Es gibt Menschen, die nie richtig zuhören und dann etwas zu hören meinen, was gar nicht gesagt wurde. So einer war auch der Junge, der immer alles falsch verstand.
Angenommen, seine Mutter sagte ihm: „Kannst du mir bitte auch die Eier bringen?“ Was hörte da der Junge, der immer alles falsch verstand? „Kannst mir bitte auf die Eier springen?“
Und was machte er? Er stellte die Eier auf den Fußboden und sprang auf die Eierschachtel. Wenn seine Mutter dann schimpfte, meinte er nur: „Das hast du doch selbst gesagt!“
Wenn er Langeweile hatte, setzte er sich gern vors Haus und pfiff vor sich hin. Da kam einmal eine Nachbarin mit dem Fahrrad vorbei und meinte: „Du hast mir aber Lust zu pfeifen!“
Aber was hörte der Junge, der immer alles falsch verstand? „Lass mir die Luft aus den Reifen!“
Und das machte er dann auch: Er drehte die Ventile auf, bis die Reifen platt waren.
Die Nachbarin beschwerte sich bei seiner Mutter, aber der Junge protestierte: „Ich habe doch nur gemacht, was sie mir gesagt hat!“
Man kann sich ja denken, dass viele Leute sauer wurden, wenn der Junge immer was ganz anderes hörte, als ihm gesagt wurde, und dass sie den Jungen dann ausschimpften. Aber das nutzte nichts, denn je mehr sie ihn beschimpften, desto weniger hörte der Junge darauf, was sie sagten und hörte stattdessen nur noch öfter etwas, was ihm gar nicht gesagt wurde. Darum wurde es immer schlimmer mit dem Jungen, der alles falsch verstand. Was immer ihm gesagt wurde, hörte er anders. als es gesagt wurde. Und wenn sich Leute darüber beschwerten, antwortete er immer nur: „Aber ich mache doch nur, was mir gesagt wurde!“
Am schlimmsten waren seine Missverständnisse in der Schule. Wenn ihm zum Beispiel die Lehrerin in der Klasse sagte, er soll mit Kreide an die Tafel schreiben, dann hörte er, er soll die Kreide an die Tafel reiben. Und wenn ihn die Lehrerin fragte, warum er nicht schreibt, sondern die Kreide an die Tafel reibt, dann meinte er: „Das haben Sie doch selbst gesagt!“
Oder wenn der Junge im Unterricht mit seinem Tischnachbarn schwätzte, dann konnte ihn die Lehrerin anfahren: „Was hast du auch mit deinem Nachbarn zu babbeln?“
Aber was hörte der Junge, der immer alles falsch verstand? „Du hast auf deinen Nachbarn zu krabbeln!“
Dann stand er tatsächlich auf und versuchte über seinen Tischnachbarn zu kriechen. „Was fällt dir ein?“ fragte die Lehrerin, aber der Junge antwortete: „Ich mache doch nur, was Sie mir gesagt haben!“
Die Lehrerin wusste sich nicht mehr zu helfen und rief schließlich die Mutter an: „Er hört einfach nie zu, was ihm gesagt wird.“
„Ich weiß, ich weiß,“ stöhnte die Mutter. „Aber ich weiß nicht, was ich machen soll!“
„Es könnte ja sein, dass er nicht richtig hört,“ meinte die Lehrerin und riet ihr, mit ihm einen Ohrenarzt aufzusuchen.
Der Ohrenarzt untersuchte den Jungen, konnte aber keine Einschränkung der Hörfähigkeit feststellen und meinte: „Wäre möglich, dass er ja gar nicht hören will. Gehen Sie mit ihm doch mal zu einem Psychologen!“
Darum suchte die Mutter mit dem Jungen eine Psychologin auf. Das war eine verständnisvolle Frau und das Falschverstehen fand sie eigentlich gar nicht so schlimm. Der besorgten Mutter erklärte sie: „Sie sollten ihm einfach Zeit lassen! Wissen Sie, ich wette, die braucht er, um seinen Platz zu finden.“
Aber was hörte der Junge, der immer alles falsch verstand? Statt „Wissen Sie, ich wette“ hörte er: „Die Zigarette….“ Und statt „Die braucht er, um seinen Platz zu finden,“ hörte er: „Die raucht er, um einen Schatz zu finden.“
Da bildete sich der Junge doch tatsächlich ein, seine Mutter würde ihm eine Zigarette geben, um einen Schatz zu finden. Aber die bekam er natürlich nicht. Weil er aber doch einen Schatz finden wollte, stiebitzte er eine Zigarette aus der Handtasche seiner Mutter, setzte sich auf eine Parkbank und rauchte.
