Johannes Merkel
Der Fremdsprachenunterricht in Schulen und Kursen muss in einem „künstlichen“ Lernarrangement erfolgen: Die Lerner kommen zusammen, um sich Wortschatz, Aussprache und Sprachstrukturen anzueignen, mit dem Ziel, damit später in „ernsthaften“ Situationen, mit Sprechern dieser Sprache zu kommunizieren oder/und Texte in dieser Sprache zu verstehen. In der Lernsituation benutzen sie die fremde Sprache nicht, um sich damit zu verständigen, sondern ausschließlich zum Zweck, sie sich anzueignen. Das setzt hoch motivierte Lerner voraus, die die Aussicht auf die Sprachkompetenz (oder auf das Zeugnis, das sie attestiert) veranlasst, diese Lernsituation zu akzeptieren. In Kursen der Erwachsenenbildung, deren Teilnehmer sich aus eigenem Antrieb dafür entschieden, kann diese Motivation weitgehend vorausgesetzt werden, viele Schüler jedoch haben Probleme, ohne Rückbezug auf ihre gegenwärtige (emotionale und intellektuelle) Situation „für das Leben“ später zu lernen. Aber auch für motivierte Lerner bedeutet diese sehr „formale“ Weise des Lernens eine beträchtliche Anstrengung. Geht man davon aus, dass „ganzheitlich“ (d.h. in Übereinstimmung mit Interessen und Gefühlen) am effektivsten gelernt wird, dann dürfte diese Unterrichtssituation das Lernen prinzipiell beeinträchtigen.
Die Methodik des herkömmlichen Fremdsprachenunterrichts nimmt darauf keine Rücksicht, sondern geht nach dem Prinzip des „Trockenschwimmens“ vor: Zunächst werden Wörter gelernt und deren Aussprache geübt, dann sprachliche Regeln an Beispielsätzen veranschaulicht, deren Wortschatz sich die Lerner bereits angeeignet haben. Den Lernern wird zugemutet, jeden (nach einem Lernziel künstlich konstruierten) Modellsatz zu akzeptieren, um daran die sprachlichen Regeln zu durchschauen, unabhängig davon, ob sie mit der Aussage des Satzes etwas anfangen können oder nicht. Nach diesen Modellsätzen sollen sie dann mit dem gelernten Wortmaterial eigenständig Sätze bilden, wobei wiederum nur die regelgerechte sprachliche Konstruktion zählt, die Aussage allenfalls Nebensache ist. Auch wenn diese Weise des Fremdsprachenerwerbs bei ausreichender Motivation zum Erfolg führt, ist prinzipiell davon auszugehen, dass dabei beträchtliche emotionale Widerstände zu überwinden sind.
Das zeigt sich vor allem an Kindern bis ins Schulalter. Kinder und Schüler prägen sich Wörter und Satzvorlagen dann selbstverständlich und ohne große Anstrengung ein, wenn sie die sprachliche Äußerung anspricht. Das mag die Aussage des Satzes sein, der Klang der Sprachlaute oder auch nur die begleitende Geste. Dagegen können sie, je jünger die Lerner sind, wenig oder gar nichts mit Erklärungen sprachlicher Regeln anfangen, andererseits verfügen gerade kleine Kinder (bis ins Grundschulalter) über die beneidenswerte Fähigkeit, Regeln aus gehörten Äußerungen abzuleiten, eine Fähigkeit, mit der sie bereits die Muttersprache entschlüsselt und sich angeeignet haben. Vor allem damit erschließen sie sich, oft in erstaunlicher Schnelligkeit, die Strukturregeln einer Zweitsprache.
Dieser innere Widerspruch der Lernsituation formalisierten Sprachunterrichts ist nicht aufzulösen. Auf systematischen Unterricht kann (spätestens wenn die Befähigung zur spontanen Aneignung mit dem Kindesalter verschwindet) nicht verzichtet werden. Das zeigen sehr deutlich die Sprachaneignungen vieler Arbeitsemigranten, die sich ohne begleitenden Unterricht zwar eine Weise der Verständigung mit ihrer fremdsprachigen Umgebung erwerben, aber rasch in „fossilierten“ Sprechweisen stecken bleiben. Zugleich herrscht (gerade in Deutschland) große Unsicherheit, wie Kindern das Regelsystem der Zweitsprache Deutsch zu vermitteln ist. Man rettet sich in die Floskel spielerischen Lernens, ohne genauer angeben zu können, wie das funktionieren kann.
