Die anhänglichen Pantoffeln

1.
Im Grun­de waren die sagen­haf­ten Pan­tof­feln von unserm Herrn Mei­er ein Paar recht gewöhn­li­che Schlap­pen. Nun gut, etwas Aus­ge­fal­le­nes hat­ten sie schon, schließ­lich waren sie aus ech­tem Kalbs­le­der gear­bei­tet und mit bun­ten Sti­cke­rei­en ver­ziert, aber so außer­ge­wöhn­lich ist das ja auch wie­der nicht. Außer­dem weiß ich ganz genau, dass er sie in einem stink­nor­ma­len Kauf­haus erstan­den hat. Und er wäre damit ja auch nicht groß auf­ge­fal­len, wäre er nicht am Abend, nach­dem er sie erstan­den hat­te, schlicht zu faul gewe­sen wäre, sich Stra­ßen­schu­he anzu­zie­hen, um eben im Kiosk an der Ecke ein Bier zu holen. Bei dem schö­nen tro­cke­nen Wet­ter konn­te er die paar Schrit­te doch gera­de­so gut in sei­nen sta­bi­len neu­en Haus­schu­hen machen! Und dann wäre immer noch nichts aus sei­nen berühm­ten Pan­tof­feln gewor­den, wären sie der Frau im Kiosk nicht sofort in die Augen gestochen.

„Ja aber Herr Mei­er“, rief sie aus, „was haben Sie für ele­gan­te Schu­he an den Füs­sen! Haben Sie die aus dem Urlaub mit­ge­bracht?“
Urlaub? Ja war­um nicht? Ein klei­ner Ange­ber war der gute Mei­er schon immer, und des­we­gen tischt er der guten Frau auch gleich eine net­te Geschich­te auf: Maß­an­fer­ti­gung vom Dorf­schus­ter einer grie­chi­schen Insel. Ech­te Hand­ar­beit, und so gut wie unverwüstlich.

Mit unver­wüst­li­cher grie­chi­scher Hand­ar­beit an den Füßen kann man sich auch mal abends in der Knei­pe sehen las­sen. Na ja, und bei dem Schritt, den er vor­leg­te, haben sie sei­ne Stamm­tisch­brü­der die edlen Haus­schu­he auch gar nicht über­se­hen kön­nen. „Mensch Mei­er, wo hast du bloß die­se gei­len Lat­schen her? Die wir­ken ja irgend­wie ori­en­ta­lisch“.
Ori­en­ta­lisch? Ja, war­um nicht? Und schon legt Mei­er los. Von sei­nem letz­ten Trip nach Marok­ko hat er sie mit­ge­bracht. Und wie ihn die Brü­der im Bazar von Mar­ra­kesch übers Ohr hau­en woll­ten! Aber da sind sie bei ihm gera­de an den Rich­ti­gen gera­ten. Er hat ihnen die Wucher­prei­se glatt auf ein Drit­tel run­ter­ge­han­delt, und unter der Hand gesagt, eigent­lich wären sie wenigs­tens das Fünf­fa­che wert.

Bei dem Erfolg, den er mit  sei­nen stil­ech­ten marok­ka­ni­schen Pan­tof­feln hat­te, ist es nicht ver­wun­der­lich, dass er gleich am nächs­ten Tag damit im Büro erschien. Der Sekre­tä­rin im Vor­zim­mer von Herrn Mei­er ent­geht so leicht nichts, und schon gar nicht ein Paar bunt­be­stick­te Pan­tof­feln. „Nein, sind die nied­lich. Ich tip­pe auf india­ni­sche Mokas­sins.“
Mokas­sins? Ja, war­um nicht? Und schon legt Herr Mei­er los. Von sei­nem letz­ten Trip in die Staa­ten kennt er doch den Sioux-Häupt­ling Schlei­chen­de Soh­le. Was heißt ken­nen, es ist qua­si sein bes­ter Freund. Und der hat ihm zum Beweis ihrer unver­brüch­li­chen Freund­schaft die­se Mokas­sins ver­ehrt, eine Ehre, die soweit er weiß, ihm als ers­ten Wei­ßen erwie­sen wurde.

Natür­lich hat­te die Frau in der Imbiss­bu­de inzwi­schen längst allen Kun­den erzählt, was für traum­haf­te Haus­schu­he Herr Mei­er aus dem Urlaub in Grie­chen­land mit­brach­te. Und die Stamm­tisch­brü­der erzähl­ten jedem, der es hören woll­te, wie der Mei­er die Händ­ler im Bazar von Mar­ra­kesch aus­tricks­te. Und im Büro benei­de­ten ihn sämt­li­che Kol­le­gen um die unver­wech­sel­ba­ren india­ni­schen Mokas­sins. Und so gese­hen kann man ja gut ver­ste­hen, wenn unser Herr Mei­er die­se außer­ge­wöhn­li­chen Schlap­pen kaum mehr von den Füßen krieg­te. Ob Tag oder Nacht, ob es reg­ne­te oder schnei­te, beim Ein­kau­fen oder Spa­zie­ren­ge­hen, nir­gends sah man Herrn Mei­er mehr ohne sei­ne sagen­haf­ten Leder­pan­tof­feln. Das fiel den Leu­ten natür­lich auf, bald schon kann­te jeder in unse­rer Stra­ße, ja was sag ich, im gan­zen Stadt­vier­tel, den komi­schen Kerl, der tag­aus, tag­ein in bunt bestick­ten Haus­schu­hen herumlief.

Lei­der wur­den die guten Stü­cke vom vie­len Tra­gen nicht gera­de bes­ser, schließ­lich waren es ja auch nur ganz gewöhn­li­che Leder­schlap­pen, und alles ande­re als unver­wüst­lich. Erst platz­ten die Näh­te auf, die konn­te Herr Mei­er noch recht und schlecht fli­cken. Dann war die Soh­le durch­ge­lau­fen und er muss­te sie neu besoh­len las­sen. Schließ­lich aber wur­de das Leder abge­wetzt und brü­chig, und wie die rochen, davon will ich noch gar nicht reden. Außer­dem befürch­te­te der gute Mei­er, dass sie ihm hin­ter die Schli­che kämen, von wegen Bazar in Mar­ra­kesch oder gar ori­gi­nal india­ni­sche Hand­ar­beit. Zwar blu­te­te ihm das Herz, aber da war nichts zu machen. Also ab in die Müll­ton­ne mit den abge­nutz­ten Latschen!

