sitzt ihr Vater, er hat kei­ne Arbeit, aber er ist schon ein ganz beson­de­rer Vater: Er ist auch Erfin­der, er erfin­det einen auto­ma­ti­schen „Weih­nachts­baum­ker­zen­aus­lö­scher“, das sind kur­ze Röhr­chen, für jede Ker­ze eins, die wer­den über die Ker­zen gesteckt, und wenn die Ker­ze run­ter­ge­brannt ist, schnappt ein Deckel­chen aufs Röhr­chen, und die Ker­ze kriegt kei­ne Luft mehr; der Erfin­der­groß­va­ter hat aber kein Geld damit ver­dient, das Kind fin­det auch, Pus­ten ist bes­ser; aber es hört den Tan­ten so gern zu, wenn sie von die­sem Groß­va­ter erzäh­len, dann sehen sie sich noch ähn­li­cher als sonst; nur der Vater und die Onkel wer­den noch stum­mer als sonst, gegen so einen Groß­va­ter kommt kei­ner auf, von ihnen gibt es nicht die kleins­te Geschich­te; von dem einen weiß das Kind wie­der nur so ein Wort, es heißt: „Idea­list“, und das die Tan­te nicht mehr Sarah hei­ßen durf­te, wenn sie mit ihm zusam­men­blei­ben woll­te, und das ist nichts, wor­über die Tan­ten gern lachen; sie lachen so gern, wenn sie zusam­men sind, und fan­gen an zu singen:

„Wenn näch­tens mich der Leu umbrüllt“, das ist ja wohl gru­se­lig, die Tan­ten fin­den es aber lus­tig, bloß frü­her haben sie immer geglaubt, im Teu­to­bur­ger Wald wür­de sie ein­mal ein Leu umbrül­len; der Groß­va­ter hat es ihnen nicht aus­ge­re­det, „er fand die Phan­ta­sie so wich­tig“; nein, der Groß­va­ter ist der bes­te Mann, er war etwas Beson­de­res, obwohl das auch nicht so ein­fach war: Immer und immer muss­ten die Tan­ten mit dem Groß­va­ter umzie­hen, und wo sie neu hin­ka­men, da kann­te sie kei­ner, und sie waren „die Zigeu­ner­schen“; die Mut­ter möch­te schon gern auf dem Land woh­nen und dazu­ge­hö­ren und immer schon dage­we­sen sein; und dann war der Groß­va­ter noch Bap­tist, und wenn die Sol­da­ten auf dem Kaser­nen­hof antre­ten müs­sen am Sonn­tag­mor­gen und zum Got­tes­dienst­gang weg­tre­ten müs­sen, dann tre­ten die Katho­li­schen nach rechts weg, und die Evan­ge­li­schen tre­ten nach links weg, und dann steht der Groß­va­ter mut­ter­see­len­al­lein noch da und kriegt vom Spieß einen Anschnau­zer, weil er etwas Beson­de­res ist; viel­leicht fin­den es die Tan­ten doch gut, das die Onkel nicht so beson­ders sind; trotz­dem ist es scha­de: Man kann nichts Lus­ti­ges von ihnen erzäh­len. Die lus­ti­gen Geschich­ten sind meis­tens im Wes­ten, und meis­tens in Ibben­bü­ren, das ist ganz in der Nähe von Müns­ter, und das Kind wünscht sich, das die Fami­lie ein­mal dahin fährt; eigent­lich will es zu den Geschich­ten und weiß, das man die eigent­lich nicht besu­chen kann, aber man könn­te mit dem Volks­wa­gen fah­ren; wenn es dun­kel wird, kann der Vater auf einen Knopf tre­ten, das Kind hat das Auto unter­sucht: Der Knopf ist unten ganz links in der Ecke neben der Brems­pe­da­le, und dann leuch­tet das Fern­licht auf; das Fern­licht ist ganz klein und leuch­tet mit einem ganz beson­de­ren Blau hin­ter dem Len­ker, es ist so geheim­nis­voll und auf­re­gend und doch tröst­lich im dunk­len Auto; doch, mit dem blau­en Fern­licht könn­te man schon nach Ibben­bü­ren fah­ren, wo die Geschich­ten der Tan­ten sind; dort am Markt­platz muss ein Haus ste­hen, das hat auch eine Geschich­te aus dem Osten, das Haus ist ganz aus Bal­ken, und Mut­ters Freun­din hat dar­in gewohnt, als der ande­re Krieg war, der, als die Mut­ter sel­ber noch klein war, da kam ein