Dass es ein ein wunderbares Bett war, hatte ich auf den ersten Blick gesehen. Aber dass es ein Wunderbett war, das konnte ich damals nicht ahnen.
Ich hatte es im Schaufenster eines Möbelgeschäfts gesehen und war begeistert: Ein solides eisernes Bettgestell mit goldenen Kugeln an den vier Ecken und unter den Füßen massive goldfarbene Räder. Ich nervte meine Mutter, mir auf der Stelle dieses Bett zu kaufen, aber damit biss ich auf Granit: Erstens sündhaft teuer, zweitens zu viel Geschnörkel – wer soll denn da immer den Staub aus den Verzierungen wischen?- , drittens und überhaupt hätte ich ja längst ein solides Bett, es gab also überhaupt keinen Grund, ein neues anzuschaffen. Natürlich hatte ich ein Bett, aber eben so ein langweiliges Allerweltsgestell: massive Kopf- und Fußteile, die mit zwei geraden Seitenteilen verbunden waren. Ich konnte meiner Mutter damit in den Ohren liegen, so lange ich wollte, sie ließ sich nicht erweichen. Bis ich nächste Weihnachten aus allen Wolken fiel: Da stand doch mein geliebtes Bett unter dem Christbaum. So eine Überraschung!
Dass es wunderbare Eigenschaften besaß, zeigte sich schon daran, dass ich von da an gerne ins Bett ging. Vorher hatte ich Abend für Abend mit allen möglichen Tricks versucht, noch aufbleiben zu dürfen. Dass ich mich plötzlich freiwillig ins Bett legte, kam meinem Vater geradezu verdächtig vor. „Was ist nur in den Jungen gefahren?“ fragte er. Und meine Mutter meinte: „Na hoffentlich wird er mir nicht krank!“
Aber es lag einfach daran, dass ich in diesem Bett wunderbar einschlief. In meinem alten Bett hatte ich vor dem Einschlafen immer an tausend Sachen denken müssen, hatte mir vorgestellt, was morgen alles schief gehen könnte, das machte Angst und dann konnte ich vor Angst nicht schlafen. Das neue Bett brachte mich schon zum Gähnen, wenn ich nur die Bettdecke aufschlug, und kaum lag ich drin, war ich auch schon weg. Und es war tatsächlich das Bett, das mich gleich einschlafen ließ. Als mir meine Mutter nämlich eines Tages eine Wärmflasche brachte und dafür die Zudecke hochhob, gähnte sie plötzlich, warf sich mit allen Kleidern in mein Bett und schlief neben mir ein. Von da an wusste ich Bescheid.
Aber mein Wunderbett brachte noch ganz andere Sachen zuwege. Zum Beispiel hatte ich eines Tages vergessen, meinen Wecker zu stellen und dann auch prompt verschlafen. Irgendwann weckte mich ein eisiger Luftzug, und als ich die Augen aufmachte, hatte ich nicht die Zimmerdecke über mir, sondern einen blassblauen Himmel. Ich richtete mich halb auf, und was musste ich feststellen? Mein Bett ratterte gemächlich die Straße entlang, in der Ferne erkannte ich schon meine Schule.
Ich weiß nicht, wie das Bett das fertig brachte, ich habe ja geschlafen. Aber irgendwie musste es das Haus verlassen und meinen Schulweg entlang gerollt sein. Ich sagte ja schon, es hatte goldene Räder an den Seitenteilen, mit denen es problemlos fahren konnte. Es fuhr in den Schulhof, stand still und wartete darauf, dass ich ausstieg.
Aber ich war doch noch im Schlafanzug. Damit konnte ich mich doch nicht in der Klasse sehen lassen! „He fahr zurück!“ fauchte ich, „Ich muss mich erst anziehen.“ Aber was machte mein Bett? Es ging vorne hoch wie ein scheuendes Pferd und kippte mich einfach auf den Hof. Und in diesem Augenblick läutete auch schon die Schulglocke. Was sollte ich machen? Ich lief ins Klassenzimmer und setzte mich im Schlafanzug auf meinen Platz.
Na, da war was los! Die löcherten mich, wie ich dazu käme, im Schlafanzug zum Unterricht zu kommen. Ich musste mir was einfallen lassen. Ich behauptete, bei uns zu Hause sei eingebrochen worden und die gemeinen Kerle hätten mir sämtliche Kleider gemopst. Da hatte sogar unsere Lehrerin Mitleid, schickte nach dem Hausmeister und der brachte mir schließlich ein Hemd und eine Hose, die er noch von seinem erwachsenen Sohn übrig hatte. Die musste ich dann anziehen. Die waren mir viel zu weit. Ich sah damit aus, wie eine Vogelscheuche auf Urlaub.
