Was freute sich Robert, als ihn Oma und Opa einluden, eine Zirkusvorstellung zu besuchen! Robert liebte den Zirkus und es gab kaum etwas, womit sie ihm eine größere Freude hätten machen können.
Dabei war er noch nie in einer regelrechten Zirkusvorstellung gewesen, Zirkus kannte er nur aus dem Fernsehen. Er wohnte nämlich auf dem Dorf, und auf die Dörfer kommt kein Zirkus. Zum Glück wohnten seine Großeltern in einer Großstadt und, als dort gerade ein weltberühmter Zirkus gastierte, luden sie ihn ein, eine Vorstellung zu besuchen.
Aber oft gehen die Dinge anders aus, als man sich das vorstellt. So ging es auch Robert mit dem Zirkusbesuch.
Dazu muss ich euch sagen, dass Roberts Großeltern schon recht alt waren und alte Leute haben eben manchmal ihre Gebrechen. Roberts Opa zum Beispiel hatte Probleme mit dem Hören, aber das wollte er nicht zugeben und weigerte sich, ein Hörgerät zu tragen. „Nein, nein, sowas brauche ich nicht! Was ich hören will, das höre ich schon.“
Roberts Oma dagegen hatte schwache Augen und musste deshalb eine dicke Brille tragen. Aber leider war sie auch ziemlich vergesslich. Als sie schon vor dem Zirkuszelt standen, da fiel ihr plötzlich ein: „O Gott, ich habe ja meine Brille zu Hause liegen lassen!“ Aber da war nichts mehr zu machen, sie hatten keine Zeit mehr, die vergessene Brille zu holen. Oma musste ohne Brille in den Zirkus gehen.
In der Zirkusvorstellung saß Robert in der Mitte, links neben ihm saß Oma und rechts Opa. Die Vorstellung startete mit einer schmissigen Zirkusmusik und dazu kam der Zirkusdirektor auf einer Giraffe in die Manege geritten, um die Zuschauer zu begrüßen.
Roberts Oma kniff die Augen zusammen, aber ohne Brille sah sie fast nur tanzende Farbflecken. Deshalb fragte sie: „Du, Robert, warum hat denn das Pferd da so einen langen Hals?“
„Oma, das ist doch kein Pferd!“ erklärte ihr Robert. „Das ist eine Giraffe! Darauf reitet der Zirkusdirektor, um die Zuschauer zu begrüßen.“
„Du hast Recht!“ meinte die Oma. „Jetzt sehe ich das auch.“
Als der Zirkusdirektor mit der Giraffe schon wieder aus der Manege verschwunden war, da glaubte Roberts Opa doch etwas gehört zu haben und fragte: „Robert, was hast du gesagt?“
Und Robert erklärte ihm: „Opa, ich sagte, das war der Zirkusdirektor, der ritt auf einer Giraffe, um die Zuschauer zu begrüßen.“
Aber Opa schüttelte nur den Kopf: „Warum sagst du mir das? Das habe ich doch selber gesehen!“
Dann startete das eigentliche Programm: Man hörte Walzermusik und zwei Elefanten kamen in die Arena getrottet. Auf einen Pfiff des Dompteurs stellten sie sich auf die Hinterbeine und tanzten Walzer. Und die Zuschauer klatschten im Rhythmus der Musik.
Die Oma kniff wieder die Augen zusammen und fragte: „Du, Robert, warum haben denn diese dicken Männer so lange Nasen?“
„Oma, das sind keine Männer! Das sind Elefanten, die sich auf die Hinterbeine stellen und Walzer tanzen.“
„Du hast Recht!“ meinte die Oma. „Jetzt sehe ich das auch.“
Unter dem Beifall des Publikums waren die Elefanten schon aus der Manege getrottet, da glaubte Roberts Opa doch wieder was gehört zu haben und fragte: „Robert, was hast du gesagt?“
„Opa, ich sagte: Das waren Elefanten! Die stellten sich auf die Hinterbeine und tanzten Walzer.“
Da konnte Opa nur wieder den Kopf schütteln: „Warum sagst du mir das? Das habe ich doch selber gesehen!“
Ich nehme an, ihr könnt euch denken, wie sich Robert fühlte. Der kam sich nämlich ganz schön komisch vor. Sollte er jetzt die ganze Vorstellung über der kurzsichtigen Oma jede Nummer erklären und hinterher dem schwerhörigen Opa berichten, was der sowieso schon gesehen hatte? „Nee“, dachte sich Robert, „dazu habe ich keine Lust!“
Jetzt achtet mal gut darauf, was er gleich machte.