2.
Nun war aber die Ton­ne schon voll­ge­packt bis zum Rand. Mit Mühe konn­te Mei­er die Schlap­pen noch rein­schie­ben, aber der Deckel war nicht mehr voll zu schlie­ßen.
Zur Mit­tags­zeit kom­men zwei Jun­gen aus der Schu­le, sehen die alten Lat­schen aus der Ton­ne glot­zen, und kom­men auf die Idee mit den guten Stü­cken in einer Regen­pfüt­ze Boot­fah­ren zu spie­len. Als ihre Mut­ter sie zum Mit­tag­essen ruft, ist sie ent­setzt: Da spie­len doch ihre Kna­ben mit den wert­vol­len Mokas­sins ihres Nach­barnn, des Herrn Mei­er! Sie reißt ihnen die Schlap­pen aus den Hän­den und am Abend bringt sie sie dem guten Mei­er zurück, ent­schul­digt sich noch tau­send Mal für die Unge­hö­rig­keit, aber so sind eben Kin­der, dafür wird er ja  Ver­ständ­nis haben.
Mei­er nickt nur, schaut dabei aber recht ver­dutzt aus der Wäsche, und da hat er sei­ne edlen Tre­ter wie­der. Aber was soll’s, über­mor­gen ist Sperr­müll, er packt die Pan­tof­feln in eine Plas­tik­tü­te und legt sie, ehe er ins Büro geht, auf den Sperr­müll­hau­fen vorm Haus.

Es gibt immer Leu­te, die im Sperr­müll nach brauch­ba­ren Sachen her­um­sto­chern. Sie kip­pen auch die Plas­tik­tü­te von unse­rem Herrn Mei­er aus und was fin­den sie? Ein paar abge­wetz­te Haus­schu­he. Nein dan­ke, dar­auf ist nun wirk­lich kei­ner scharf, und die wert­vol­len Stü­cke blei­ben vorm Ein­gang auf dem Geh­steig lie­gen. Es dau­ert nicht lang, da geht die alte Frau, die in Mei­ers Haus im Erd­ge­schoss wohnt, aus dem Haus, stol­pert über die Pan­tof­fel, rutscht aus, ver­staucht sich ein Bein und prellt sich auch noch zwei Rip­pen.
Und was muss Mei­er erle­ben als er abends vom Büro zurück­kommt? Kaum hat er den Flur betre­ten, kommt die alte Dame aus ihrer Woh­nung geschos­sen und hält ihm eine Arzt­rech­nung unter die Nase: Was ihm über­haupt ein­fällt, sei­ne abge­latsch­ten Haus­schu­he vor die Haus­tür zu wer­fen, und wenn er die Rech­nung nicht anstands­los begleicht, kriegt er es mit ihrem Rechts­an­walt zu tun. Was bleibt unserm Herrn Mei­er ande­res übrig? Er woll­te doch kei­nen Streit mit der guten Frau und des­halb zahlt er und kriegt dafür sei­ne ein­ma­li­gen Mokas­sins über­reicht.
Ich sage euch, all­mäh­lich hat­te er die­se komi­schen Lat­schen satt, und des­we­gen kann man es ja gut ver­ste­hen, wenn er sie in einem Wut­an­fall kur­zer­hand durchs offe­ne Fens­ter schleu­der­te. Sol­len sie doch blei­ben, wo der Pfef­fer wächst!

3.
Tat­säch­lich hört und sieht er von sei­nen Pan­tof­feln tage­lang nichts mehr. Bis eines Abends der Nach­bar von gegen­über vor Mei­ers Tür steht und ihm mit spit­zen Fin­gern zwei trie­fen­de und stin­ken­de Lap­pen unter die Nase hält. Ob er viel­leicht abstrei­ten möch­te, dass es sich dabei um sei­ne stadt­be­kann­ten Haus­schu­he han­delt?
Was war pas­siert? Die guten Tei­le waren im Haus gegen­über durchs offe­ne Bade­zim­mer­fens­ter gese­gelt und direkt in der Klo­schüs­sel gelan­det. Ein paar Tage spä­ter war das Klo hoff­nungs­los ver­stopft. Der Nach­bar hol­te einen Rohr­rei­ni­gungs­dienst und was zogen die aus der Klo­röh­re? Herrn Mei­ers Haus­schu­he. Da war nichts zu machen, zäh­ne­knir­schend muss­te Herr Mei­er die Rech­nung des Rei­ni­gungs­diens­tes bezah­len: 164 Euro. Der Nach­bar warf ihm sei­nen außer­ge­wöhn­li­chen Pan­tof­fel vor die Füße und ging.
Nun hat­te er sie wie­der. Was soll­te er bloß mit ihnen anfan­gen?
Am liebs­ten hät­te er sie wie­der durchs Fens­ter gefeu­ert, aber er riss sich zusam­men. Zuerst hielt er sie unter die Dusche und hing sie dann zum Abtrop­fen und Aus­lüf­ten auf dem Bal­kon auf. Vor allem aber beschloss er genau nach­zu­den­ken, wie er sie am bes­ten ent­sor­gen könn­te. Ich muss die­se Bies­ter irgend­wo las­sen, wo sie mich nicht so gut ken­nen, sagt er sich, also weit weg von unse­rer Stra­ße und von unse­rem Vier­tel, und erst recht vom Büro. Er packt sie also in eine Ein­kaufs­tü­te und zieht damit am nächs­ten Tag so um fünf Uhr abends ins dicks­te Gewühl der Innen­stadt. Und als er rings­rum von Men­schen ein­ge­keilt ist, lässt er die Tüte mit den Pan­tof­feln vor­sich­tig fal­len, und dann nichts wie weg! Na, Gott sei Dank, das hat geklappt, die sieht er bestimmt nicht wieder.

Aber wo er schon ein­mal da ist, will er noch eini­ge Ein­käu­fe machen. Er geht in ein Kauf­haus, und gerät an einen Stand mit einem Aus­schrei­er, der ein neu­ar­ti­ges sen­sa­tio­nel­les Rei­ni­gungs­spray vor­führt, das blitz­schnell und hem­mungs­los jede Art Schmutz nach­hal­tig besei­tigt, eine ech­te haus­halts­tech­ni­sche Revo­lu­ti­on. Ein­mal gesprüht und weg ist der Dreck! Bit­te, wer immer möch­te, darf ihm jeder­zeit jeden Gegen­stand auf den Tisch legen, ein­mal kurz gesprüht und schon strahlt er wie­der im alten Glanz.
Vor sol­chen Aus­schrei­ern sam­meln sich Trau­ben von Neu­gie­ri­gen, und auch unser Herr Mei­er stellt sich dazu. Da sieht er, wie ein klei­nes Mäd­chen ganz vor­ne ein Paar Haus­schu­he auf den Tisch schiebt. Erst meint er, nicht rich­tig zu sehen. Er reibt sich die Augen, aber nichts zu machen, da lie­gen doch unver­kenn­bar sei­ne sagen­haf­ten Mokas­sins. Nichts wie weg, schießt es ihm durch den Kopf. Aber schon hat der Aus­schrei­er zwei­mal kurz gesprüht, hat den Leu­ten vor­ge­führt, wie das alte Leder in neu­em Glanz strahlt und will sie dem Mäd­chen zurück­ge­ben, kann sie aber nicht mehr fin­den. Da bemerkt er, wie sich ein älte­rer Herr auf­ge­regt durch die Leu­te drängt, hält ihn für den Opa des Mäd­chens und drückt ihm kur­zer­hand die blit­zen­den Pan­tof­fel in die Hand.