Heim­keh­rer aus dem Osten und durf­te über­nach­ten, zu essen hat er auch bekom­men, und beim Essen konn­te man die Rat­ten hören, wie sie in all den Bal­ken her­um­lie­fen; im Haus von Mut­ters Freun­din waren nur Frau­en, weil die Män­ner alle im Krieg waren, und sie hat­ten alle Ekel vor den Rat­ten; der Heim­keh­rer aus dem Osten hat­te aber von dort eine Rat­ten­ver­trei­bungs­kunst mit­ge­bracht, und dann muss­ten Mut­ters Freun­din und alle, die noch in dem Haus wohn­ten, ins Bett gehen, damit ihm nie­mand zuse­hen konn­te; sie konn­ten aber alle nicht ein­schla­fen, und dar­um hör­ten sie mit­ten in der Nacht einen so ent­setz­li­chen Schrei, und gleich danach hör­ten sie ein wahn­sin­ni­ges Geren­ne und Getrap­pel im gan­zen Haus vom Dach bis zum Kel­ler und in allen Wän­den, wo die Bal­ken waren; am nächs­ten Mor­gen waren alle Rat­ten ver­schwun­den, und der Heim­keh­rer hat sich auch ver­ab­schie­det; so ist dem Kind auch der Spät­heim­keh­rer, der bei der eige­nen Fami­lie zum Woh­nen kommt, sehr unheim­lich; er heißt Onkel Hans und kommt „vom Rus­sen“; „Fried­land“ heißt es, und er war Poli­zist in „Wei­mar“ und Sozi. Poli­zist sein fin­det das Kind sehr erstre­bens­wert, „Schu­po“, sagt der Vater zu den Män­nern, die mit­ten auf der Stras­se ste­hen dür­fen und schö­ne Bewe­gun­gen machen, alle haben ein biss­chen Angst vor ihnen, trotz­dem krie­gen sie eine klei­ne Besche­rung vor Weih­nach­ten, mit­ten auf der Kreu­zung, wenn die Autos ganz nahe ran­fah­ren und Geschen­ke hin­le­gen. Der Onkel durf­te aber nicht mehr Poli­zist sein, als die Nazis dran­ka­men, weil er Sozi war, und dann hat ihn „der Rus­se“ noch so lan­ge ein­ge­sperrt, weil er Sozi war, es ist sehr unge­recht, und die­ser Onkel schimpft auch sehr viel, aber nie­mand ist ihm böse. Er gibt dem Kind heim­lich 20 Pfen­nig, das Kind darf ihn nicht dar­um bit­ten, und der Onkel darf es dem Kind eigent­lich nicht geben, er hat ja sel­ber nichts, aber das Geld braucht man, um beim Kon­di­tor Lös­kant ein Päck­chen Sol­da­ten­pro­vi­ant zu kau­fen; das ist eine klei­ne Papp­schach­tel mit einem Kau­gum­mi („Tschuingamm­pli­ess!“, muss man zu den Sol­da­ten sagen, wenn man eins haben will, man soll aber nicht), und ein Stück Scho­ko­la­de ist noch drin und etwas feuch­ter Keks. Zum Kon­di­tor Lös­kant geht man auch Kuchen holen, wenn ein beson­de­rer Besuch kommt: Noch ein Fräu­lein, noch eine Für­sor­ge­rin. Schon wie sie aus­sieht, ist etwas Beson­de­res: Sie ist sehr dick und hat eine Stim­me wie ein Mann, und alle hören zu, wenn sie etwas erzählt; sie trägt einen sehr gro­ßen Hut und hat einen Stock mit sil­ber­nem Knauf, und die Haa­re sind ein biss­chen bläu­lich, aber dies­mal sagt die Mut­ter nichts dazu. Eigent­lich, fin­det das Kind, müss­te die­ses Fräu­lein „Frau“ hei­ßen, und sie ist „damals gleich drei­und­drei­ßig“ ins Aus­land gegan­gen, nach Lon­don, und mit „Bon­hoef­fer“; „Bon­hoef­fer“, sagen die Eltern, es muss etwas Gutes sein. Der Kuchen wird bei Lös­kants geholt, weil das Fräu­lein weiß, das er wäh­rend des Krie­ges Leu­te ver­steckt hat; das Kind hört mit, das er etwas Ver­bo­te­nes getan hat, er hät­te bestraft wer­den kön­nen; es ist ein sehr folg­sa­mes Kind, aber es begreift, manch­mal ist das Ver­bo­te­ne das Gute; es ver­speist den Kuchen fast mit Hoch­ach­tung vor sich selbst, es gehört zu den Aus­er­se­he­nen, die von dem Geheim­nis des