In der nächsten Nummer kamen zwei Löwen in die Arena gesprungen, hinter ihnen knallte ein Dompteur mit der Peitsche. Die Löwen setzten sich auf Podeste, der Dompteur stellte einen Reifen auf, zündete ihn an und die Löwen sprangen durch den brennenden Reifen.
Die Oma kniff wieder die Augen zusammen und fragte: „Du, Robert, warum zünden die denn diese Katzen an?“
Was glaubt ihr, was Robert jetzt seiner Oma erklärte? Wahrscheinlich meint ihr, er erklärte ihr, das seien gar keine Katzen, sondern Löwen, die durch einen brennenden Reifen springen. Von wegen! „Oma, das sind Löwen. Die haben dem Dompteur einen brennenden Reifen hingestellt und der Dompteur springt durch den Feuerreifen!“
„Du hast Recht!“ meinte die Oma. „Jetzt sehe ich das auch.“
Die Löwen hoben zum Abschluss noch grüßend die Pfoten, und während die Leute klatschten und die Raubtiere aus der Manege liefen, da glaubte Opa doch wieder was gehört zu haben: „Robert, was hast du gesagt?“
„Opa, ich sagte, das waren Löwen, die stellten einen Feuerreifen auf und der Dompteur sprang durch den brennenden Reifen.“
Diesmal konnte sich Opa nur wundern: „Was sagst du mir da? Das hab ich ja gar nicht gesehen.“
In der nächsten Nummer kletterte eine Artistin an einer Strickleiter in die Zirkuskuppel, fasste nach einem Trapez, schwang damit hin und her. Dann ließ sie plötzlich das Trapez los, flog durch die Zirkuskuppel, machte in der Luft einen doppelten Salto. Auf der anderen Seite der Zirkuskuppel griff sie wieder nach einem Trapez und schwang wie zuvor damit hin und her.
Oma blickte in die Kuppel und fragte: „Du, Robert, was fliegt denn da oben für ein komischer Vogel rum?“
„Oma! Das ist kein Vogel, das ist eine Artistin, die reitet auf einem Floh durch die Zirkuskuppel.“
„Du hast Recht!“ meinte die Oma. „Jetzt sehe ich das auch.“
Die Artistin war schon wieder in die Manege herunter geklettert, verbeugte sich und die Leute klatschten begeistert, da glaubte Opa doch wieder was gehört zu haben: „Robert, was hast du gesagt?“
„Ich hab gesagt, das war eine Artistin, die auf einem Floh durch die Zirkuskuppel ritt.“
Und wieder konnte sich Opa nur wundern: „Was sagst du mir da? Das hab ich ja gar nicht gesehen.“
Nun ritt ein Feuerspucker im Stehen auf einem ungesattelten Pferd in die Manege. Während das Pferd immer im Kreis durch die Manege ritt, nahm der Feuerschlucker einen Schluck aus der Spiritusflasche, hielt die Lunte vor den Mund und spuckte einen meterlangen Feuerstrahl.
Die Oma versuchte ihm mit den Augen zu folgen und fragte: „Du, Robert, warum hat denn der Kerl so eine lange Zunge?“
„Oma! Das ist keine Zunge. Das ist ein wütender Drache, der durch die Manege tobt und Feuer spuckt.“
„Du hast Recht!“ meinte die Oma. „Jetzt sehe ich das auch.“
Der Feuerspucker war schon vom Pferd gesprungen, hatte sich verbeugt und lief mit dem Pferd aus der Manege, da glaubte Opa wieder was gehört zu haben und fragte: „Robert, was hast du gesagt?“
„Opa, ich sagte, das war ein wütender Drache, der durch die Manege tobte und Feuer spuckte.“
Und wieder konnte sich Opa nur wundern: „Was sagst du mir da? Das hab ich ja gar nicht gesehen.“
Bei den folgenden beiden Nummern werden nacheinander die Bilder des auf den Stoßzähnen des Elefanten im Handstand stehenden und des den Elefanten an den Stoßzähnen hochstemmen Artisten gezeigt. Die Zuhörenden ergänzen dazu, was Oma Robert fragt und was Robert ihr bzw. dem Opa erklärt.
