Es war einmal ein alter Mann, der hatte kein Haus zum Schlafen und kein Geld, sich Essen zu kaufen. Er wanderte über die Landstraßen, und wenn er in ein Dorf kam, fragte er die Bewohner, ob sie nicht einen Bissen für ihn übrig hätten und ob er nicht in einer alten Scheune übernachten dürfe.
Eines Tages hatte sich der alte Mann in einem Wald verlaufen, er irrte drei Tage und drei Nächte durch den Wald, bis er endlich wieder herausfand und in ein Dorf kam. Was war der alte Mann da hungrig und müde! Er klopfte am ersten Haus und geriet an eine Frau: „Sie wünschen?“
„Ich bin drei Tage durch den Wald geirrt. Haben Sie vielleicht einen Bissen für mich übrig und ein Plätzchen zum Schlafen?“
„Da könnte ja jeder kommen!“ schimpfte die Frau und warf die Tür zu.
Der alte Mann ging weiter und kam zu einem Gemüseladen. Im Laden fragte er den Händler: „Ich bin drei Tage durch den Wald geirrt. Haben Sie vielleicht einen Bissen für mich übrig und ein Plätzchen zum Schlafen?“
„Klar, kannst du haben,“ meinte der Händler. „Aber nur gegen Bares.“ Und als der alte Mann nur den Kopf schüttelte, lachte er: „Umsonst ist nur der Tod!“ und jagte ihn vor die Tür.
Der alte Mann ging weiter und kam zu einem Fleischerladen: „Ich bin drei Tage durch den Wald geirrt. Haben Sie vielleicht einen Bissen für mich übrig und ein Plätzchen zum Schlafen?“
Der Fleischer betrachtete ihn von oben bis unten. „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“ Und dann fauchte er: „Anständigen Leuten auf der Tasche liegen! Das könnte dir so passen, Schmarotzer!“ und jagte ihn vor die Tür.
„Du musst dir was anderes einfallen lassen,“ sagte sich der alte Mann. „Die Leute lassen dich sonst glatt verhungern.“
Im Weitergehen fand er neben der Straße einen alten verbeulten Topf. Er nahm den Topf, sammelte Brennholz und schichtete es mitten auf dem Dorfplatz auf, wo ihn alle sehen konnten. Dann füllte er den Topf am Dorfbrunnen mit Wasser, zündete das Brennholz an und setzte den Topf aufs Feuer.
Das Feuer lockte die Dorfkinder an. Sie standen um den alten Mann herum und schauten ihm zu.
Als das Wasser im Topf zu kochen begann, nahm der Alte einen Stein, warf ihn in das heiße Wasser und rührte es dann aufmerksam mit einem Stock um.
Die Kinder beobachteten ihn stumm, bis ein Junge herausplatzte: „Was machst du denn da?“
Da schaute der alte Mann auf und sagte: „Ich koche eine Steinsuppe.“ Darauf holte er einen Löffel aus der Tasche, probierte die Suppe und sagte: „Köstlich! Sie schmeckt schon köstlich! Sie würde aber noch köstlicher schmecken, wenn ich einige Kartoffeln zugeben würde.“
Da rannten auch schon zwei Kinder auf das nächste Kartoffelfeld, gruben eine Hand voll Kartoffeln aus und brachten sie ihm. Der alte Mann wusch die Kartoffeln, schälte sie und warf sie in den Topf.
Wieder kostete er nach einer Weile. „Großartig!“ stellte er fest und schnalzte mit der Zunge. „Sie würde aber noch großartiger schmecken, wenn ich sie mit einem Bund Karotten verbessern würde.“
Da lief auch schon das Mädchen des Gemüsehändlers und brachte dem Alten aus dem Laden einen Bund Karotten.
Der alte Mann gab die Karotten in den Topf, ließ sie eine Weile kochen, dann probierte er die Suppe wieder.
„Göttlich!“ stellte er fest. „Sie würde aber noch göttlicher schmecken, wenn ich sie mit einem Stück Rindfleisch abrunden würde.“
Da lief auch schon der Junge des Fleischers los und holte ein gutes Stück Rindfleisch. Und auch das Rindfleisch wanderte in den Topf.