Kon­di­tors wis­sen, so ist auch der Kuchen für das Kind ver­steckt und geret­tet wor­den. Ist es ein Wun­der, wenn zu den Aus­er­se­he­nen sogar ein Besuch kommt, der frü­her in Chi­na war? Ein Amts­bru­der, er hat bei sich zu Hau­se einen chi­ne­si­schen Tep­pich, der oben an der Wand, dicht unter der Decke anfängt, die gan­ze Wand run­ter­geht und noch im gan­zen Zim­mer auf dem Boden liegt; er nennt den Vater „Bru­der Cle­mens“ oder nur „Cle­mens“; jetzt kommt er aus Genf und geht ans Kla­vier und bringt der Fami­lie bei, auf fran­zö­sisch zu sin­gen; die Mut­ter fin­det, das er eine ähn­li­che Figur wie der Vater hat und das sie bei­de in Uni­form bes­ser aus­se­hen; der Vater hört es nicht gern und ver­zieht das Gesicht, wenn wir uns das Foto im Schuh­kar­ton angu­cken, wo er eine Uni­form anhat, es ist eine Majors­uni­form, und der Vater ist unge­recht, er sieht wirk­lich bes­ser dar­in aus. Der Pas­tor aus Genf kommt ein­mal auch, als alle Kin­der schon im Bett sind und holt die Eltern ins Kino ab, sogar der Bru­der darf sich wie­der anzie­hen und mit­ge­hen, so etwas Beson­de­res ist es: „Die gute Erde“ heißt der Film und hat mit Chi­na zu tun. Wenn die Mut­ter „gute Erde“ sagt, ist ihre Stim­me wie beim Tisch­ge­bet, und das Kind weiß, das die Mut­ter manch­mal ger­ne in Erde rein­krie­chen wür­de, sie hat es ein­mal erzählt; dem Kind sind Schlamm­pfüt­zen lie­ber, aus denen es die Pem­pe her­aus­holt zum Förm­chen­fül­len, und es weiß schon, was nun kommt: Die Mut­ter lebt so gern auf dem Land und mit Bau­ern; als sie jung war, war sie Wan­der­vo­gel, und mit einem der Onkel hat sie ein­mal eine Geflü­gel­farm ange­fan­gen, in Loth­rin­gen, wo doch der Onkel aus Metz stamm­te; aber die Hüh­ner hat­ten alle den Pips gekriegt, und die loth­rin­gi­schen Bau­ern aus der Nach­bar­schaft waren so feind­se­lig, das Kind fin­det die­se Nach­barn eigent­lich sehr gemein, aber es ist doch erleich­tert, das die Mut­ter nicht dort geblie­ben ist, und es ist irgend­wie eifer­süch­tig an Vaters Stel­le und gibt ihm recht, wenn er sagt: „Aber Inge“. Die Eltern haben immer Vor­na­men, wenn sie sich nicht einig sind, und wenn sie über Din­ge reden, die ganz frü­her waren, als sie noch nicht Vater und Mut­ter hie­ßen. „Aber Inge“, sagt der Vater, „Bau­ern haben doch kein Ver­hält­nis zur Schol­le, das sind doch ganz har­te Geschäfts­leu­te“, und das Kind weiß, die Mut­ter kann ruhig: „Aber Georg“ sagen, der Vater hat doch recht, er ist auf dem Land groß gewor­den; das Kind ist froh, dass das „Georg“ nichts nützt; es heißt „Bau­er“ auf grie­chisch, aber der Vater woll­te kein Bau­er sein, er ist lie­ber „Cle­mens“ gewor­den, das ist latei­nisch und heißt „sanft“, und das Kind ist auch froh, das der Vater kei­ne kur­zen Hosen anhat und Lau­te spielt und zel­ten geht, wie es die Mut­ter ger­ne hät­te; und bei­na­he wäre die Mut­ter zu den Art­a­ma­nen gegan­gen, weil sie dach­te, mit meh­re­ren auf dem Land leben, das wäre christ­lich, und „Urkom­mu­nis­mus“ sagt sie; nun kommt wie­der „Aber Inge!“ und „Das waren doch ganz Rechts­ra­di­ka­le!“, aber schließ­lich hat sie es ja gar nicht getan, dafür hat sie Ernst Thäl­mann gewählt, und obwohl der Vater recht hat und sie nichts dage­gen sagen kann, behält sie ihr leuch­ten­des Gesicht, wenn sie von der guten Erde spricht und von „rein­krie­chen“ und von den Urchris­ten und wie die alles geteilt hätten.