4.
Da hat­te er sie schon wie­der, was soll­te er jetzt bloß damit anfan­gen? Eins jeden­falls ist ihm klar: Er wird sie nicht wie­der mit nach Hau­se neh­men, im Gegen­teil, sofort und auf der Stel­le wird er sich wie­der von ihnen tren­nen. Klar ist auch, dass er sie irgend­wo zurück­las­sen muss, wo sie nicht gleich wie­der gefun­den wer­den. Um sein Vor­ge­hen genau zu durch­den­ken, setzt er sich erst ein­mal in das Kauf­haus­re­stau­rant und bei einer Tas­se Kaf­fee kommt ihm die Lösung: Kurz dar­auf sieht man ihn mit einer Ein­kaufs­tü­te in der Kauf­haus­toi­let­te ver­schwin­den, die er aber mit lee­ren Hän­den wie­der ver­lässt. Zwar sieht sich der gute Herr Mei­er dabei immer wie­der ängst­lich um, um ganz sicher zu sein, dass ihm nicht doch zwei bunt bestick­te Pan­tof­fel nach­schlei­chen, aber das ist natür­lich Unsinn. Erst als er in die nächs­te Stra­ßen­bahn steigt, beru­higt er sich. Die­se auf­dring­li­chen Schlap­pen hat­te er ja nun end­gül­tig abgehängt.

Tat­säch­lich hört und sieht er wochen­lang nichts mehr von ihnen. Fast hat­te er den gan­zen Ärger schon ver­ges­sen, da steht eines Abends die Poli­zei vor sei­ner Tür, und was hält sie ihm unter die Nase? Sei­ne edlen Leder­haus­schu­he.
Unsern Herrn Mei­er hät­te fast der Schlag getrof­fen. Wie haben die nur zu ihm zurück­ge­fun­den? Die bei­den Beam­ten konn­ten ihm das erklä­ren. In der Nacht zuvor war näm­lich in der Innen­stadt in eine Bank ein­ge­bro­chen wor­den. Ver­teilt in in der Schal­ter­hal­le und im Tre­sor­raum fand man deut­li­che Spu­ren von aus­ge­tre­te­nen Schu­hen und die Fuß­be­klei­dung, die genau zu den Spu­ren pass­te, wur­de schließ­lich vor der Bank in einem Papier­korb ent­deckt. Die Poli­zei brach­te noch am glei­chen Tag eine Such­mel­dung auf den Weg, und als Herrn Mei­ers stadt­be­kann­te Mokas­sins im Lokal­fern­se­hen gezeigt wur­den, rief natür­lich gleich das hal­be Stadt­vier­tel bei der Poli­zei an.
Da konn­te unser Herr Mei­er reden wie ein Was­ser­fall, er wur­de erst ein­mal ver­haf­tet und ver­hört. Zum Glück war er wäh­rend der Tat­zeit bei sei­ner Tan­te zu Besuch gewe­sen und hat­te ein hieb- und stich­fes­tes Ali­bi vor­zu­wei­sen. Die Poli­zei muss­te ihn wie­der lau­fen las­sen, und nach­dem die gan­ze Auf­re­gung über­stan­den war, dach­te sich unser Mei­er, dass er Glück im Unglück hat­te: Immer­hin war er auf die­se Wei­se ja nun end­lich die anhäng­li­chen Pan­tof­feln los­ge­wor­den. Denn die behiel­ten die Jus­tiz­be­hör­den als Beweis­mit­tel zurück, um damit die Bank­räu­ber zu über­füh­ren.
Bis Herr Mei­er Mona­te spä­ter ein ein­ge­schrie­be­nes Paket bekam und was fand er dar­in­nen? Sei­ne mit einer lan­gen Regis­trier­num­mer ver­se­he­nen Schlap­pen. Die Bank­räu­ber waren näm­lich doch nicht gefun­den wor­den, das Ermitt­lungs­ver­fah­ren wur­de ein­ge­stellt, und weil die Poli­zei frem­des Eigen­tum nicht ein­fach behal­ten darf, wur­den die Beweis­stü­cke an den recht­mä­ßi­gen Besit­zer zurück­ge­ge­ben. Auf die­se Wei­se waren sei­ne außer­ge­wöhn­li­chen Lat­schen nun wie­der heim­ge­kehrt. Was soll­te er denn jetzt bloß damit anfangen?

5.
Die nächs­te Nacht brach­te er kaum ein Auge zu. Er grü­bel­te dar­über nach, wie er sich von die­sen auf­dring­li­chen Schlap­pen befrei­en könn­te. Gegen Mor­gen hat­te er es geschafft: Eine Bom­ben­idee! Dies­mal konn­te nichts mehr schief gehen, da war er sich ganz sicher. Was für ein Glück, dass sein Freund ein begeis­ter­ter Ruder­sport­ler ist. In aller Herr­gotts­frü­he schleicht sich Herr Mei­er an die Weser, macht das Ruder­boot sei­nes Freun­des vom Ufer los und rudert in die Mit­te des Flus­ses. Er blickt sich erst noch ein­mal um, ob ihn auch wirk­lich kei­ner beob­ach­tet, dann steckt er die bei­den Schlap­pen inein­an­der, beschwert sie mit einem Stein und lässt sie ins Was­ser plump­sen. Und noch bevor die Son­ne hin­ter dem Hori­zont auf­geht, sitzt er fröh­lich zu Hau­se am Früh­stücks­tisch und freut sich über sei­nen genia­len Ein­fall. Sei­ne unver­wüst­li­chen Haus­schu­he ste­cken im Schlamm am Grun­de des Flus­ses, und es ist voll­kom­men aus­ge­schlos­sen, dass sie jemals wie­der zu ihm zurückfinden.

Haben sie aber doch! Es dau­er­te kei­ne gan­ze Woche, da bekam er ein Ein­schrei­ben vom Was­ser­wirt­schafts­amt. Er hat­te ja schon so ein ungu­tes Gefühl, als er die Adres­se las. Und tat­säch­lich, ein Straf­be­fehl wegen uner­laub­ten Ver­schmut­zens öffent­li­cher Gewäs­ser, sat­te 280 Euro. Und im übri­gen möge er umge­hend die uner­laubt ent­sorg­ten Gegen­stän­de auf dem Amt abho­len, da ihm sonst auch noch eine öffent­li­che Ent­sor­gung in Rech­nung gestellt wer­den müss­te. Zäh­ne­knir­schend zahl­te unser guter Mei­er und ging am nächs­ten Tag auf das Was­ser­wirt­schafts­amt, um sei­ne Schlap­pen abzu­ho­len.
Da erfuhr er dann auch, was pas­siert war: Kurz nach ihm war ein Ang­ler auf den Fluss raus­ge­ru­dert, hat­te die Ruten aus­ge­legt, und tat­säch­lich, bald hat­te etwas ange­bis­sen. Der Ang­ler kur­bel­te, die Angel­ru­te bog sich durch, durch das trü­be Fluss­was­ser sah er ein rie­si­ges auf­ge­ris­se­nes Maul und freu­te sich: „Das ist ein Rie­sen­fang!“
Er kur­bel­te noch auf­ge­reg­ter, und was zog er aus dem Was­ser? Zwei inein­an­der gesteck­te alte Pan­tof­feln. Der Kerl war für die­sen Mor­gen bedient, ging ins Ang­ler­heim, knall­te die Pan­tof­feln auf den Tre­sen und schimpf­te: „Da schaut euch an, was die­se Schmutz­fin­ken heut­zu­ta­ge ins Was­ser wer­fen!“
„Bist du ver­rückt?“ mault die Bedie­nung. Mit spit­zen Fin­gern fasst sie die nas­sen Trüm­mer an, um sie in die Müll­ton­ne zu beför­dern, da stutzt sie und sagt: „Die kenn ich doch! Na klar, der Ver­rück­te, der bei uns im Vier­tel immer nur in Pan­tof­feln rum­rennt!“
Für den Ang­ler war das ein gefun­de­nes Fres­sen. Auf der Stel­le ging er zum Was­ser­wirt­schafts­amt und zeig­te Mei­er an. Und auf die­se Wei­se hol­ten die alten Pan­tof­feln den guten Herrn Mei­er wie­der ein.
Was soll­te er noch alles anstel­len, um die­se ver­rück­ten Pan­tof­fel end­lich loszuwerden?