Wenn sie keine Einfälle dazu haben, benutzen die Erzählenden die unter den Bildern angegebenen Sätze.
Genauso werden die beiden Bilder des Artisten, der seinen Kopf in den Löwenrachen steckt sowie das des Löwen benutzt, der den Kopf in das Gebiss des Artisten hält.
In der nächsten Nummer zeigte ein Artist einen Handstand auf den Stoßzähnen eines Elefanten.
Oma: Warum reißt der Kerl dem Elefanten die Stoßzähne aus?
Was erklärte da Robert wohl der kurzsichtigen Oma?
Robert: „Oma, das ist ein Gewichtheber, der den Elefanten an den Stoßzähnen hochstemmt.“
Und was erklärte er danach dem schwerhörigen Opa?
Danach kam wieder ein Dompteur mit einem Löwen, der seinen Kopf in den Löwenrachen steckt um zu zeigen, dass er keine Angst vor ihm hatte.
Oma: Warum küsst denn dieser Löwe den Dompteur?
Was erklärte da Robert wohl der kurzsichtigen Oma?
Robert: Der Löwe riecht im Mund des Dompteurs, ob der ihm sein Futter weggefressen hat.
Und erklärte er danach dem schwerhörigen Opa?
Was glaubt ihr, welche Nummern noch folgten? Und was flunkerte Robert wohl noch alles seiner Oma und seinem Opa vor?
Bei den folgenden Vorschlägen kann man abwarten, was den Zuhörenden dazu einfällt. Haben sie keine Ideen, benutzt man die folgenden Notizen. Danach folgt jeweils die Replik mit dem Opa.
Was fragte die Oma Robert, als zwei Clowns durch die Manege watschelten und sich ständig ein Bein stellten?
Oma: „Warum haben die langhaarigen Kerle denn so blutige Nasen?“
Robert: „Die haben sich mit Tomaten beworfen und die Tomaten sind an ihren Nasen hängen geblieben.“
Oder als ein Schlangenmensch seinen Kopf nach hinten durch die Beine schiebt.
Oma: „Warum hat der denn auch am Popo ein Gesicht?“
Robert: „Der hat da kein Gesicht, der schaut nur nach, ob er ein Loch in der Hose hat.“
Als sie nach der Vorstellung aus dem Zirkuszelt traten, meinte Opa zur Oma: „Das ist ja nicht zu glauben, was die heutzutage alles machen im Zirkus! Zu unserer Zeit war das doch anders. Da sprangen doch die Löwen durch die Feuerreifen. Kann es das überhaupt geben, dass der Dompteur durch den brennenden Reifen springt?“
„Doch, doch!“ antwortete die Oma. „Das hab ich doch selbst gesehen!“
„Aber eine Artistin, der auf einem Floh reitet! Das ist doch ganz und gar unmöglich!“
„Doch, doch!“ antwortete die Oma. „Das hab ich doch selbst gesehen!“
„Aber ein Feuer spuckender Drache, das ist doch ein Phantasietier, sowas gibt es doch in Wirklichkeit gar nicht!“
„Doch, doch!“ antwortete die Oma. „Das hab ich doch selbst gesehen!“
Und auch alles andere, was ihnen Robert vorgeflunkert hatte, konnte der Opa nicht recht glauben, dabei hatte es die Oma doch mit eigenen Augen gesehen.
Was war das denn gleich noch alles?
Hier lassen sich alle Nummern, auch mit Hilfe der Zuhörenden, in eine zweifelnde Frage des Opas gekleidet, nacheinander wiederholen.
Dass er das Zirkusprogramm ganz anders gesehen hatte als Robert, ließ dem Opa keine Ruhe. Er fürchtete, er würde nicht mehr richtig sehen. Deshalb ging er gleich am nächsten Tag zum Augenarzt und erklärte ihm, dass seine Augen plötzlich erschreckend nachgelassen hätten.