Aber die Mut­ter strei­tet sich nicht ger­ne, sie hat auch lie­ber ihr leuch­ten­des Gesicht, wenn es nie­mand ärgert, und jetzt ist die gute Erde nur noch der Kino­gang, und wie schön es ist, wenn etwas Unge­wöhn­li­ches geschieht; für das Kind ist alles unge­wöhn­lich, sogar die Hun­de, es sind immer wie­der ande­re, man kann sich nicht an sie gewöh­nen; sie gehö­ren eigent­lich zum Vater, auch wenn die Mut­ter ihnen das Fut­ter gibt; wenn der Vater kommt, wedeln sie beson­ders stark und sprin­gen und jau­len; viel­leicht waren sie auch im Krieg, und Hun­de haben kei­ne Geschwis­ter und kei­ne Mut­ter, so lau­fen sie dem Vater nach und woh­nen bei uns, aber immer pas­siert ihnen was: Wie Bes­sie, das Kind kennt schon vie­le Sor­ten von Hun­den, Bes­sie ist eine Boxer­hün­din, ihr Gesicht sieht so gefähr­lich aus, aber Bes­sie ist ein „rich­ti­ger Kin­der­hund“, und nach dem Vater liebt sie die gro­ße Schwes­ter am meis­ten und holt sie immer von der Schu­le ab oder geht ihr ein Stück ent­ge­gen; und wenn sie die Schwes­ter sieht, springt sie ihr ent­ge­gen, und ein­mal passt sie nicht auf, als sie sich so freut und rennt über die Stras­se und kommt unter die Stra­ßen­bahn; wir begra­ben sie im Gar­ten, es ist eigent­lich nicht erlaubt, aber die Beer­di­gung ist sehr fei­er­lich, und Bes­sie bekommt ein Kreuz aufs Grab; nein, an die Hun­de kann man sich nicht gewöh­nen, und wenn man sich an sie gewöhnt hat, rei­sen sie viel­leicht ab, wie Timo­schen­ko, unser liebs­ter Hund; er war eine Hei­de­wach­tel, das Kind darf auf ihm rei­ten, sein dickes Fell am Hals ist so gut zum Strei­cheln, aber als der Vet­ter kommt, der Lieb­lings­vet­ter, hat das Kind bei Timo­schen­ko aus­ge­spielt, die gan­ze Fami­lie ist ver­ges­sen, sogar der Vater; für Timo­schen­ko gibt es nur noch den Vet­ter: Als er wie­der weg fah­ren muss, beglei­ten ihn alle zur Stra­ßen­bahn, Timo­schen­ko kommt mit; die Stra­ßen­bahn hat offe­ne Türen und ein Tritt­brett drau­ßen, da kann man drauf­sprin­gen; als der Vet­ter schon in der Stra­ßen­bahn sitzt und abfährt, reißt sich Timo­schen­ko los und springt auf das Tritt­brett und fährt auch weg. Die Schwes­ter sagt, er hät­te ihr zum Abschied gewun­ken, und es war auch ein rich­ti­ger Abschied: Timo­schen­ko ist nicht zu uns zurück­ge­kom­men, und den Vet­ter hat er nicht wirk­lich beglei­tet, er ist ein­fach abge­reist. Das Kind ist trau­rig, aber es nimmt sich nicht viel Zeit dafür; in der schlech­ten Zeit kom­men und gehen die Hun­de eben, wie es ihnen ein­fällt, es gibt bestimmt noch vie­le Hun­de, die kei­ne Woh­nung haben, und nun ist wie­der Platz zu Hau­se für einen neu­en; es ist ein Dober­mann, und der ein­zi­ge Satz ist hier noch gar nicht zu Ende, aber der Platz in die­sem Buch; und gele­gent­lich muss man Atem holen: Mit­ten im Satz.

(Zuerst erschie­nen in: Johan­nes Merkel/ Micha­el Nagel: Erzäh­len – die Wie­der­ent­de­ckung einer alten Kunst, Rein­bek 1982)