Zur sprachlichen Bildung im Kindergarten und der Grundschule

Johan­nes Merkel

Die Beherr­schung der Ver­kehrs­spra­che in Rede und Schrift stellt zwei­fel­los den ent­schei­den­den Schlüs­sel für eine erfolg­rei­che Bil­dungs­kar­rie­re dar. Die Lebens- und Arbeits­fä­hig­keit in unse­ren Gesell­schaf­ten hängt nahe­zu in allen Berei­chen davon ab, Tex­te ver­ste­hen und ver­fas­sen, aber eben auch davon sich in einer Arbeits­grup­pe ver­stän­di­gen und in öffent­li­cher Rede auf­tre­ten zu kön­nen. Wäh­rend unse­re Schu­len auf die Ver­mitt­lung lit­te­ra­ler Bil­dung aus­ge­rich­tet sind, legen sie noch immer gerin­gen Wert auf eine aus­rei­chen­de Befä­hi­gung ein Gespräch zu füh­ren oder vor einem Publi­kum zu spre­chen. Lesen und Schrei­ben ent­schei­det aber auch des­we­gen über den Schul­erfolg, weil der Schul­un­ter­richt kaum Hand­lungs­räu­me vor­sieht, in denen sprach­lich weni­ger erfolg­rei­che Schü­ler ihre prak­ti­schen Fähig­kei­ten unter Beweis stel­len und sol­che Fähig­kei­ten des­halb auch nicht bewer­tet wer­den kön­nen. Selbst im Sach- oder Mathe­ma­tik­un­ter­richt hängt die erfolg­rei­che Teil­nah­me noch von der Sprach­be­herr­schung ab: Erklä­run­gen oder Auf­ga­ben, die nicht ver­stan­den wer­den, sind auch kaum zu beant­wor­ten oder zu lösen. Ande­rer­seits wür­de ein stär­ker hand­lungs­be­ton­ter Unter­richt (wie er in Form von Pro­jekt­un­ter­richt in Reform­schu­len prak­ti­ziert wird) der Sprach­för­de­rung neue Spiel­räu­me öff­nen. Spre­chen und Sprach­struk­tur sind schon beim Sprach­er­werb in der Kind­heit über das gemein­sa­me Han­deln erwor­ben und aus­dif­fe­ren­ziert wor­den. „Sprach­han­deln“ ist nicht nur der Schlüs­sel für den Erwerb der Mut­ter­spra­che in der Kind­heit, es bil­det auch die Grund­la­ge für jedes sprach­li­ches Ler­nen im Ele­men­tar­be­reich bis weit in die Grund­schul­jah­re hinein.

Das Dilem­ma der Grundschule

Der Grund­schul­un­ter­richt rech­net in sei­ner über­kom­me­nen Aus­rich­tung mit Kin­dern, die das Deut­sche bereits im Prin­zip regel­ge­recht spre­chen. Der Unter­richt kann sich dann dar­auf kon­zen­trie­ren Lesen und Schrei­ben bei­zu­brin­gen, die sprach­li­chen Struk­tur­re­geln, die bereits intui­tiv beherrscht wer­den, bewusst zu machen und in den Duk­tus for­ma­li­sier­ter Schrift­spra­che ein­zu­füh­ren. Es kom­men nun aber seit Jah­ren zuneh­mend Kin­der in die Schu­le, die die­se Vor­aus­set­zun­gen nicht mit­brin­gen, ent­we­der weil sie in ihrer Umwelt sprach­lich zu wenig ange­regt wur­den oder weil sie eine ande­re Mut­ter­spra­che spre­chen. Das heißt für den Unter­richt in den ers­ten Schul­jah­ren: Neben und vor der „eigent­li­chen“ Auf­ga­be Lesen und Schrei­ben bei­zu­brin­gen ist zugleich ein eini­ger­ma­ßen regel­ge­rech­tes Spre­chen zu för­dern, auf dem die gefor­der­te Schrift­lich­keit auf­bau­en kann. Auf die­se dop­pel­te Auf­ga­be ist aber weder die Grund­schu­le ihren Inhal­ten und ihrer Orga­ni­sa­ti­on nach vor­be­rei­tet noch sind es die ein­zel­nen Leh­rer, die dar­über oft an den Rand der Ver­zweif­lung geraten.