Da kam sein Freund vorbei und staunte, dass der Junge in aller Öffentlichkeit rauchte. Aber der Junge erklärte ihm: „Weisst du: Die Psychologin sagte mir, ich soll rauchen, um einen Schatz zu finden.“
„Hier?“ fragte der Freund. „Da musst du aber viel Glück haben.“
Aber was hörte der Junge, der immer falsch verstand? „Hier. Da musst du aber wie verrückt graben.“
Zufällig hatte er einen alten Kaffeelöffel in der Tasche, mit dem fing er an, wie verrückt zu graben. Es ist mühsam, mit einem alten Kaffeelöffel die Erde an einem Parkweg aufzureißen, aber weil er wie verrückt am Graben war, hatte er bald ein Loch in den Parkweg gerisssen. Plötzlich stieß er auf etwas Hartes, und als er weiter grub, zog er zwei Glasscherben aus der Erde.
Als er sie aus dem Loch holte, kam ein Spaziergänger durch den Park und wunderte sich: „Was treibst du denn da?“
Und was erklärte ihm der Junge? „Wissen Sie, die Psychologin sagte, ich soll rauchen, um einen Schatz zu finden. Da sagte mein Freund, ich soll wie verrückt graben. Und jetzt habe ich diese Scherben gefunden.„
„Schmeiß die Dinger in das Loch zurück!“ meinte der Spaziergänger. „Daran kannst du dich schneiden.„
Aber was hörte der Junge, der immer alles falsch verstand? „Weißt du, die bringen dir noch Glück. Darum kann man dich beneiden.“ Und weil sie ihm noch Glück bringen sollten, packte der Junge die Glasscherben in seine Hosentasche.
Inzwischen fragte sich seine Mutter, wo sich der Junge herumtrieb. Als sie ihn im Park entdeckte, schimpfte sie: „Was fällt dir ein? Wer hat dir erlaubt zu rauchen?“
Aber was erklärte ihr der Junge: „Du weißt doch, die Psychologin sagte, ich soll rauchen, um einen Schatz zu finden. Da kam mein Freund vorbei und sagte, ich soll wie verrückt graben, und beim Graben fand ich zwei Glasscherben. Da kam ein Spaziergänger und sagte, dass mir die Scherben noch Glück bringen.“
Die Mutter schüttelte nur den Kopf. „Was du dir wieder ausdenkst!“ Sie drückte ihm zwei Euro in die Hand und sagte: „Da! Bitte, lauf los und kauf uns vor Ladenschluss noch ein Brot!“
Aber was hörte der Junge, der immer alles falsch verstand? „Bitte, lauf los und klau uns zum Baden am Fluss noch ein Boot!“
Und was machte der Junge, der immer alles falsch verstand? Er ging zum Fluss, machte ein Boot los und war gerade dabei, es wegzurudern, da kam eine ältere Dame vorbeispaziert und fragte: „Was treibst du denn am Abend ganz allein auf dem Fluss?“
Und was erklärte ihr der Junge, der immer alles falsch verstand? „Wissen Sie, das kam so: Die Psychologin sagte, ich soll rauchen, um einen Schatz zu finden. Da kam mein Freund vorbei und sagte, ich soll wie verrückt graben. Beim Graben fand ich zwei Glasscherben. Da sagte ein Spaziergänger, dass sie mir noch Glück bringen. Aber meine Mutter suchte mich und sagte, ich soll zum Baden am Fluss ein Boot klauen.“
Die alte Dame schüttelte nur den Kopf und meinte: „Junge, das solltest du lieber bleiben lassen!“
Aber was hörte der Junge, der immer alles falsch verstand? „Junge, du solltest dich lieber treiben lassen!“
Darum hörte er auf zu rudern und ließ sich flussabwärts treiben. Und weil das Boot sanft in den Wellen schaukelte und es schon dämmerte, wurde er müde, streckte sich im Boot aus und schlief ein. Er schlief die ganze Nacht, während das Boot immer weiter flussabwärts trieb.
Als er am nächsten Morgen aufwachte, wusste er nicht mehr, wo er war, und er hatte Hunger. Da sah er am Ufer ein Fischrestaurant, ruderte das Boot dorthin, bestellte sich zwei Fischbrötchen und schlang sie hinunter. Die Brötchen wollte der Wirt natürlich bezahlt bekommen, aber der Junge hatte doch nur zwei Euro und die reichten dafür nicht.
„Wo kommst du denn überhaupt her?“ fragte der Wirt.