Das Ungenügen an den klassischen Lehrmethoden (im Schulunterricht wie in der Erwachsenenbildung) hat in der Sprachdidaktik zu zahlreichen Versuchen geführt, den Unterricht zu erweitern und die Lerninhalte stärker mit den Erfahrungen, Wahrnehmungen und Gefühlen der Lerner zu verbinden. Das wird beispielsweise angestrebt,
- indem Inhalte zur Sprache gebracht werden, die sich an den Lebenserfahrungen der Lerner orientieren,
- indem „natürlichere“ Kommunikationssituationen arrangiert und das heißt in der Unterrichtssituation simuliert werden oder
- indem spielerische Verfahren emotionale und körperliche Beteiligung ermöglichen (theatrales Spielen in der fremden Sprache, Singen von Liedern, Sprechen von Versen usw.).
Der Stellenwert des Erzählens
Eine recht interessante (und nur wenig genutzte) Ergänzung bietet das Erzählen von Geschichten, das hier unter dem Gesichtspunkt des Sprachenlernens kurz betrachtet werden soll. Dazu zunächst einige allgemeine Anmerkungen zu dieser Kommunikationsweise:
- Erzählen stellt eine vom zwischenmenschlichen Gespräch abweichende Sprachverwendung dar, steht dem Sprechen aber noch sehr nahe. Zwar hält der Erzähler das Rederecht, so lange seine Erzählung andauert, aber die Zuhörenden reagieren und kommentieren seine Erzählung über nonverbale Zeichen und kurze Anmerkungen, das Pingpong des Gesprächs läuft in gewisser Weise weiter. Der Erzähler improvisiert seinen Text im Moment des Erzählens und deshalb kann er (wie jeder Partner in einem Gespräch) die Reaktionen der Zuhörer in seiner Redeweise berücksichtigen. In seinem Wortlaut aber wird er immer bis zu einem gewissen Grad von der im Gespräch gebrauchten Alltagssprache abweichen: Auch in dieser Hinsicht steht Erzählen zwischen Alltagssprache und Schriftsprache und schafft so etwas wie den Übergang vom Reden zum Schreiben.
- Da er vor leibhaftigen Zuhörern spricht, ist der Erzähler aber nicht nur ein Redner, sondern (wie jeder, der ein Gegenüber anspricht) ein Darsteller. Da er aber nicht von den Tätigkeiten hier und jetzt, sondern von den (vorgeblichen) Ereignissen dort und damals spricht, hat er die Tendenz, sie seinen Zuhörern nicht nur in komplexen Sätzen, sondern möglichst plastisch auch über Spiel und Gestik vorzuführen. Sobald Menschen zu erzählen beginnen, unterstreichen sie ihre Rede nachweislich durch verstärkte Darstellung. Denn die gestische Ausführung setzt bei den Zuhörern Vorstellungen frei, selbst dort, wo sie die sprachlichen Mitteilungen nicht oder nur unzureichend verstehen. Umso mehr strengen sie sich an, den gehörten Wortlaut zu entschlüsseln. Während ein gelesener Text erst bei ausreichender Sprachbeherrschung aufgenommen werden kann, wird eine Erzählung bereits bei reduzierten Sprachkenntnissen in den Grundzügen begriffen.
- Dieser Effekt kann beim Erzählen vor Sprachlernern bewusst verstärkt werden: Im Wesentlichen sind es die dramatischen Knotenpunkte der Handlung sowie alle Vorgänge, die das Vorstellungsvermögen beanspruchen, wunderbare Verwandlungen z.B. oder das Eingreifen phantastischer Figuren, die beim Erzählen nach einer gestischen Veranschaulichung rufen. Diese sinnliche und bildliche Begleitschiene der sprachlichen Erzählung kann deutlicher ausgeführt und erweitert werden, indem darüber hinaus für das Verstehen wichtige sprachliche Aussagen auch gestisch illustriert werden. Das ungefähre assoziative Verstehen kann sich mit den Lautfolgen der Bezeichnungen verbinden, die sie illustrieren.
- Unterstützt wird das leichtere Verstehen durch eine wichtige Eigenschaft der „Textsorte“ Erzählen: Durch seine vorgegebene Grundstruktur, die im Wesentlichen kulturübergreifend gültig ist und die Erwartungen der Hörenden lenkt (die ja eigentlich Zuschauer sind). Während die Aussagen eines diskursiven Textes kaum voraussehbar sind, weiß der Hörer einer Geschichte, dass er zunächst den Helden sowie Ort und Zeitpunkt der Handlung, dann dessen Situation und vor allem das außergewöhnliche Ereignis, das in sie einbricht, usw. zu erfahren hat. Seine Aufmerksamkeit ist also inhaltlich gerichtet und damit steigt die Chance, dass er die sprachlichen Äußerungen, wenigstens näherungsweise, auch versteht.