 

Und was ist denn hier mit den Pan­tof­feln von Herrn Mei­er passiert?

 

6.
Er sag­te sich, es gibt nur noch eine Lösung: Er muss­te die­se auf­dring­li­chen Schlap­pen, die wie Klet­ten an ihm kleb­ten, doch nur ver­bren­nen und die Asche in den Wind zu streu­en, dann wür­de er tot­si­cher nie mehr von ihnen beläs­tigt wer­den. Wenn er in sei­ner Woh­nung nur einen Ofen hät­te, wären sie bald aus Welt geschafft. Aber lei­der hat­te er Zen­tral­hei­zung. Dann wird er sie eben irgend­wo im Frei­en ver­bren­nen.
Also fährt er am nächs­ten Abend über die Weser auf die Wer­der­insel, erkun­det ver­steckt hin­ter Holun­der­bü­schen einen Platz zwi­schen den Klein­gär­ten, sucht sich dür­re Zwei­ge und tro­cke­nes Gras zusam­men und schich­tet sie, als die Däm­me­rung her­ein­bricht, zu einem klei­nen Schei­ter­hau­fen auf. Erst blickt er sich noch nach allen Sei­ten um, damit ihn auch tat­säch­lich nie­mand beob­ach­tet, bevor er sei­ne Lat­schen oben auf den Hau­fen legt und den Schei­ter­hau­fen anzün­det. Der brennt auch sofort lich­ter­loh, die Flam­men begin­nen schon an den Haus­schu­hen zu zün­geln. Mei­er will nur noch abwar­ten, bis sie voll­kom­men zu Asche ver­brannt sind, da schub­sen ihn zwei Ker­le weg, zer­streu­en mit Stö­cken das ange­fach­te Feu­er. Von  fer­ne hört man eine Sire­ne heu­len, dann einen Wagen mit quiet­schen­den Rei­fen brem­sen. Mei­er fährt der Schreck durch alle Glie­der, er ver­sucht sich still durch den Busch zu ver­drü­cken, aber er kommt nicht weit, die bei­den Män­ner hal­ten ihn fest und zer­ren ihn zur Feu­er­stel­le zurück.

Was war jetzt nur wie­der pas­siert? Es stell­te sich her­aus, dass die Fäus­te zwei Män­nern zum Vor­stand des Klein­gar­ten­ver­eins gehör­ten, der gera­de an die­sem Abend im Ver­eins­heim getagt hat­te. Und als sie durch die Fens­ter einen Feu­er­schein sahen, alar­mier­ten sie auf der Stel­le die Feu­er­wehr, und lie­fen sel­ber los, um nach dem Rech­ten zu sehen. Schließ­lich ist es bei Stra­fe ver­bo­ten, im Klein­gar­ten­ge­län­de ein offe­nes Feu­er anzu­zün­den. Mei­er bekommt eine Geld­stra­fe wegen uner­laub­ten Ent­fa­chens eines Feu­ers auf­ge­brummt, und zum Abschied bekommt er noch den guten Tipp, sei­ne ange­kohl­ten Schlap­pen bes­ser sofort aus dem Ver­kehr zu zie­hen, andern­falls es auch noch eine Stra­fe wegen Ver­schmut­zung öffent­li­cher Grün­an­la­gen set­zen wür­de.
Oje, auch die­se Bom­ben­idee ging dane­ben, Mei­er bezahl­te die Straf­ge­bühr, sack­te sei­ne Schlap­pen ein und ver­schwand. Es war wie­der dane­ben gegan­gen! Soll­te er die denn nie­mals mehr loswerden?

 

Und wo hat Mei­er dies Mal ver­sucht, sei­ne Schlap­pen loszuwerden?

 

 

7.
Es traf sich gut, dass unser Herr Mei­er kur­ze Zeit spä­ter einen Urlaub in der Schweiz gebucht hat­te, wo ihn ja nun wirk­lich nie­mand kann­te, und sei­ne Pan­tof­feln erst recht nicht.
Am Urlaubs­ort ange­kom­men, such­te er sich den höchs­ten Berg der Gegend aus, pack­te sei­ne Pan­tof­fel in den Ruck­sack und stieg in aller Herr­gotts­frü­he auf den Gip­fel. Sol­che Tou­ren war er nicht gewohnt, und der Schweiß lief ihm übers Gesicht, aber wenn er nur die Pan­tof­feln los wür­de, dafür war ihm nichts zu anstren­gend. Auf dem Gip­fel belieb­ter Ber­ge steht oft ein Gip­fel­kreuz mit einem Gip­fel­buch, in dem man sich  ein­tra­gen kann. Das liegt dann in einem Blech­käst­chen, damit es nicht nass wird. So war es auch auf die­sem Berg­gip­fel. Unser Herr Mei­er hol­te das Buch aus der Kas­set­te, und was legt er unter das Buch? Sei­ne anhäng­li­chen alten Lat­schen. Natür­lich klappt er die Kas­set­te zu, ohne sich ein­zu­tra­gen, schließ­lich steigt er beru­higt wie­der ins Tal, end­lich, end­lich hat er es geschafft, sich ein für alle­mal von die­sen anhäng­li­chen Schweiß­lap­pen zu befreien.