Und was erklärte ihm der Junge? „Wissen Sie, die Psychologin sagte, ich soll rauchen, um einen Schatz zu finden. Da kam mein Freund vorbei und sagte, ich soll wie verrückt graben, und beim Graben fand ich zwei Glasscherben. Da sagte mir ein Spaziergänger, die werden mir noch Glück bringen. Aber meine Mutter suchte mich und sagte, ich soll zum Baden am Fluss ein Boot klauen. Als ich das Boot klaute, sagte mir eine alte Dame, ich soll mich treiben lassen. Da hat mich die Strömung über Nacht hierher getrieben.“
„Schön und gut. Aber wenn du nicht zahlen kannst, musst du für mich etwas tun,“ sagte der Wirt und drückte ihm einen Wischlappen in die Hand.. „Damit wirst du mir hier, und im Garten auch, die Tische wischen.“ Und damit ging der Wirt weg, um Lebensmittel für sein Restaurant zu besorgen.
Aber was hatte der Junge gehört, der immer alles falsch verstand? „Du wirst mir mit dem Gartenschlauch die Fische erfrischen.“
Im Hof des Restaurants stand ein großer Bottich mit lebenden Fischen. Der Junge holte einen Fisch nach dem andern aus dem Bottich, hing sie mit Wäscheklammern an die Wäscheleine und spritzte sie mit dem Gartenschlauch ab.
Inzwischen kam der Kellner zur Arbeit, der in dem Restaurant die Gäste bediente, und entsetzte sich: „Was treibst du denn da? Du bringst uns ja die Fische um!“
Aber der Junge meinte nur: „Wieso? Ich mache doch nur, was mir der Chef gesagt hat!“
Der Kellner holte die Fische von der Leine, warf sie ins Wasser zurück und dann fragte er den Jungen: „Wo kommst du überhaupt her?“
Und was erklärte ihm der Junge? „Wissen Sie, die Psychologin sagte, ich soll rauchen, um einen Schatz zu finden. Da kam mein Freund vorbei und sagte, ich soll wie verrückt graben, und beim Graben fand ich zwei Glasscherben. Da sagte ein Spaziergänger, die werden mir noch Glück bringen. Dann suchte mich meine Mutter und sagte, ich soll ihr zum Baden am Fluss ein Boot klauen. Und als ich das Boot klaute, sagte eine alte Dame, ich soll mich treiben lassen. Und die Strömung hat mich über Nacht hierher getrieben. Weil ich zwei Fischbrötchen aß und nicht bezahlen konnte, sagte mir der Chef, ich muss dafür etwas tun und soll die Fische erfrischen.“
Der Kellner schüttelte nur den Kopf und meinte: „Na schön! Wenn du etwas tun musst, dann kannst mir jetzt beim Aufdecken helfen. Zuerst holst du mir dort Teller und Tassen aus dem Schrank!“
Und was hörte der Junge, der immer alles falsch verstand? „Zuerst holst du mir dort schnell die Kassen aus der Bank!“
Darum lief der Junge in die Richtung, in die der Kellner gezeigt hatte. Und er kam in eine Ortschaft und sah dort ein Bankgebäude. Diese Bank war aber soeben von einem Bankräuber überfallen worden. Gerade als sie der Junge betreten wollte, stürzte der Gangster mit einer Pistole in der einen Hand und mit einer vollen Geldtasche in der anderen durch den Eingang nach draußen. Vor dem Eingang stieß er mit dem Jungen zusammen. Dabei fielen ihm die Glasscherben aus der Hosentasche. Der Bankräuber trat auf die Glasscherben, rutschte aus und fiel rückwärts auf den Gehsteig. Die Pistole flog ihm in hohem Bogen aus der Hand und die Tasche voll Geld plumpste auf den Gehsteig.
Als die Angestellten der Bank sahen, dass er seine Waffe verloren hatte, überwältigten sie den Bankräuber. Schließlich kam auch der Bankdirektor aus seinem Büro. Er klopfte dem Jungen auf die Schulter, nannte ihn einen Helden und versprach ihm eine Belohnung von 5000.- Euro.
Erst wurde der Junge zum Essen in ein feines Restaurant ausgeführt, da durfte er essen, so viel er wollte. Danach stellte ihn der Bankdirektor auf einer Pressekonferenz vor und erklärte den Presseleuten: „Meine Damen und Herren, ich präsentiere Ihnen hier ein leuchtendes Vorbild für Mut und Entschlossenheit. Dieser tapfere Junge hat heute morgen ganz allein einen bewaffneten Bankräuber zur Strecke gebracht.“
Da staunten die Presseleute und fragten den Jungen, wie er es geschafft hatte, einen so gefährlichen Gangster zu stellen.