Von da an baute ich vor: Jeden Abend legte ich meine Klamotten unter das Kopfkissen für den Fall, dass mich mein Bett wieder heimlich in die Schule karrte.
Ich habe vergessen, zu erwähnen, dass mein Bett damals mit mir gleich noch zwei weitere Menschen auf den Schulhof kippte. Die müssen neben mir gelegen haben, ohne dass ich das merkte: Einer sah aus wie ein Stadtstreicher, der andere war ein kleiner Junge, der noch nicht einmal zur Schule ging. Ich weiß auch nicht, was aus denen wurde, weil ich doch sofort in mein Klassenzimmer gelaufen war. Später habe ich mir den Kopf zerbrochen, wie die wohl in mein Bett geraten sind. Ich war doch ganz sicher, dass ich am Abend allein ins Bett gegangen war.
Erst viel später habe ich verstanden, wie das zugegangen sein muss, und zwar als ich eines Tages beschloss, die Schule zu schwänzen. Ich hatte keinen Bock, eine Mathearbeit mitzuschreiben, an der ich sowieso wieder scheitern würde. Um ganz sicher zu gehen, dass mich mein Wunderbett nicht wieder heimlich zur Schule karrte, hatte ich mir das Vorhängeschloss und die Kette geklaut, mit denen mein Papa sein Rennrad abschließt. Die Kette hatte ich um mein Bettgestell gelegt und mit dem Vorhängeschloss am Heizkörper angeschlossen.
Woher sollte ich auch ahnen, dass Papas Auto gerade an diesem Morgen nicht anspringen würde? Er beschloss, sein Fahrrad zu nehmen und suchte im ganzen Haus nach seinem Fahrradschloss, fand es schließlich bei mir im Zimmer und montierte es ab. Ich hab davon nichts mitgekriegt, und als ich aufwache, hatte ich wieder den Himmel über mir, diesmal mit dicken Regenwolken verhangen.
Wir waren noch nicht weit gekommen, mein Bett rollte gerade auf die Kreuzung zu, wo unsere Straße in die Hauptstrasse einmündet. Dort steht eine Verkehrsampel, aber die war gerade an diesem Morgen ausgefallen, darum regelte dort ein Polizeibeamter den Verkehr. O Gott, denke ich und ziehe mir die Bettdecke über den Kopf. Vielleicht war das ein Fehler. Vielleicht hätte mich der Polizist vorbeifahren lassen, wenn er einen Fahrer gesehen hätte. Aber ein Gefährt, das fahrerlos durch die Straße rattert, das konnte er doch nicht durchgehen lassen! Unter der Bettdecke kriegte ich mit, wie er auf seiner Trillerpfeife pfiff. Mein Bett hat wohl brav angehalten und unter der Bettdecke hervor sah ich, dass der Ordnungshüter verwirrt vor dem Bett stand. Ich schätze, er wusste nicht recht, was er von diesem Fahrzeug halten sollte: Kein Fahrer, keine Beleuchtung, noch nicht einmal ein ordnungsgemäßes Kennzeichen! Als er sein Handy zückte, um seine Dienststelle anzurufen, musste ich mich am Ärmel kratzen. Zu dumm, denn dabei bewegte sich die Bettdecke. Er hob die Decke hoch, riss gähnend den Mund auf und schon lag er neben mir und schnarchte.
Und was machte mein Bett? Es zuckelte gemächlich weiter in Richtung Schule. Zwei Straßenkreuzungen weiter gab es einen Stau. Ich lugte unter der Bettdecke vor und sah, dass hinter uns ein Lieferwagen bremste. Vermutlich hatte es der Fahrer eilig, erst hupte er heftig. Hinter ihm sah ich einen Laster halten, dessen Fahrer mit einem wahren Hupkonzert antwortete. Ich hörte, wie sie schließlich beide ausstiegen und fluchten, welcher Idiot da wohl sein Bett auf der Fahrbahn abgestellt hatte.
Gemeinsam versuchten sie, das Verkehrshindernis auf den Gehsteig zu schieben. Ich nehme an, dass sie den Polizeibeamten neben mir schnarchen hörten. Jedenfalls hob jetzt einer die Bettdecke hoch, und was passierte? Er gähnte und schon lag er unter der Decke. Der Andere wollte nachsehen, wo er abgeblieben war, hob ebenfalls die Bettdecke, gähnte und schon schnarchte er mit den anderen um die Wette.
An diesem Morgen entdeckte ich die dritte wunderbare Eigenschaft meines Bettes: Offenbar passten jede Menge Leute unter die Decke, ohne dass es eng und ungemütlich wurde. Die beiden Fahrer waren ja nicht die letzten, die unter meiner Bettdecke verschwanden. Wer immer die Zudecke hochhob, gähnte und .… naja, ihr wisst schon. Nur ich blieb wach, sonst könnte ich euch das ja gar nicht erzählen. Aber ich hatte ja auch die ganze Nacht geschlafen und war prächtig ausgeruht.