Sprach­bil­dung im Kindergarten

Um die­ser Malai­se zu ent­ge­hen ver­lan­gen Bil­dungs­po­li­ti­ker und Leh­rer, schon der Kin­der­gar­ten habe bei deutsch­spra­chi­gen wie zwei­spra­chi­gen Kin­dern eine aus­rei­chen­de Sprach­be­herr­schung sicher zu stel­len. Das ist zwei­fel­los eine sinn­vol­le und unter­stüt­zens­wer­te For­de­rung (auch wenn sie häu­fig geäu­ßert wird, um den schwar­zen Peter wei­ter­zu­rei­chen). Wie in ande­ren Berei­chen haben Ein­rich­tun­gen der Ele­men­tar­päd­ago­gik auch bei der Sprach­för­de­rung heu­te Auf­ga­ben zu über­neh­men, die in den Her­kunfts­fa­mi­li­en nicht mehr ohne wei­te­res geleis­tet wer­den (Und die auch frü­her nicht ohne wei­te­res erfüllt wur­den, aber eben nicht die umfas­sen­de Bedeu­tung für die Zukunft der Kin­der hat­ten, die sie in der soge­nann­ten „Wis­sens­ge­sell­schaft“ erhal­ten). Es ist aber alles ande­re als klar, was unter sprach­li­cher För­de­rung im Ele­men­tar­be­reich zu ver­ste­hen ist, wie sie aus­se­hen soll und wel­che sprach­li­chen Fähig­kei­ten durch wel­che Ange­bo­te oder Maß­nah­men ange­regt und geför­dert wer­den kön­nen.
Zunächst stößt jede Sprach­bil­dung (und Bil­dung steht hier bewusst statt „För­de­rung“) in unse­ren Kin­der­gär­ten auf enge Gren­zen: Weder sind unse­re Erzie­he­rin­nen in ihrer Aus­bil­dung (die im euro­päi­schen Ver­gleich sowie­so schon sehr beschei­den aus­fällt) auf die­se zen­tra­le Auf­ga­be vor­be­rei­tet wor­den noch steht im All­tag der Ein­rich­tung aus­rei­chend Zeit und Per­so­nal zur Ver­fü­gung. Her­kömm­li­cher­wei­se wur­den Kin­der mit Sprach­auf­fäl­lig­kei­ten an die Sprach­heil­kun­de ver­wie­sen und im übri­gen wur­de davon aus­ge­gan­gen, dass sich die Sprach­be­herr­schung im all­täg­li­chen Umgang zwi­schen Kin­dern und Fach­kräf­ten schon von selbst ver­bes­se­re. Män­gel der Sprech­fä­hig­keit beschrän­ken sich aber längst nicht mehr auf Stot­tern, Stam­meln oder man­gel­haf­te Laut­wahr­neh­mung. Vie­len Kin­dern fehlt schlicht die Anspra­che und damit die Anre­gung in ihrem täg­li­chen Umfeld, die ihnen ermög­li­chen wür­de, ihren Sprach­ge­brauch an die gän­gi­gen Strk­tur­re­geln anzu­pas­sen.
Nun kann man dar­auf ver­wei­sen, dass Sprach­för­de­rung inzwi­schen sowohl in den Wei­ter­bil­dungs­ein­rich­tun­gen ein beherr­schen­den The­ma gewor­den ist, dass ande­rer­seits der päd­ago­gi­sche Markt mit Publi­ka­tio­nen gera­de­zu über­schwemmt wird, die ver­spre­chen „Sprach­män­gel“ oder „Sprach­stö­run­gen“ zu behe­ben. Die­se Arbeits­vor­schlä­ge fol­gen gro­ßen Teils den glei­chen aus­ge­tre­te­nen Pfa­den: Sie arbei­ten mit sprach­för­dern­den Spiel­for­men wie Memo­rys, Reim­ver­sen und Grup­pen­spie­len und sind zwei­tens fast durch­weg für sepa­ra­te För­der­stun­den vor­ge­se­hen. Mit einer erstaun­li­chen Selbst­si­cher­heit wird dabei davon aus­ge­gan­gen, dass Kin­der die­se Spie­le mit Begeis­te­rung mit­spie­len und des­halb die ange­peil­ten Lern­zie­le durch die Hin­ter­tür erreicht wer­den. Das mag je nach Kind, Situa­ti­on und För­der­kraft klap­pen oder auch nicht, merk­wür­dig mutet die Selbst­ver­ständ­lich­keit an, mit der es im Stil der her­kömm­li­chen Lern­ziel­arith­me­tik vor­aus­ge­setzt wird: „Der Schü­ler lernt…“.