Und was erklärte ihnen der Junge? „Wissen Sie, die Psychologin sagte, ich soll rauchen, um einen Schatz zu finden. Da kam mein Freund vorbei und sagte, ich soll wie verrückt graben, und beim Graben fand ich zwei Glasscherben. Da sagte ein Spaziergänger, sie werden mir noch Glück bringen. Dann suchte mich meine Mutter und sagte, ich soll ihr zum Baden am Fluss ein Boot klauen. Und als ich das Boot klaute, sagte mir eine alte Dame, ich soll mich treiben lassen. Da trieb mich die Strömung über Nacht zu einem Fischrestaurant. Ich aß zwei Fischbrötchen, die ich nicht bezahlen konnte. Da sagte der Wirt, dafür muss ich etwas tun und soll die Fische zu erfrischen. Dann kam der Kellner und sagte, ich soll die Kassen von der Bank holen. Aber weil der Bankräuber mit mir zusammenstieß, fielen mir die Glasscherben aus der Hosentasche. Da rutschte er auf den Scherben aus und die Pistole flog ihm aus der Hand. Zur Belohnung dafür bekomme ich 5000 Euro. Diese Scherben haben mir also wirklich Glück gebracht, genau so, wie es mir der Spaziergänger voraussagte.“
Ihr könnt euch denken, was sich die Mutter schon für Sorgen machte, als der Junge die ganze Nacht über nicht nach Hause kam. Aber umsomehr staunte sie, dass ihr Junge am nächsten Morgen im Auto des Bankdirektors nach Hause gebracht wurde und einen Scheck über 5000 Euro in der Tasche hatte.
Und noch mehr staunte sie, als sie am nächsten Tag die Zeitung las. Da stand in fetten roten Buchstaben:
DREISTER RAUBÜBERFALL VERHINDERT! MUTIGER JUNGE BRINGT BANKRÄUBER ZUR STRECKE!
„Mit einem genialen Einfall brachte gestern ein mutiger Junge einen bewaffneten Bankräuber zur Strecke. Der Gangster stürmte aus der Bankfiliale, die er soeben mit vorgehaltener Waffe um eine halbe Million erleichtert hatte. Vor dem Eingang stieß er auf den mutigen Jungen, der gerade die Bank betreten wollte. Blitzschnell durchschaute der Junge, was hier gespielt wurde. In einer plötzlichen Eingebung holte er Glasscherben aus der Tasche und warf sie dem dreisten Bankräuber zwischen die Füße. Der Gangster rutschte darauf aus, die Waffe fiel ihm aus den Händen und er konnte von den Bankangestellten überwältigt werden.
Der Junge erhält von der Bank eine Belohnung von 5000.- Euro. Womit sich wieder einmal das gute alte Sprichwort bewahrheitet, dass Scherben eben Glück bringen.“
Aber am meisten staunte die Mutter, dass der Junge aufhörte, immer alles falsch zu verstehen. Könnt ihr euch denken, warum er jetzt besser hinhörte, was ihm gesagt wurde? Ganz einfach: Der Junge wurde jetzt von allen für seine kühne Tat gelobt.
Zum Beispiel sagte ihm seine Mutter: „Das hast du wirklich großartig gemacht! Ich wusste ja gar nicht, was für ein tüchtiges Kind ich habe.“ Und was glaubt ihr, hörte der Junge? Genau das, was sie ihm sagte.
Und die Lehrerin sagte vor der ganzen Klasse: „Ich wusste gar nicht, dass wir einen echten Helden in der Klasse haben. Alle Achtung!“ Und auch das hörte der Junge genau so, wie es gesagt wurde.
Und weil er genau mitkriegen wollte, wie sie ihn lobten, fing er an, immer genau hinzuhören. Und von da an passierte es nur noch ganz selten, dass er etwas falsch verstand, und bald nannte ihn niemand mehr den Jungen, der immer alles falsch versteht.
Die Geschichte lässt einen „Außenseiter“, der ständig alles falsch macht, am Ende groß herauskommen. Dass man etwas falsch verstanden hat, weil man nicht genau hinhörte, ist eine Erfahrung, die Kinder oft nur allzu gut kennen.
Die Erklärungen des Jungen, die von Episode zu Episode immer länger werden, sprechen die Zuhörenden bald von sich aus mit und rekapitulieren damit die erzählten Handlungen. Um das gemeinsame Mitsprechen anzuregen, macht man am besten eine kurze Pause, lässt die bereits erfolgten Erklärungen ablaufen und ergänzt sie um die letzte Aktion.
Das „Fische erfrischen“ als Höhepunkt der Missverständnisse lässt sich mit einer Spielaktion nachstellen: Die übrigen Zuhörenden legen sich auf den Boden und bewegen sich wie die Fische im Bottich. Sobald der Junge, der immer alles falsch verstand, sie berührt, stellen sie sich mit über den Kopf erhobenen Händen in einer Reihe auf. Schließlich kommt der Kellner dazu, zieht sie aus der Reihe und die „Fische“ fallen in den Bottich zurück.
Statt des im Text enthaltenen Zeitungsberichts kann man auch die Montage der folgenden Zeitungsseite zeigen und möglichst von den Zuhörenden vorlesen lassen (ohne ihnen am Ende zu verschweigen, dass es sich um eine Montage handelt.)