Um die­ses Ereig­nis zu fei­ern setzt er sich erst ein­mal in ein Gast­haus, geneh­migt sich eine gute Mahl­zeit und hin­ter­her eini­ge Schnäp­se. Aber als er am spä­ten Abend sein Pen­si­ons­zim­mer betritt, was steht da vor sei­nem Bett? Unser Herr Mei­er dach­te ernst­haft, er sieht Gespens­ter. Ob er viel­leicht ein­fach nur zu viel getrun­ken hat? Er greift nach den Pan­tof­feln, er dreht sie in der Hand rum, er beißt sogar rein. Lei­der, lei­der, da ist nichts zu machen, sie sind und blei­ben sei­ne Pan­tof­feln. Wie in Teu­fels Namen sind die schon wie­der zu ihm zurück­ge­kehrt? Als er ganz vor­sich­tig die Pen­si­ons­wir­tin aus­fragt, konn­te sich Mei­er eini­ger­ma­ßen zusam­men­rei­men, wie das zuge­gan­gen war.
Es war eben doch kei­ne so gute Idee, die alten Haus­schu­he in die Kas­set­te des Gip­fel­buchs zu packen. Sicher hat­te der nächs­te Berg­wan­de­rer, der nach ihm auf den Gip­fel geklet­tert war, sich ins Gip­fel­buch ein­tra­gen wol­len, dabei die alten Schlap­pen aus der Blech­kas­set­te genom­men und sie in hohem Bogen über den Fels­ab­sturz hin­ter dem Gip­fel gepfef­fert.
Dort muss­ten sie die Zie­gen auf­ge­stö­bert haben, die ein Jun­ge auf einer Berg­wie­se hüte­te. Der Jun­ge nahm sie den Zie­gen aus dem Maul, fand sie eigent­lich noch ganz in Ord­nung und pack­te sie in einen Ruck­sack. Zu dumm auch, dass er das Kind von Mei­ers Pen­si­ons­wir­tin war, die neben Frem­den­zim­mern noch eine klei­ne Land­wirt­schaft führ­te. Als die Mut­ter am Abend sei­nen Ruck­sack aus­packt, denkt sie, sol­che Pan­tof­feln hat sie doch schon irgend­wo gese­hen. Natür­lich, der Herr aus Bre­men, der sich bei ihnen ein­quar­tiert hat. Und sie stellt sie unserm Herrn Mei­er frisch gewie­nert vors Bett.

8.
Es ist zum Haar­aus­rau­fen, aber nun hat er sie wie­der, sei­ne unzer­trenn­li­chen Pan­tof­feln. Wo soll er jetzt nur damit hin? Dies­mal, sagt er sich, wer­den Nägel mit Köp­fen gemacht. Er beschließt, erst einen genau­en Plan aus­zu­ar­bei­ten, pein­lich danach vor­zu­ge­hent nichts mehr dem Zufall zu über­las­sen.
Zuerst kun­de­te er auf einem Spa­zier­gang eine ein­sa­me Wald­wie­se aus. Dann nahm er sich einen Leih­wa­gen, besorg­te eine Kis­te voll Kies und einen Sack Zement. Zwei Tage spä­ter war Neu­mond, die Nacht war stock­fins­ter und das kam Herrn Mei­er gra­de recht. Kurz nach Mit­ter­nacht schleicht sich Mei­er in den Wald und hebt im Schein sei­ner Taschen­lam­pe ein meter­tie­fes Loch aus. Mit dem Zement, dem Kies und Sand vom Wald­bo­den rührt er eine Beton­mi­schung an, und das ist kei­ne Klei­nig­keit, allein und in stock­fins­te­rer Nacht. Dann beer­digt er sei­ne Pan­tof­fel in der Gru­be, kippt die Mischung drauf und stampft den Beton fest, schau­felt die aus­ge­gra­be­ne Erde drü­ber und brei­tet schließ­lich zur Tar­nung noch eine Schicht Laub drü­ber aus.
So kurz vor der Däm­me­rung war er end­lich fer­tig, besei­tig­te noch sorg­fäl­tig alle Spu­ren und ver­schwand. Zwei Stun­den spä­ter schon sitzt er im Zug auf dem Weg nach Bre­men, lehnt sich in die Pols­ter des Sit­zes zurück und ist stolz dar­auf, dass er die­se auf­dring­li­chen Schlap­pen end­lich und unwi­der­ruf­lich abge­hängt hat.

Es muss so unge­fähr zwei oder drei Wochen spä­ter gewe­sen sein, da klin­gel­te es und vor sei­ner Woh­nungs­tür stand eine Frau, zeig­te ihm sei­ne Pan­tof­feln und fleh­te ihn an: „Bit­te Herr Mei­er, geben Sie zu, dass das Ihre stadt­be­kann­ten Mokas­sins sind, in denen Sie jah­re­lang bei Wiund und Wet­ter her­um­ge­lau­fen sind.“
Jetzt denkt ihr natür­lich, ich wür­de euch was vor­ma­chen, wie sol­len denn die Pan­tof­fel unter der Beton­de­cke her­vor­ge­kro­chen und den wei­ten Weg wie­der nach Bre­men zurück­ge­fun­den haben? Dabei ist das ganz ein­fach zu erklä­ren. Noch am Tag nach dem Ver­gra­ben war der Förs­ter unter­wegs in die­sem Wald­stück. Sein Hund schnup­per­te einer Spur nach, blieb mit den Füßen schar­rend auf einer Wald­lich­tung ste­hen. Der Förs­ter denkt: Was hat der Köter nur? Da sieht er unter der auf­ge­scharr­ten Erde fri­schen Beton. Selt­sam, wenn hier was gebaut wor­den wäre, davon müss­te er doch wis­sen. An der Sache ist was faul, der Förs­ter holt sei­ne Wald­ar­bei­ter und lässt den Platz auf­gra­ben. Sie wuch­ten den noch feuch­ten Beton aus dem Wald­bo­den, und was ent­de­cken sie drun­ter? Ein Paar abge­wetz­te Haus­schu­he.
Der Förs­ter schüt­telt den Kopf und erzählt die gan­ze Geschich­te am nächs­ten Abend im Wirts­haus, in dem er mit Freun­den immer zu Mit­tag isst. Das will ihm aber kei­ner abneh­men, er soll doch bit­te kein Jäger­la­tein auf­ti­schen. Da zieht der Förs­ter zum Beweis zwei alte Lat­schen aus der Tasche und knallt sie auf den Tisch.
Sitzt da doch am Nach­bar­tisch ein deut­sches Ehe­paar, das sei­nen Urlaub in der schö­nen Schweiz ver­bringt. „Ja sag mal“, meint die Frau, „die­se Din­ger hab ich doch schon mal irgend­wo gese­hen.“
Ihr guter Mann fin­det das natür­lich wie­der typisch. Ein Paar alte Schu­he, die mit­ten in der Schweiz in einem Wald­stück unter Beton ver­gra­ben waren, aber sei­ne Frau muss sie natür­lich schon mal gese­hen haben. Dabei ist sie noch nie zuvor in der Schweiz gewe­sen. Wirk­lich zum Lachen!
Aber sie lässt sich das nicht gefal­len. Natür­lich hat sie die schon gese­hen, da lief doch ewig so ein Kerl mit ver­schlis­se­nen Mokas­sins durchs Vier­tel oder wie man die Din­ger nennt. Und das sind genau die glei­chen, dafür legt sie die Hand ins Feu­er.
Die bei­den gera­ten ins Strei­ten, und die Frau steht schließ­lich auf, um den Förs­ter zu fra­gen, ob er ihr nicht die alten Lat­schen über­las­sen könn­te. Wie soll sie sonst die­sem Bes­ser­wis­ser bewei­sen, dass sie im Recht ist? Nun ja, der Förs­ter wuss­te ja auch nicht so recht, was er mit den abge­wetz­ten Schlap­pen anfan­gen soll­te. In Got­tes Namen, soll sie sie haben.
Ihr habt ja sicher schon gemerkt, dass die­ses Ehe­paar zufäl­lig aus der glei­chen Stadt kam wie unser Herr Mei­er, ja sogar aus dem glei­chen Vier­tel, und kaum waren sie zurück, hat­te die gute Frau nichts Eili­ge­res zu tun, als gleich zu unse­rem Herrn Mei­er zu ren­nen, um ihrem Mann zu bewei­sen, dass sie kei­nen Quatsch erzählt hat. Und natür­lich drückt sie dafür dem guten Mei­er sei­ne Schlap­pen in die Hand.
Nun hat­te er sie wie­der. Dies­mal hat­te er wirk­lich nicht mehr die gerings­te Idee, wie er sie los­wer­den soll­te. Er warf sie erst ein­mal in sei­nen Schuh­schrank und da lagen sie bis zum nächs­ten Winter.