Sprach­be­glei­te­tes Handeln

Die ent­schei­den­de Lern­si­tua­ti­on, in der in frü­her Kind­heit Spra­che wahr­ge­nom­men, über­nom­men und gebraucht wird, kommt dabei kaum vor: Das gemein­sa­me sprach­lich beglei­te­te Han­deln. Spra­che erlaubt den Kin­dern ja mit den Men­schen ihrer Umge­bung in Bezie­hung zu tre­ten, sich im Wahr­neh­men und Han­deln wech­sel­sei­tig abzu­stim­men und Absich­ten wir­kungs­vol­ler zustan­de zu brin­gen. Wo Kin­der sich über beab­sich­tig­te Hand­lun­gen mit Kin­dern oder Erwach­se­nen, die sie mögen und brau­chen, ver­stän­di­gen, wird Spra­che ohne gro­ße Vor­keh­run­gen und För­der­kur­se zu ent­schlüs­seln und zu benut­zen gelernt. In sol­chen Situa­tio­nen wird Spra­che über­haupt erwor­ben, wer­den sprach­li­che Fähig­kei­ten immer dif­fe­ren­zier­ter aus­ge­bil­det und kann sich die kind­li­che Sprech­wei­se all­mäh­lich an die Regel­haf­tig­keit der gehör­ten Spra­che annä­hern. Vor­aus­set­zung dafür ist, dass das Han­tie­ren von Sei­ten der Erwach­se­nen oder auch älte­rer Kin­der sprach­lich beglei­tet wird, so dass die Akti­vi­tät mit der sprach­li­chen Bezeich­nung ver­gli­chen wer­den kann. Vor­aus­set­zung ist zwei­tens, dass aus­rei­chend dif­fe­ren­zier­te und zugleich an das kind­li­che Ver­ständ­nis ange­pass­te Sprech­vor­la­gen gebo­ten wer­den. Nur dar­über kann eine grund­sätz­li­che Sprach­be­fä­hi­gung ange­legt und ange­regt wer­den.
Die Sprach­för­de­rung beschränkt sich im All­tag unse­rer Kin­der­gär­ten jedoch zu häu­fig auf iso­lier­te För­der­stun­den: Die Erzie­he­rin, allein mit einer gan­zen Grup­pe, hilft den Kin­dern nach dem Früh­stück rasch und ohne vie­le Wor­te in die Jacken und Stie­fel, damit sie nach drau­ßen kom­men. Stun­den spä­ter ist dann die Sprach­för­der­stun­de ange­setzt, dazu bringt die För­der­kraft einen Sta­pel Bild­kar­ten mit. The­ma: Mei­ne Klei­dung.
Nichts gegen För­der­an­ge­bo­te über­haupt und gegen Ange­bo­te für ein­zel­ne för­der­be­dürf­ti­ge Kin­der. Aber sie kön­nen immer nur zusätz­li­che Hil­fe­stel­lun­gen bie­ten. Sprach­bil­dung muss im all­täg­li­chen und gemein­sa­men Umgang statt­fin­den. Das heißt aber: Die vie­len und oft auf­wen­di­gen Son­der­maß­nah­men und För­der­stun­den wer­den ihr Ziel kaum errei­chen, solan­ge nicht mehr und bes­ser aus­ge­bil­de­te Fach­kräf­te in den Ein­rich­tun­gen arbei­ten und die Sprach­er­zie­hung im all­täg­li­chen han­deln­den Umgang stattfindet.