Allerdings erfordert auch jede Erzählung ein ausreichendes Niveau der Sprachbeherrschung, um sich im Zusammenspiel mit gestischer Darstellung und strukturgerechter Erwartung die Wendungen der erzählten Ereignisse zu erschließen. Geschichten sind deshalb herkömmlicherweise erst bei fortgeschrittenen Sprachkenntnissen Gegenstand des Unterrichts, dann allerdings kaum als mündliche Erzählung, sondern als erste Behandlung literarischer Texte (Märchen, Kurzgeschichten etc). Aber auch ereignisreiche mündliche Erzählungen verlangen eine beträchtliche Sprachbeherrschung, um die Wandlungen und unvorhersehbaren Ereignisse aufzunehmen, die den Witz der Geschichte ausmachen.
Der Grad der Verständlichkeit hängt dabei zu einem guten Teil von der inhaltlichen Struktur der Erzählung ab. (Nehmen wir beispielsweise die Grimm’schen Märchen: Die Abenteuer des kleinen Däumlings, können, abgesehen von ihrem glücklichen Ausgang, nur schwer vorausgesehen werden. Beim Meisterdieb startet die Erzählung mit den drei Aufgaben, die ihm der Graf stellt, die Aufmerksamkeit ist dadurch schon stärker gerichtet. Sobald aber ein Dummling eingangs als Jüngster von drei Brüdern präsentiert wird, ist die folgende Geschichte in ihren Grundzügen vorhersehbar. Allerdings sind die verbreiteten Märchen oft auch schon in der Herkunftssprache bekannt und erleichtern dann das Verstehen.) Das heißt aber, dass bei eingeschränkten Sprachkenntnissen Geschichten mit entsprechend durchschaubaren und übersichtlichen Bauweisen das sprachliche Verstehen beträchtlich erleichtern.
Die so genannten „Kettenerzählungen“
Tatsächlich findet sich in den überlieferten Erzählsammlungen ein recht verbreitetes Modell von Erzählungen, deren Bauweise sich für das Erzählen vor Hörern mit eingeschränkten Sprachkenntnissen anbietet. Es sind jene Erzählungen, in denen sich einfache Episoden mit leichten Variationen wiederholen, bis sie zu einem klaren Abschluss führen. In der Erzählforschung werden sie als „Kettenerzählungen“ charakterisiert.
Im Rahmen einer abgeschlossenen Erzählung zeigen sie Eigenschaften, die an Formen sprachlichen Lernens erinnern:
- Die sich mehrfach wiederholende Episode erhöht die Verständlichkeit, auch wenn sie beim Vortrag im ersten Durchgang nur unzureichend verstanden wird. Spätestens mit dem zwei- oder dreimaligen Durchlauf durchschauen Zuhörer die Grundstruktur, ihre Aufmerksamkeit ist dadurch inhaltlich ausgerichtet und sie können die weiteren Geschehnisse leichter aufnehmen.
- Wie weit sie die sprachlichen Aussagen verstehen, hängt natürlich vor allem von dem gebotenen Sprachmaterial ab. Da in jedem Durchgang bis auf wenige Abwandlungen das gleiche „formelhafte“ Sprachmaterial benutzt wird, sich der gleiche Wortschatz und feststehende Satzstrukturen wiederholen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Wörter und Satzstrukturen angeeignet werden. Über die Reihung von Episoden werden Satzstruktur und Wortmaterial wiederholt, ohne belanglose Übungssätze zu bemühen. Die Wiederholung von Wortschatz und Beispielsätzen sowie die (abgewandelte) Verwendung vorgegebener Satzstrukturen als wichtige Verfahren sprachlichen Lernens finden nicht mehr als reine Übungsaufgabe, sondern eingebettet in den Rahmen einer Erzählung statt, die einen deutlichen Einstieg und Schlusspunkt setzt.