9.
Als er sie schon fast ver­ges­sen hat­te, kam ihm ein glück­li­cher Zufall zu Hil­fe. Es war näm­lich gera­de Faschings­zeit und da begeg­ne­ten Herrn Mei­er drei ver­klei­de­te Kin­der und bewar­fen ihn mit Kon­fet­ti. Plötz­lich wuss­te er, wie er die anhäng­li­chen Pan­tof­feln los­wer­den wür­de: Er wür­de sie in klei­ne Fet­zen zer­ha­cken und auf einem Faschings­ball als Kon­fet­ti wer­fen. Drei Tage lang säg­te, schnitt, zwick­te Herr Mei­er in sei­ner Küche den gan­zen Abend lang an sei­nen Pan­tof­feln her­um. Dabei schwitz­te er, dass ihm der Schweiß über die Stirn run­ter lief. Schließ­lich schaff­te er es sie in Stü­cke zu zer­le­gen, aber so win­zig klein wie Kon­fet­ti­fet­zen waren sie ein­fach nicht zu zer­schnip­seln. Es waren eher Stück­chen in der Grö­ße von Bon­bons.
Herr Mei­er sam­mel­te alle die­se Stück­chen in eine Plas­tik­tü­te, kauf­te sich eine Papp­na­se, nahm sich eini­ge Tag frei und fuhr in die Hoch­burg des Kar­ne­vals. Weißt du, wo die liegt? Natür­lich in Köln. Dort kauf­te er sich eine Ein­tritts­kar­te für den größ­ten Kar­ne­vals­ball der Stadt. Am Abend setz­te er sei­ne Papp­na­se auf, stopf­te sich die Plas­tik­tü­te mit den zer­schnip­pel­ten Stück­chen von sei­nen Pan­tof­feln unter den Hosen­gür­tel und ging auf den Ball.
Der Ball fand in einem Haus mit 20 Sälen statt und in allen Sälen spiel­te Musik, alle Besu­cher waren ver­klei­det, tanz­ten wie wild und brüll­ten: „Köl­le alaaf!“ Sowas hat­te Mei­er noch nicht erlebt, er stand zwi­schen den Leu­ten her­um und wuss­te nicht, was er dazu sagen soll­te. Wäh­rend er da stand, stürz­te sich plötz­lich ein Teu­fel mit zwei spit­zen Hör­nern auf dem Kopf auf ihn, fuhr ihm mit sei­nen spit­zen Kral­len ins Gesicht, kratz­te ihn und flüs­ter­te mit rau­chi­ger Stim­me: „Du gehörst mir! Ich schlepp dich in die Höl­le!“ Und damit zog ihn der Teu­fel zwi­schen die Tän­zen­den.
Der Teu­fel war aber in Wirk­lich­keit eine Teu­fe­lin, das sah Mei­er ganz genau. Und er hät­te ja auch ger­ne wei­ter mit der Süßen getanzt, lei­der aber rutsch­te Mei­er, als ihn sei­ne Tän­ze­rin her­um­wir­bel­te, die Plas­tik­tü­te mit den zer­schnip­pel­ten Pan­tof­fel­fet­zen aus dem Gür­tel ins Hosen­bein. Weil er Angst hat­te, dass sie ihm durch das Hosen­bein auf den Boden rutsch­te, tanz­te er hilf­los und steif, dabei trat er sei­ner Tän­ze­rin auf die Füße, bis sie genervt los­ließ und kreisch­te: „Blö­des Trampeltier!“

Mei­er schlich sich vor­sich­tig aufs Klo, wo er die Plas­tik­tü­te aus dem Hosen­bein hol­te, sie sich unter das Hemd schob und wie­der in den Ball­saal ging. An einer The­ke bestell­te er sich ein Bier, dabei frag­te er die Bedie­nung hin­ter der The­ke, wann denn hier Kon­fet­ti gewor­fen wird. „Na wart mal ab!“ mein­te sie. „Gleich kommt das Prin­zen­paar vor­bei, dann reg­net es Kon­fet­ti.“
Mei­er muss­te sich erst noch eine lang­wie­ri­ge Ankün­di­gung sei­ner und ihrer Tol­li­tät anhö­ren, dann spran­gen die Flü­gel­tü­ren auf, die Musik spiel­te einen Tusch, Mäd­chen in Uni­for­men tanz­ten durch den Saal und hin­ter ihnen kam der Kar­ne­vals­prinz und die Prin­zes­sin her­ein. Und wirk­lich, plötz­lich reg­ne­te es von allen Sei­ten Kon­fet­ti. Die Leu­te hat­ten rie­si­ge Tüten  in der Hand, die sie auf­ris­sen und das Kon­fet­ti in die Luft schleu­der­ten. Da riss auch Mei­er sein Hemd auf, griff in die Plas­tik­tü­te und schleu­der­te eine Faust voll Leder­schnip­sel in die Luft. Und gleich griff er wie­der in die Tüte, und noch ein­mal und nach ein­mal, bis sei­ne Tüte leer war. Mei­er knüll­te sie zusam­men und schob sie in sei­ne Hosen­ta­sche.
Wun­der­bar! Dies­mal war er die Pan­tof­feln los­ge­wor­den. Ein für alle­mal! Was hat­te er also noch auf dem Ball zu suchen? Nichts! Er dräng­te sich durch die Leu­te in Rich­tung Ausgang.