„Dekon­tex­tua­li­sier­tes“ Sprechen

Sicher kann und soll sich Sprach­er­zie­hung nicht nur auf all­täg­li­ches „Sprach­han­deln“ beschrän­ken, sie ist aber die Grund­la­ge, auf der wei­te­re sprach­li­che Funk­tio­nen und Sprech­wei­sen auf­bau­en kön­nen und auf­bau­en müs­sen. Sie wird und muss erwei­tert wer­den durch „kon­text­un­ab­hän­gi­ges“ Spre­chen wie es bei Rol­len­spie­len und dem leben­di­gen Erzäh­len aus­ge­bil­det wird.
Und natür­lich ist damit erst nichts gegen spie­le­ri­sche Ver­fah­ren der Sprach­för­de­rung gesagt. Jede Art von Spie­len bie­tet sym­bo­li­sche (stell­ver­tre­ten­de) Hand­lungs­si­tua­tio­nen. Da Spra­che zunächst über das Spre­chen im han­deln­den und zwi­schen­mensch­li­chen Umgang gelernt wird, ent­steht die sprach­li­che Äuße­rung immer aus der kör­per­li­chen Bewe­gung her­aus, die sie ergänzt, ersetzt und über­formt. Spie­le­ri­sche Ver­fah­ren sind des­halb des­to för­der­li­cher, je mehr sie die spie­le­ri­sche Bewe­gung erlau­ben und her­aus­for­dern. Das heißt aber, wirk­sa­mer als Bil­der (die Bewe­gun­gen nur in der Vor­stel­lung anre­gen) eig­nen sich dafür Bewe­gungs­lie­der, Rol­len­spie­le oder das freie mit Ges­ten und Spiel ange­rei­cher­te Erzäh­len. Beim Erzäh­len ist die Bewe­gung auf die stell­ver­tre­ten­de Ges­te beschränkt und daher stei­gen die Anfor­de­rung an Sprach­ver­ste­hen und Sprach­be­herr­schung. Erzäh­len steht inso­fern schon dem Ver­ste­hen sprach­li­cher Tex­te näher, wie sie das Vor­le­sen ver­langt, berei­tet des­halb auf das Ver­ste­hen rein sprach­li­cher Tex­te vor.
Alle die­se „sym­bo­li­schen“ Ver­fah­ren för­dern eine Fähig­keit, die dann für die Schu­le wesent­lich wird: Die Kon­struk­ti­on von Hand­lun­gen durch kom­mu­ni­ka­ti­ve und sprach­li­che Zei­chen. Statt sich auf die Gegen­stän­de der sinn­li­chen Wahr­neh­mung zu bezie­hen, muss nun der Kon­text der fik­ti­ven Hand­lung in Spiel und Spra­che dar­ge­stellt wer­den. Die­ses „kon­text­un­ab­hän­gi­ge“ Spre­chen bahnt den Weg in die Schrift­lich­keit, schafft die Grund­la­ge für „Lite­ra­li­tät“, dem zen­tra­len Ziel des Grundschulunterrichts.