- Unter dem Gesichtspunkt des Sprachlernens reicht aber das Nachvollziehen von Modellsätzen nicht aus. Nach dem Vorbild des Modellsatzes müssen die Lerner eigenständig Äußerungen bilden, um die dahinter stehenden Strukturregeln aktiv gebrauchen zu lernen. Einfache Kettenerzählungen ermöglichen, dass Lerner schon beim ersten Vortrag an der Erzählung beteiligt werden. Die schematischen Episoden solcher Erzählungen geben den prinzipiellen Handlungsablauf und dazu auch das Sprachmaterial vor, das sie nur um wenige eigene Äußerungen erweitern müssen. Wiederkehrende Formulierungen im Erzähltext sowie sich in jeder Episode wiederholende wörtliche Reden bieten strukturelle Vorlagen, die gespeichert und für das eigene Sprechen genutzt werden können. Da der modellhafte Aufbau jeder Episode rasch durchschaut wird und zugleich mit jeder Episode das entscheidende Sprachmaterial für die Konstruktion der nächsten Episode vorgegeben wird, können die Zuhörenden bald selbst ergänzende Episoden bilden. Im Rahmen der Erzählung können sich wirksame Sprechanlässe ergeben, die bereits mit geringen Kenntnissen auszufüllen ist.
- Je nach erzählter Geschichte kann man diese Anforderungen sehr einfach halten oder schon recht gekonnte Äußerungen anregen, also auf sehr unterschiedliche Sprachniveaus beziehen.
- Schließlich können die mündlich improvisierten Beiträge aufgeschrieben und in den Text der Geschichte eingefügt werden und damit zu Schreibübungen führen (wie ich das gleich noch ansprechen werde).
Die Erzählungen müssen ankommen
Zwar setzt jede Geschichte Emotionen und Assoziationen frei, die das sprachliche Lernen stärker mit sinnlichen Wahrnehmungen verbinden. Auch wird das Erzählen, das sonst nur noch im privaten Umgang üblich ist, in einer halb öffentlichen Situation wie dem Unterricht als überraschend und vergnüglich erfahren. Aber das ist natürlich nicht unabhängig vom Witz und vom Niveau der Geschichte. Nicht zufällig gelten solche einfachen Kettenerzählungen vor allem als früher Unterhaltungsstoff kleiner Kinder (z.B. mit der Geschichte vom Pfannkuchen, der der Mutter aus der Pfanne springt). Benutzt man sie für den Sprachunterricht, besteht die Gefahr, dass sie als Geschichten gar nicht mehr ankommen und wiederum nur als Übungsgerät zum Sprachlernen aufgefasst werden.
Zwar hören auch Erwachsene oft fasziniert einfachen Kindergeschichten zu, aber insbesondere Jugendliche reagieren rasch ablehnend, wenn ihnen „Kinderkram“ angedreht werden soll. Dazu kommt, dass das intellektuelle Niveau der Lerner, wie sich das oft auch bei Diskussionen in der Fremdsprache zeigt, meist weit über ihren sprachlichen Ausdrucksfähigkeiten liegt. Man braucht also eine Geschichte, die trotz einfacher Strukturen und überschaubarer Sprache die Hörer anspricht. Gerade weil solche Erzählungen per Definition eine sehr simple Struktur aufweisen müssen, müssen sie andererseits durch überraschende Wendungen, ausreichenden Witz und eine überzeugende Präsentation begeistern
Das heißt, die Auswahl der Geschichte und die Erzählweise vor der Lerngruppe muss ein Niveau erreichen, das den Ansprüchen der Lerner standhält. Das ist sicher vor Kindern (im Elementar- und Primarbereich) einfacher und vor Schülern im Sekundarbereich schwieriger. Aber die einfache Tatsache, dass in der Unterrichtsstunde (überraschenderweise) eine Geschichte erzählt wird, lässt auch diese Schüler meist mitgehen und erhöht die Bereitschaft, sich auf die Erzählung einzulassen und mit eigenen Vorschlägen zu ergänzen. Erwachsene Lerner genießen bis zu einem gewissen Grad gerade die simplen Strukturen sowie die Erzählsituation, die sie kaum in einem kursartigen Lernarrangement erwarten. Welche Erzählungen sich für die eigene Klasse oder Lerngruppe eignen und wie sie in das Lernprogramm eingefügt werden können, muss dabei allerdings jeder Lehrer oder Kursleiter selbst erproben.