Er war noch nicht zum Saal hin­aus, da brach plötz­lich die Musik ab, es wur­de wild durch­ein­an­der geschrie­en, von der Stra­ße her hör­te man Sire­nen heu­len, und gera­de als es Mei­er bis zur gro­ßen Frei­trep­pe geschafft hat­te, sah er einen Trupp Sani­tä­ter mit einer Tra­ge die Trep­pe her­auf­het­zen und im Ball­saal ver­schwin­den. Viel­leicht hat­te ein Besu­cher einen Anfall gehabt. Viel­leicht waren sich eini­ge Ker­le in die Wol­le gera­ten und hat­ten sich ver­letzt. Aber was küm­mer­te das unsern Herrn Mei­er? Der war froh, dass er sei­ne Pan­tof­feln los war. Drau­ßen auf der Stra­ße zog er sich die Papp­na­se vom Gesicht und nahm das nächs­te Taxi zum Bahn­hof.
„Haben Sie schon gehört?“ frag­te ihn der Taxi­fah­rer.
Mei­er wuss­te nicht, was er gehört haben soll­te. „Na das mit der Prin­zes­sin. Die hat auf ein­mal kei­ne Luft mehr gekriegt und wird grad ins Kran­ken­haus gefah­ren. Furcht­bar, nicht wahr!“ Mei­er nick­te, aber was inter­es­sier­te ihn die Köl­ner Kar­ne­vals­prin­zes­sin.
Am Bahn­hof nahm er den nächs­ten Zug, geriet in einen über­füll­ten Wag­gon, in dem laut quä­kend ein Radio lief und alle Pas­sa­gie­re auf­ge­regt zuhör­ten. Der Spre­cher berich­te­te, dass Ihre Tol­li­tät soeben im Kran­ken­haus mit einem Schnitt in die Luft­röh­re vor dem Ersti­cken bewahrt wer­den muss­te. Bei genaue­rer Unter­su­chung habe man einen leder­ar­ti­gen Bro­cken in ihrer Luft­röh­re gefun­den, des­sen Her­kunft den Ärz­ten Rät­seln auf­ge­be. Sei­ne Tol­li­tät, der Kar­ne­vals­prinz habe dar­auf­hin alle wei­te­ren Ball­be­su­che abge­sagt um am Kran­ken­bett der Prin­zes­sin zu blei­ben.
Ehr­lich gesagt, Mei­er war etwas mul­mig zu Mute. Er ver­such­te nicht mehr dran zu den­ken und das gelang ihm des­to bes­ser, je wei­ter er sich im Zug von Köln ent­fern­te. Als er nachts um halb drei end­lich in Bre­men ankam, fühl­te er sich bes­tens und hat­te den Köl­ner Kar­ne­val schon so gut wie vergessen.

Lei­der blieb es nicht dabei. Schon vier Tage spä­ter bekam er eine poli­zei­li­che Vor­la­dung. Sie sag­ten ihm, er sei dabei gese­hen wor­den, wie er beim Ein­marsch des Köl­ner Prin­zen­paa­res statt harm­lo­ser Papier­kon­fet­ti har­te Leder­stü­cke in die Luft schleu­der­te. Es bestehe der drin­gen­de Ver­dacht, dass der Ersti­ckungs­an­fall der Prin­zes­sin auf einen die­ser Leder­stü­cke zurück­zu­füh­ren. Er bekam die Auf­la­ge sich täg­lich bei der Poli­zei zu mel­den, damit er nicht ver­su­chen konn­te, sich ins Aus­land abzu­set­zen.
Und dann gab es vier Wochen spä­ter einen Auf­se­hen erre­gen­den Pro­zess. Herr Mei­er wur­de ange­klagt, ein Atten­tat auf die Köl­ner Tol­li­tä­ten ver­sucht zu haben. Die Beweis­la­ge war unwi­der­leg­lich: Den Ein­marsch der Kar­ne­vals­prin­zen hat­te ein Repor­ter des West­deut­schen Rund­funks gefilmt. Auf den Auf­nah­men war deut­lich zu sehen, wie Herr Mei­er eine Plas­tik­tü­te mit Leder­stück­chen aus dem Hemd zieht und die Schnip­sel in Rich­tung auf die ein­mar­schie­ren­den Tol­li­tä­ten in die Luft wirft. Wie es der Zufall woll­te, hat­te die­ser Repor­ter frü­her bei Radio Bre­men gear­bei­tet. Er erkann­te den ver­rück­ten Kerl, der damals im Stein­tor­vier­tel immer mit sei­nen Pan­tof­feln her­um­stieg und berich­te­te das der Poli­zei.
Noch am sel­ben Mor­gen mach­te die Putz­frau, die den Ball­saal rei­nig­te, ihre Aus­sa­ge: Sie hat­te näm­lich schon zum Früh­stück in der Zei­tung gele­sen: „Unglaub­lich! Kon­fet­ti-Atten­tat auf unse­re Prin­zes­sin! Atten­tä­ter wirft mit Leder­bro­cken um sich.“ Und als sie dann beim Rei­ne­ma­chen zwi­schen dem Kon­fet­ti selt­sa­me Leder­bro­cken ent­deck­te, sam­mel­te sie die­se Stück für Stück zusam­men und brach­te sie auf die Poli­zei­wa­che.
Der Rich­ter, der die Ermitt­lun­gen über­nahm, ließ die Schnip­sel von einem ortho­pä­di­schen Schus­ter unter­su­chen und wie­der zu zwei voll­stän­di­gen Schlap­pen zusam­men­kle­ben. Die­se rekon­stru­ier­ten Schlap­pen wur­den vom Gericht als Beweis­stück aner­kannt. Alles, was Mei­ers Ver­tei­di­ger errei­chen konn­te, war der Nach­weis, dass Mei­er kei­nen Anschlag auf die Tol­li­tä­ten geplant hat­te, son­dern ledig­lich mit Leder­kon­fet­ti gewor­fen hat­te, um sei­ne alten Pan­tof­feln loszuwerden.

Mei­er wur­de zwar vom Mord­ver­such frei­ge­spro­chen, erhielt aber drei Mona­te Gefäng­nis auf Bewäh­rung. Was ihn aber viel mehr belas­te­te, war, dass er auch für alle Kos­ten auf­zu­kom­men hat­te: 8000 Euro für die Ope­ra­ti­on der Prin­zes­sin, 6000 Euro Schmer­zens­geld, 4500 Euro Gerichts­kos­ten, dazu noch das Hono­rar für die Rekon­struk­ti­on sei­ner Pan­tof­feln in Höhe von 7500 Euro.
Dafür wur­den ihm aber auch am Ende die zusam­men­ge­kleb­ten Schlap­pen über­reicht. Der Ortho­pä­de hat­te eine her­vor­ra­gen­de Arbeit geleis­tet: Man muss­te schon sehr genau hin­schau­en, um über­haupt zu sehen, dass sie aus Hun­der­ten von Schnip­seln zusam­men­ge­setzt waren. Der ein­zi­ge Schön­heits­feh­ler: Am rech­ten Schlap­pen fehl­te an der Fer­se ein Schnip­sel­chen, ver­mut­lich das Teil, das der Prin­zes­sin in die Luft­röh­re gera­ten war.

10.
Mei­er war end­gül­tig am Ende Was hat­te er nicht schon alles aus­pro­biert, um die­se unver­wüst­li­chen Lat­schen los­zu­wer­den? Alles umsonst, ihm fiel ein­fach nichts mehr sein. Er steck­te zu unterst in sei­nen Besen­schrank, dort stör­ten sie ihn nicht wei­ter und dort konn­ten lie­gen bleiben.