Nicht nur der Kin­der­gar­ten, auch die Schu­le muss sich refor­mie­ren
Aber auch eine ver­bes­ser­te und effek­ti­ve­re Sprach­er­zie­hung in den Kin­der­gär­ten wird die Pro­ble­me der Grund­schu­len mit der Sprach­pro­ble­men ein­zel­ner Schü­ler nicht lösen, schon des­we­gen weil nach wie vor Kin­der ein­ge­schult wer­den, die dem Unter­richt nicht ohne wei­te­res fol­gen kön­nen, sei es dass sie kei­nen Kin­der­gar­ten besuch­ten oder erst vor kur­zem nach Deutsch­land gekom­men sind.
Ein grund­sätz­li­che­res Pro­blem jedoch liegt in der Orga­ni­sa­ti­on der Schu­le und der Aus­rich­tung des Unter­richts. Wäh­rend in Kin­der­gär­ten Hand­lungs­räu­me und Spiel­räu­me für vie­le Akti­vi­tä­ten bestehen, sofern die Per­so­nal­de­cke nicht zu knapp ist und die Fach­kräf­te sie zu nut­zen wis­sen, ver­en­gen sich die Hand­lungs­räu­me in der Schu­le. Sprach­för­de­rung wird damit fast voll­stän­dig auf die „sym­bo­li­schen“ Ver­fah­ren beschränkt, aber auch dabei kann sich Spre­chen nur bedingt in Bewe­gung arti­ku­lie­ren und dar­stel­len. Die­je­ni­gen Kin­der, die in der Lage sind, still zu sit­zen und ihre Antrie­be auf die sprach­lich Äuße­rung zu beschrän­ken, wer­den geför­dert. Die dabei noch nicht oder nur müh­sam mit­hal­ten kön­nen, wer­den frü­her oder spä­ter aus­ge­grenzt und dann spä­tes­tens in der Sekun­dar­stu­fe die Lust am schu­li­schen Ler­nen ver­lernt haben.
Unse­re Schul­be­hör­den begeg­nen die­sem Pro­blem im all­ge­mei­nen mit der Ein­rich­tung geson­der­ter För­der­grup­pen. Es ist jedoch sehr frag­lich, wie weit die­se Maß­nah­men ihr Ziel errei­chen oder über­haupt errei­chen können.

Die Frag­wür­dig­keit von Sprachtests

Um För­der­grup­pen ein­zu­rich­ten, muss zunächst fest­ge­stellt wer­den, wer För­der­be­darf hat. Dabei traut kaum eine Schul­ver­wal­tung dem Urteil ihrer Leh­rer, son­dern führt ins­be­son­de­re vor oder beim Schul­ein­tritt Test­ver­fah­ren durch, die „objek­ti­ve“ Ergeb­nis­se zu brin­gen ver­spre­chen. Die Objek­ti­vi­tät ist aber eini­ger­ma­ßen zwei­fel­haft. Sprach­li­che Fähig­kei­ten wer­den von vie­len Fak­to­ren beein­flusst und umfas­sen recht unter­schied­li­che Sprach­funk­tio­nen.
Test­ver­fah­ren aber unter­lie­gen unwei­ger­lich einer­seits situa­ti­ven „Feh­ler­quel­len.“ Da ist ein­mal die Bezie­hungs­ebe­ne, die für das kind­li­che Spre­chen und Sprach­ler­nen ganz ent­schei­dend ist. Das zu tes­ten­de Kind wird sich die (ihm meist frem­de) Test­per­son kurz anse­hen und dann bereit sein, sei­ne gan­ze Sprach­fä­hig­keit ein­zu­set­zen oder sich eben ver­wei­gern. Dazu kommt die Tages­form, die zu sehr unter­schied­li­chen Ergeb­nis­sen füh­ren kann. Schließ­lich sol­len in den meis­ten Ver­fah­ren die Tes­ter nicht als Gesprächs­part­ner in Erschei­nung tre­ten und brin­gen damit die Kin­der in eine ihnen recht frem­de Sprech­si­tua­ti­on. Spre­chen heißt in die­sem Alter noch immer zu jeman­den zu spre­chen.
Zwei­tens kann schon aus Zeit­grün­den und wegen der begrenz­ten Mög­lich­kei­ten der Aus­wer­tung kein Test sprach­li­che Fähig­kei­ten in ihrer gan­zen Brei­te erfas­sen. Man beschränkt sich auf einen klei­nen Aus­schnitt: Auf das Ant­wor­ten auf Fra­gen, auf das Nach­er­zäh­len von Bil­dern oder auf ein gelenk­tes Gespräch. Kin­der haben in die­sen Berei­chen aber durch­aus unter­schied­li­che Fähig­kei­ten aus­ge­bil­det: Das Kind, das im Erzäh­len fit ist, kann durch­aus beträcht­li­che Schwie­rig­kei­ten in einer Unter­hal­tung oder einer Bild­be­trach­tung zei­gen. Gewer­tet wer­den die Test­ergeb­nis­se aber spä­tes­tens in der Umset­zung von Maß­nah­men als Aus­sa­gen über die Sprach­be­herr­schung der Kin­der über­haupt. Kein Test­ver­fah­ren kann des­halb mehr als einen unge­fäh­ren Ein­druck geben, der in der Wahr­neh­mung des Leh­rers, der das Kind dann auch unter­rich­tet, hilf­reich sein kann, aber als objek­ti­vier­ba­re Aus­sa­ge reich­lich will­kür­lich erscheint. (Sie­he dazu auch: Johan­nes Mer­kel: War­um das Pferd von hin­ten auf­zäu­men, in www.kindergartenpaedagogik.de).