Ein guter Teil des Vergnügens hängt dabei auch von der Erzählwiese der Lehrenden ab. Und dazu muss man sich klarmachen, dass Erzählen im Unterricht oder Kurs ausreichend vorbereitet sein muss. Entscheidend ist, das man sich vom Wortlaut der Vorlage löst, aber dennoch die Handlungsfolge und die sprachlichen „Formeln“ exakt wiedergibt. (Wie dabei vorgegangen werden kann, findet sich in „Merkels Erzählkabinett“ unter der Rubrik „Zum Erzählen kommen“.) Die Vorbereitungszeit, die das zunächst kostet, zahlt sich auf längere Sicht jedoch aus: Spätestens nach dem dritten Vortragen vergisst man die Geschichte nicht mehr und hat dann ein Repertoire zur Verfügung, das jederzeit abzurufen ist.
Das sind eine Reihe (hoffentlich überzeugender) Gründe, um das (notwendigerweise immer auch formale und dadurch anstrengende) Sprachlernen durch Erzählungen zu ergänzen und die erzählten Geschichten im Unterricht weiter zu bearbeiten.
Zum Weiterarbeiten im Unterricht
Die erzählten Geschichten können in Dialogspielen und Rollenspielen mündlich oder auch in den üblichen Formen (Lückentexte, Nacherzählung etc.) schriftlich weiter bearbeitet werden. (Konkrete Vorschläge zu einer Reihe Sprachgeschichten, die auch das Ausfüllen von Sprechblasen in anregenden Zeichnungen vorsehen, finden Sie in Julia Klein/Johannes Merkel: Sprachförderung durch Geschichtenerzählen, Buxtehude 2008. Sie sind allerdings für den Unterricht in der Primarstufe angelegt und Sie müssen sie auf Ihre Unterrichtssituation zuschneiden).
Ich möchte Ihnen jedoch ein Verfahren nahe legen, das den Spaß an der Geschichte nicht zu Sprech- und Schreibübungen nutzt, sondern zum Erfinden einer gemeinsamen Erzählung führt (und dabei zwanglos Sprech- und Schreibübungen einbezieht).
Auch dieses Vorgehen habe ich vor allem mit zweisprachigen Grundschülern durchgeführt, daneben auch mit Deutschlehrern aus aller Welt, die vom DAAD nach Deutschland eingeladen wurden.
Die Arbeit mit den Schülern geht aus von einer mündlichen Erzählung und führt zu einer längeren und gemeinsamen schriftlichen Version.
Im Einzelnen gehe ich dabei in Stufen vor:
- In der ersten Sitzung erzähle ich den Einstieg der Geschichte und führe einige beispielhafte Episoden vor. Darüber bekommen die Schüler die grundsätzliche „Spielregel“, nach der ihre Beiträge zu konstruieren sind, sowie Sprachmaterial, mit dem sie ihre Beiträge gestalten können.
- Danach fordere ich sie auf, sich in kleinen Gruppen eine weitere Episode auszudenken. Sie besprechen sich, und legen auch fest, wie sie ihren Beitrag vor der Klasse vortragen.
- Dann werden nacheinander die ausgedachten Episoden vorgetragen. Ich nehme diese Vorträge auf, damit sie in der nächsten Sitzung zur Verfügung stehen.
- Zum Abschluss erzähle ich dann das Ende der Geschichte. Dieser Abschluss ist sehr wichtig, weil eine unabgeschlossene Erzählung frustriert und weil die Schüler zugleich die entscheidenden Bauformen einer Erzählung erfahren sollen. (Man braucht dazu eine Vorlage, die trotz der eingeschobenen Beiträge zu einem überzeugenden Abschluss führt.)
Die nächste Sitzung dient dem Schreiben.
- Sie beginnt mit dem Abspielen der Aufnahme, die den Schülern noch mal ihre Beiträge in Erinnerung ruft.
- Die Schüler schreiben in der Gruppe, die sie sich ausgedacht hat, ihre Episode auf. Ich gehe dabei mit der Lehrerin durch die Klasse, um Hilfestellung zu geben und die Texte schon auf Verständlichkeit und Rechtschreibung zu besprechen.
- Die korrigierten Texte werden dann von den Schülern in den Computer eingetippt und mit meinem Einstiegs- und Abschlusstext (sowie eventuellen Zeichnungen) zu einer Datei zusammengefügt.
- Für Schüler (aber wohl nicht nur für sie) ist es wichtig, dass diese Arbeit zu einem vorführbaren „Produkt“ führt: Man kann die Ausdrucke als Wandzeitung aufhängen, sie als Heft vervielfältigen oder (noch attraktiver) jeder Teilnehmer erhält eine DVD mit der gemeinsamen Geschichte.
Vortrag gehalten auf dem Deutschliteraturtag des Goetheinstituts Madrid am 14.11.2009