Was glaubt ihr wohl, was der Bettler sagte, als er das nächste Mal die Suppe kostete?
einmalig,
einzigartig,
unglaublich
unübertrefflich
himmlisch
paradiesisch
Was brachten ihm die Kinder, um die Suppe zu verbessern?
z.B. eine Hand voll Zwiebeln,
einen Bund Karotten,
drei Stangen Lauch,
einen halben Sellerie,
einen Kopf Blumenkohl,
drei Würstchen,
einen Bund Petersilie
Schließlich kostete der Alte wieder von der Suppe und bemerkte: „Deliziös! Noch nie habe eine so deliziöse Suppe gekostet!“
Er fragte die Kinder, ob sie auch davon kosten wollten. Das wollten sie natürlich alle. Sie holten sich Teller und Löffel, saßen um den alten Bettler herum und löffelten die Steinsuppe und es ging ihnen wie dem alten Mann: Noch nie hatte ihnen eine Suppe besser geschmeckt.
Und als sie alle gegessen hatten, streckte sich der Bettler vor dem Feuer aus und meinte: „Ach, wenn ich jetzt einen Platz im Heu hätte, um mich auszuschlafen!“
Da boten ihm alle Kinder einen Platz in ihrer Scheune an. Und weil er doch nicht bei allen gleichzeitig schlafen konnte, blieb er noch so lange, bis er in jedem Haus eine Nacht geschlafen hatte.
Zuletzt übernachtete er auch in dem Haus, in dem er bei seiner Ankunft abgewiesen wurde. Am nächsten Morgen fragte ihn die Frau, wie er es geschafft hatte, eine so unübertreffliche Suppe zu kochen.
„Ich benutze einen Suppenstein,“ erklärte ihr der alte Mann. „Je länger man sie damit kocht, desto köstlicher gerät die Suppe. Ich glaube, ich brauche ihn nicht mehr. Wenn Sie ihn haben wollen, können sie ihn gerne haben.“
Und ob die gute Frau wollte! Er gab ihr den Suppenstein und ging seines Weges.
Am nächsten Tag lud die Frau ihre Verwandten und Bekannten zum Essen ein. Schon früh am Morgen heizte sie den Herd, damit die Suppe möglichst lange kochen konnte und noch köstlicher geraten würde als bei dem Bettler. Als die ersten Gäste kamen, probierte sie die Suppe.
Glaubt ihr, ihre Suppe schmeckte köstlich?
Nein! Sie schmeckte nur nach Wasser und alles andere als köstlich.
Da erklärte die Frau ihren Gästen, dass die Suppe leider noch etwas brauchen würde, bis der Stein seinen großartigen Geschmack abgegeben hätte.
Nach drei Stunden probierte sie die Suppe wieder. Sie schmeckte leider noch immer nach Wasser und alles andere als großartig. Nun erklärte sie ihren Gästen, dass die Suppe wohl noch bis zum Abend kochen müsse, dann aber sicher göttlich schmecken würde. Aber auch am Abend schmeckte die Suppe nach Wasser und alles andere als göttlich. Da gingen die Gäste hungrig und wütend weg.
„Ich verstehe das nicht!“ wunderte sich die Frau. „Ich habe doch alles genau so gemacht, wie es der Bettler auch gemacht hat.“
Diese Geschichte geht auf ein portugiesisches Märchen zurück.
Sprachlich geht es darin um Formen des Konditionals und um Adjektive für den Geschmack der Suppe.Das Kochen der Suppe lässt sich auch als szenisches Spiel nachvollziehen. Als Topf dient dann ein großer Behälter (Plastiktrog oder Wanne), um den die Spieler mit dem Obdachlosen sitzen. Nach jeder Probe läuft ein Kind los und kommt mit der Zutat zurück in Form eines ( stellvertretenden) Gegenstands zurück, den es in den Trog wirft (z.B. einen Ball für einen Krautkopf etc.).
Am Ende löffeln sie die Suppe mit Suppenschöpfern aus (Plastik-)Schüsseln, schmatzen und wiederholen dabei die Adjektive des Obdachlosen.
Wenn Zeit und Ausdauer für ein längeres Spiel reicht, können auch die Bitten des Obdachlosen am Anfang und die Kochversuche der Frau am Ende nachgestellt werden.