„Wie kommen Sie denn darauf?“ fragte der Augenarzt.
„Na gestern im Zirkus, da hat mein Enkel immer Sachen gesehen, die ich nicht sehen konnte. Und meine Frau, die hat das auch gesehen.“
Der Augenarzt fragte den Opa, was er denn im Zirkus nicht sehen konnte.
Und Roberts Opa meinte: „Dass Löwen einen Feuerreifen aufstellten und der Dompteur durch den Reifen sprang, das konnte ich nicht sehen.“
„Na so was!“ grinste der Augenarzt und ließ sich berichten, was Robert noch alles gesehen hatte, aber der Opa nicht sehen konnte. Ihr könnt euch ja denken, was ihm der Opa da noch alles berichtete.
Auch hier kann man, wieder unter Mithilfe der Zuhörenden, alle erzählten Nummern Revue passieren lassen.
Dann untersuchte der Augenarzt Opas Sehfähigkeit und stellte fest: „Glückwunsch, mein Lieber! Sie sehen noch erstaunlich gut, und das in Ihrem Alter.“
„Was haben Sie gesagt?“ fragte der Opa.
„Dass Sie noch ganz erstaunlich gut sehen! Aber vielleicht sollten Sie sich mal ein Hörgerät anschaffen.“
„Nein, nein, das ist nicht nötig. Ich höre alles, was ich hören will,“ antwortete der Opa. „Aber ich fürchte, unser Enkelkind, der Robert, der braucht eine Brille. Der sieht doch Sachen, die es gar nicht gibt.“
Erstmals erschienen in: Julia Klein/ Johannes Merkel, Sprachförderung durch Geschichtenerzählen, Buxtehude 2008, S. 77-85
Zeichnungen von Horst RudolphDie Geschichte bietet viele Anlässe zur Beteiligung der Zuhörenden. Die sich stets wiederholenden Reden der Oma („Du hast Recht, Jetzt sehe ich das auch“) und des Opa („Was hast du gesagt, Robert?“) schleifen sich bald ein, es genügt eine Frage oder auch nur ein kurze Pause, um sie zu provozieren.
Sprachlich geht es in dieser Geschichte um den Wechsel von Präsenz und Vergangenheit. Wenn Opa fragt „Was hast du gesagt?“ folgt auch Roberts Erklärung in der Vergangenheitsform. Nachdem das Dialogspiel durch die ersten Episoden vorgeführt ist, kann die Zuhörerschaft jeweils gefragt werden, was Robert antwortet. Dabei ist darauf zu achten, dass Roberts Antworten für den Opa in der Vergangenheitsform erfolgen.
Die Bilder von Horst Rudolph, die zwei weitere Nummern und Roberts Antworten als Bilder vorführen, können groß ausgedruckt und den Kindern mit der Frage gezeigt werden, welche Nummer da wohl vorgeführt wurde und welche Antwort sich Robert dazu ausdachte. Dazu wird das erste Bild gezeigt und gefragt, was als Nummer folgt, dann das zweite Bild mit der Frage, was Robert nun wohl der Oma und später dem Opa erklärt. Dabei kann das Dialogspiel Roberts mit Oma und Opa von den Zuhörenden gestaltet werden.
Die Nummern der Zirkusvorstellung lassen sich bei Bedarf verkürzen, in anderer Reihenfolge erzählen oder es können mit den Kindern neue Nummern ausgedacht werden.
Bei der Unterhaltung zwischen Opa und Oma nach der Vorstellung können die Zuhörenden gefragt werden, was der Opa noch alles nicht glauben kann, und was Oma wohl darauf sagte („Doch doch, das habe ich doch selber gesehen.“)
Dabei können alle von Robert geflunkerten Nummern in eine zweifelnde Frage des Opas gekleidet, Revue passieren. Dazu fragen die Erzählenden, was wohl noch alles erwähnt, das es gar nicht geben kann.Schließlich kann sich diese Revue bei Opas Zahnarztbesuch wiederholen, wenn der Zahnarzt nachfragt, was sein Enkel und seine Frau noch gesehen haben, das er, der Opa, nicht sehen konnte.
Was ist denn das für ein Zirkus?