Es war sei­ne klei­ne Nich­te, die ihn eines Tages mit ihrer Mut­ter besuch­te und ihn auf eine genia­le Idee brach­te. Beim Stö­bern in Mei­ers Besen­schrank stieß sie auf die wert­vol­len Stü­cke. „Du, willst du mir die ver­kau­fen?“ frag­te sie ihren Onkel.
„Die fasst du mir nicht an!“ schimpf­te ihre Mut­ter, die die Geschich­te mit Mei­ers Schlap­pen kann­te.
Aber Mei­er hat­te wie­der eine zün­den­de Idee, und zum Dank kauf­te er dem Mäd­chen die größ­te Scho­ko­la­de, die er fin­den konn­te.
Schon am nächs­ten Tag ließ er eine Klein­an­zei­ge ins Inter­net, mit der er ori­gi­nal india­ni­sche Mokas­sins für schlap­pe sechs­tau­send Euro anbot. Noch am glei­chen Abend klin­gel­te unun­ter­bro­chen das Tele­fon und Mei­er muss­te cir­ca fünf­zig Mal erklä­ren, dass er sich nun lei­der auf­grund per­sön­li­cher Schul­den von den Mokas­sins des Häupt­lings Schlei­chen­de Soh­le tren­nen müs­se. Der ers­te, der schließ­lich an sei­ner Tür klin­gel­te, war ein Anti­qui­tä­ter, der sich bren­nend für die exo­ti­schen Objek­te inter­es­sier­te. Der Mann ver­stand sein Geschäft, er han­del­te den Preis auf fünf­tau­send­sechs­hun­dert­neun­und­fünf­zig Euro run­ter und zog damit ab.
So glück­lich wie an die­sem Tag war unser Herr Mei­er sel­ten. Aber es inter­es­sier­te ihn doch, was der Kerl mit den alten Lat­schen anstell­te, und als er am nächs­ten Tag an des­sen Geschäft vor­bei­schlich, grüß­ten ihn sei­ne alten Schlap­pen aus dem Schau­fens­ter und ver­rie­ten ihm auf einem sau­ber geschrie­be­nen Schild­chen: „Ori­gi­nal india­ni­sche Mokas­sins des Sioux­häupt­lings Schlei­chen­de Soh­le. Son­der­preis nur 9.500 Euro.“

Bald dar­auf soll der Ein­käu­fer vom Bre­mer Über­see­mu­se­um vor­bei­ge­kom­men sein, so heißt das Bre­mer Völ­ker­kun­de­mu­se­um. Ech­te Hand­ar­beit der Sioux für die­sen beschei­de­nen Preis? Da muss­te das Muse­um natür­lich rasch zugrei­fen, bevor es ein pri­va­ter Samm­ler weg­schnapp­te. Seit­dem sind die alten Schlap­pen von unserm Herrn Mei­er in einer Glas­vi­tri­ne im Über­see­mu­se­um zu besich­ti­gen. Falls ihr ein­mal in Bre­men seid, geht dort ins Über­see-Muse­um. Es liegt gleich am Bahn­hofs­vor­platz. Wenn ihr dort in die Nord­amer­ki­ak­ab­tei­lung geht, stoßt ihr dort auf eine Vitri­ne mit zwei Mokas­sins. Lasst euch von der Beschrif­tung an der Vitri­ne nicht beir­ren. Von wegen Hand­ar­beit, Sioux und Häupt­ling Schlei­chen­de Soh­le: Das sind näm­lich in Wahr­heit die anhäng­li­chen Pan­tof­feln von unserm Herrn Meier.

Ursprüng­lich erschie­nen in: Johan­nes Mer­kel: Die ver­rück­ten KLa­mot­ten.  Ham­burg 1982. S.5-22
Zeich­nun­gen Horst Rudolph

Die Erzäh­lung geht in ihrer Grund­struk­tur auf die ara­bi­sche Geschich­te von Abu Kas­sem und sei­nen Pan­tof­feln zurück, die sich gleich­falls in einer Ver­si­on im Erzähl­ka­bi­nett fin­det.
Die nach die­sem Vor­bild aus­ge­ar­bei­te­te Geschich­te von Her­ren Mei­ers anhäng­li­chen Pan­tof­feln stellt ein schier unver­wüst­li­che Vor­la­ge für eine leben­di­ge Erzäh­lung zur Ver­fü­gung, die sich in Rück­spra­che mit der Zuhö­rer­schaft erzäh­len lässt.

Sie hat sich ins­be­son­de­re sehr bewährt vor Schü­lern von ca 8–12 Jah­ren.
Die Zuhö­ren­den kön­nen auf ver­schie­de­nen Stu­fen an der Erzäh­lung betei­ligt wer­den:
 Ein­mal indem man etwa ab Nr. 5 nach jeder Rück­kehr der Pan­tof­feln nach­fragt: Was soll Herr Mei­er jetzt tun, um die­se anhäng­li­chen Schlap­pen ein und für alle­mal los­zu­wer­den?
Erfah­rungs­ge­mäß wird dann vor­ge­schla­gen: Ins Was­ser wer­fen, ver­gra­ben, ver­bren­nen, zer­stü­ckeln etc. Für jede die­ser Vor­schlä­ge fin­det sich eine Epi­so­de, die sich dar­auf­hin erzäh­len lässt. Die Über­ra­schung stei­gert den Spaß an der Geschich­te. 
Vor der Prä­sen­ta­ti­on der Schluss­epi­so­de kön­nen zusätz­lich auch noch die Zeich­nun­gen von Horst Rudolph gezeigt und die Zuhö­ren­den auf­ge­for­dert wer­den, ein­zeln oder gemein­sam zu beschrei­ben, was Mei­er mit den Pan­tof­feln unter­nimmt und wie sie zurückkehren. 

Auch lässt sich die Erzäh­lung nach den ein­lei­ten­den Epi­so­den unter­bre­chen. Die Zuhö­ren­den wer­den dann auf­ge­for­dert, sich (allein oder in einer klei­nen Grup­pe) aus­zu­den­ken, was Herr Mei­er nun unter­neh­men wird um sie los­zu­wer­den und auf wel­chen Wegen die Pan­tof­feln trotz­dem wie­der zurück­keh­ren. Erst nach­dem alle ihre Ver­sio­nen vor­ge­tra­gen haben, wird dann die Schluss­epi­so­de erzählt.

Wenn das von der Zeit und den Inter­es­sen der Zuhö­ren­den mög­lich erscheint, kann eine Grup­pe den Auf­trag bekom­men sich aus­zu­den­ken, was Mei­er unter­nimmt, damit die Pan­toff­len end­gül­tig und nie mahe zurück­keh­ren. Ihre (in Stich­wor­ten gefasst oder aus­ge­schrie­be­ne) Ver­si­on erhält die nächs­te Grup­pe, um aus­zu­kno­beln, wie sie trotz allem wie­der bei ihm auftauchen.

Nach bei­den Ver­fah­ren las­sen sich die Epi­so­den der Schü­ler mit den Ein­gangs- und der Schluss­epi­so­de zu einer gemein­sa­men Geschich­te zusam­men­füh­ren, die dann auch in irgend­ei­ner Form „ver­öf­fent­licht“ wer­den soll­te, schlicht als Wand­zei­tung oder als Datei, die auf einem Daten­trä­ger ver­viel­fäl­tigt und ver­teilt wird. In bei­den Fäl­len kön­nen sie mit Zeich­nun­gen der Schü­ler illus­triert werden.

Bei­spie­le sol­cher gemein­sa­men Ver­sio­nen kön­nen hier ein­ge­se­hen werden.

Der Grup­pen­auf­satz einer vier­ten Schul­klas­se in Freiburg

Die Comic­ver­si­on einer drit­ten Schul­klas­se in Bremen