Zwar hieß er Blaser, aber eigentlich war er ein Bläser. Herr Blaser spielte nämlich die zweite Flöte im Staatsorchester. Und außerdem war er auch ein gewissenhafter Mensch, so gewissenhaft, dass er sich nicht nur eine, sondern gleich zwei Flöten angeschafft hatte. Für den Fall, dass eine Flöte ausfallen würde, bliebe ihm immer noch das zweite Instrument. Diese beiden Flöten bewahrte Herr Blaser in einem Doppeletui und zur Probe oder zum Konzert nahm er immer beide mit. In dem Etui lagen sie eng beisammen und er nannte sie seine „Zwillinge“.
Herr Blaser hatte einen Sohn, für den hatte er aber leider nur wenig Zeit. Ich sagte ja schon, er war ein sehr gewissenhafter Mensch, er war so gewissenhaft, dass er nicht nur bei den Proben, sondern auch zu Hause jede freie Minute auf seinen Zwillingsflöten übte. Wem das gar nicht gefiel, war sein kleiner Sohn. Der wünschte sich, dass Herr Blaser zu Hause nicht immer nur auf seinen Flöten, sondern auch mal mit ihm spielte. „Tut mir leid, mein Junge,“ sagte ihm dann Herr Blaser. „Aber ich muss üben, sonst spiele ich am Ende noch falsche Töne im Konzert.“
Tatsächlich trat dann auch bald der Fall ein, für den Herr Blaser vorgesorgt hatte. Mitten in einem Konzert gab Blasers Flöte statt lieblicher Flötentöne kratzende Geräusche von sich, gerade so, als ob sie hustete. Die anderen Instrumente spielten liebliche Töne, nur Herrn Blasers Flöte hustete. Der Dirigent zuckte zusammen und blickte böse nach dem Flötisten. Da war es wirklich ein Riesenglück, dass er für diesen Fall vorgesorgt und seine Ersatzflöte dabei hatte. Er holte sie aus dem Etui und spielte darauf weiter: Statt Husten und Kratzen waren wieder nur liebliche Töne zu hören. Der Dirigent nickte zufrieden und das Konzert konnte weiter gehen.
Nach dem Konzert dachte Herr Blaser: „Was hat die Flöte nur gehabt?“ Er holte die hustende Flöte aus dem Etui, blies hinein und was hörte er? Husten. Wie gesagt, Herr Blaser war ein sehr gewissenhafter Mensch. „Ein Glück, dass ich die Zwillingsflöte dabei hatte!“ dachte er. „Aber was mache ich, falls mir auch die Ersatzflöte anfängt zu husten?“ Noch am gleichen Tag ging er mit der hustenden Flöte zu einem Arzt. Der Arzt hielt sein Stethoskop an die Flöte, während Herr Blaser hineinblies. Und was hörte der Arzt? Rasseln und Fauchen. Das hörte sich nach einer Lungenentzündung an, entschied er und schrieb eine Überweisung ins Krankenhaus, und als Herr Blaser seine Flöte ins Krankenhaus brachte, wurde sie in ein Krankenbett gesteckt. Dann kam ein Krankenhausarzt zur Visite und untersuchte alle Patienten, nur die Flöte übersah er: Sie war nämlich halb unter die Decke gerutscht. „Moment, Herr Doktor,“ sagte die Krankenschwester. „Da liegt noch ein Patient mit Lungenentzündung.“ Der Krankenhausarzt untersuchte die Flöte und die Schwester musste hineinblasen. Und was hörte er: Rasseln und Fauchen. „Drei Mal am Tag eine Tablette,“ verordnete der Doktor. Die Krankenschwester überlegte, wie sie dem Patienten eine Tablette geben könnte. Schließlich steckte sie die Tablette in das oberste Flötenloch. Aber leider war die Flöte am nächsten Tag noch immer nicht gesund: Als die Schwester hinein blies, klimperten jetzt neben dem Rasseln und Fauchen auch noch die Tabletten. „Wir versuchen es mit einer Spritze,“ verordnete der Arzt. Die Schwester musste die Flöte festhalten, aber die Nadel glitt am Holz ab und zerbrach. Da wusste der Arzt auch nicht mehr, was er noch mit ihr anfangen sollte und ließ Herrn Blaser ausrichten, er soll seine Flöte wieder abholen.
Aber am nächsten Tag kam Herr Blaser mit der anderen Zwillingsflöte ins Krankenhaus. „Hören Sie sich das an!“ Und er blies in die Zwillingsflöte und was war zu hören? Rasseln und Fauchen. „Sie muss sich bei ihrer Zwillingsschwester angesteckt haben. Sie liegen doch immer so eng zusammen.“ Und dann weinte Herr Blaser, weil nun das eingetreten war, was er mit seiner Gewissenhaftigkeit verhindern wollte, nämlich, dass beide Flöten ausfielen und er jetzt gar nicht mehr im Orchester spielen konnte. „Wir haben getan, was wir konnten,“ sagte der Arzt. „Schmeißen Sie die alten Flöten weg und kaufen Sie sich neue!“
So gewissenhaft, wie er war, dachte Herr Blaser: Ich muss mir Drillingsflöten kaufen. Für den Fall, dass beide Flöten Husten kriegen, bleibt mir dann noch die dritte.“ Und er ging zu einem Flötenbauer, um Drillingsflöten zu kaufen. Die dritte Flöte sollte ein eigenes Etui bekommen, damit sie sich nicht an den Zwillingsflöten anstecken konnte.
„Flöten, die husten?“ wunderte sich der Flötenbauer. „Lassen Sie mal sehen!“ Herr Blaser blies in die Zwillingsflöten und es hörte sich tatsächlich an wie Husten. Da leuchtete der Flötenbauer mit einer Taschenlampe von oben in den Flötenkörper, dann von unten, schließlich setzte er die Flöten an den Mund, erst die eine, dann ihre Zwillingsschwester, und er pustete, was er nur pusten konnte. Und was passierte? Aus den beiden Flöten schossen unten Papierkügelchen heraus und plötzlich gaben sie beide wieder die lieblichsten Töne von sich. Sie hatten gar keine Lungenentzündung, sondern jemand hatte Papierkügelchen durch die Flötenlöcher geschoben.
Und ahnt ihr, wer das war? Der Junge von Herrn Blaser, der sich immer ärgerte, weil sein Papa so gewissenhaft war, dass er immer nur auf den Flöten und nie mit ihm spielte. So ein Schlingel! Erst war Herr Blaser stocksauer, aber dann dachte er nach und dachte: „Eigentlich hat der Junge Recht. Ich muss mir mehr Zeit für ihn nehmen.“ Und von da an spielte er nur noch auf den Proben und im Konzert auf seiner Flöte, zu Hause spielte er lieber mit dem Jungen oder er machte einen Ausflug mit ihm. Und seitdem haben Herrn Blasers Zwillingsflöten nie mehr gehustet und erst recht keine Lungenentzündung bekommen. Aber seine Zwillingsflöten behielt Herr Blaser, weil er eben ein gewissenhafter Mensch blieb und dachte: „Man weiß ja nie. Falls mir doch noch einmal eine ausfällt, kann ich ja immer noch auf der anderen weiter spielen.“ Nur auf die Drillingsflöten hat er verzichtet.