Auch För­der­kur­se hel­fen nur bedingt

Ähn­lich skep­tisch stim­men die Maß­nah­men, die auf­grund der Test­ergeb­nis­se getrof­fen wer­den. Da die Kin­der aus dem Klas­sen­zu­sam­men­hang genom­men wer­den, müs­sen all­ge­mei­ne Sprach­för­der­pro­gram­me ange­wen­det wer­den, die aber wie­der­um not­wen­di­ger­wei­se nicht an den Unter­richt in der Klas­se anknüp­fen, aus dem geleb­ten Zusam­men­hang her­aus­fal­len und des­halb Sprach­ler­nen zu erschwe­ren dro­hen.
Auch der inzwi­schen gefor­der­te durch­gän­gi­ge (auch in den Sach­fä­chern prak­ti­zier­te) Sprach­un­ter­richt führt nicht auto­ma­tisch zu einer Ver­bes­se­rung. Er wür­de selbst bei ein­schlä­gi­ger Vor­bil­dung der Fach­leh­rer nur dann sprach­bil­dend wir­ken, wenn dort mehr hand­lungs­be­ton­ter Unter­richt prak­ti­ziert wür­de (was von den Gegen­stän­den die­ser Fächer her sich anbie­ten wür­de), aber wie­der­um in der gän­gi­gen Unter­richts­pra­xis kaum vor­ge­se­hen ist und auf vie­le Hin­der­nis­se trifft.
Indi­vi­du­el­le För­de­rung durch eine För­der­kraft, die am Sprach- oder am Sach­un­ter­richt teil­nimmt, wie sie etwa in Schwe­den prak­ti­ziert wird, dürf­te sich als wirk­sa­mer erwei­sen, weil hier immer­hin die Klas­se als Lebens­ort nicht ver­las­sen wird und die Kin­der an die­sem Lebens­ort aner­kannt und geför­dert wer­den. Da das Sys­tem von För­der­maß­nah­men oben­drein auch noch gro­ßen orga­ni­sa­to­ri­schen Auf­wand erfor­dert (der wie­der­um auf die betrof­fe­nen Kin­der zurück­wirkt) und ähn­lich wie die Tests kei­nes­wegs bil­lig aus­fällt, erschei­nen auch die För­der­kur­se in ihrem Ergeb­nis in einem recht frag­li­chen Licht. Wir­kungs­vol­ler und wahr­schein­lich auf län­ge­re Sicht kaum kost­spie­li­ger (sofern man teu­re Maß­nah­men wie das Sit­zen­blei­ben und Son­der­klas­sen für Schul­ver­wei­ge­rer ein­be­zieht) wäre es, jeder Klas­se mit abschätz­ba­rem För­der­be­darf eine zwei­te Kraft zuzu­wei­sen, die im nor­ma­len Unter­richt indi­vi­du­el­le Unter­stüt­zung ein­zel­ner Schü­ler ermög­licht. Dar­über könn­ten dann auch Hand­lungs­spiel­räu­me bes­ser genutzt und erwei­tert wer­den wer­den, in denen sich Tätig­kei­ten mit sprach­li­cher Anre­gung ver­bin­den lassen.

(Erschie­nen in „Grund­schu­le“ 1/2007)