Was glaubt ihr, wer da noch alles mein Wunderbett bestaunte, die Bettdecke hochhob, gähnte und zu mir unter die Decke gekrochen kam?
Sicher wollt ihr jetzt noch hören, wie die Sache ausging. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass mein Bett mit den vielen Schläfern langsamer wurde oder ob die gute Frau selber noch nicht ganz auf dem Damm war. Es war nämlich eine ältere Dame, von Beruf Richterin, wie sich herausstellte, die kurz vor unserer Schule auf mein Bett auffuhr. Es krachte und schepperte, und ich rechnete damit, dass von meinem Wunderbett nur ein Haufen Schrott übrig blieb. Aber es war halb so wild. Die Füße unter dem Kopfteil waren etwas verbogen, sonst hatte es prima gehalten.
Von dem Wagen der Richterin konnte man das nicht behaupten: Die Schnauze war fast bis zur Windschutzscheibe zusammengeschoben. Die Dame konnte sich mit Müh und Not aus dem Wagen quetschen und kam kopfschüttelnd auf mein Bett zu. Sie betrachtete es von allen Seiten, legte sich schließlich sogar auf den Bauch, um es von unten zu studieren. Schließlich fasste sie mit zwei Fingern nach der Bettdecke, hob sie hoch.…. Naja, ihr wisst schon, was folgte: Ein Gähnen und sie lag friedlich zwischen uns.
Ich weiß nicht genau, wie es weiter ging. Ich wagte nicht mehr, mich umzusehen. Ich hörte Hupen, Schimpfen und Fluchen, danach Sirenengeheul. Irgendwer muss wohl einen Abschleppwagen gerufen haben, der mein Bett auf den Haken nahm und in die nächste Werkstatt zog. Dort schoben sie mein Bett über die Grube, ich hörte, wie sie sich darüber stritten, was das für ein neuartiger Wagentyp sein soll. Schließlich holten sie den Meister, der wurde aber aus meinem Bettt so wenig klug wie die andern, er machte aber den Fehler, unter der Bettdecke nach dem Motor zu suchen. Gleich gähnte nicht nur der Meister, sondern mit ihm auch noch die drei Mechaniker, die um ihn herumstanden. Ich muss zugeben, dass es mit ihnen jetzt doch etwas eng wurde unter der Decke.
Wer sich davon überhaupt nicht beeindrucken ließ, war mein Bett. Es rollte aus der Werkstatt, fand problemlos den Weg zum Schulhof und kippte uns dort pünktlich zum Klingelzeichen alle zusammen in den Schulhof. Ich wusste, was ich zu tun hatte: Ich griff nach meinen Klamotten unter dem Kopfkissen, zog sie noch im Laufen an und saß mit dem letzten Klingelton an meinem Platz im Klassenraum.
Nur komisch, es kam keine Lehrkraft. Wir unterhielten uns und warteten, schließlich ging unsere Klassensprecherin zum Lehrerzimmer und berichtete, dass es leer war, selbst der Hausmeister war spurlos verschwunden. Deshalb entschieden wir, dass die Schule heute ausfällt und gingen nach Hause. Die Lösung des Rätsels fand ich dann, als ich in mein Zimmer kam: Da stand mein Bett an seinem gewohnten Platz, aber die Bettdecke wölbte sich, als hätte sich ein Berg darunter verkrochen. Und von dem Schnarchen, unter dem die Decke bebte, will ich gar nicht reden.
Könnt ihr euch denken, was passiert war?
Ich wusste natürlich Bescheid, aber als wir am nächsten Tag in der Schule nachfragten, wo denn tags zuvor die ganze Lehrerschaft abgeblieben war, wollte niemand damit herausrücken. Nur der Hausmeister hielt nicht dicht und der berichtete uns: Als der Rektor bemerkte, dass im Schulhof ein herrenloses Bett herumstand, hatte er erst den Hausmeister losgeschickt, nach dem Rechten zu sehen. Der hob die Decke hoch, naja und ihr wisst schon! Als der Hausmeister nicht zurückkam, schickte er einen Lehrer los, nach dem Hausmeister zu suchen. Als sich dieser Lehrer auch nicht mehr blicken lässt, schickte er eine Kollegin, und so einen nach dem andern und eine nach der andern. Schließlich musste er selbst nach dem Rechten sehen. Kurz und gut, am Ende landeten sie alle unter meiner Decke und mein Bett hat sie dann alle zusammen bis in mein Zimmer gekarrt.
Ich habe sie dort erst einmal schlafen lassen und mich mit einer alten Decke auf dem Fußboden eingerichtet. „Wunderbar!“ dachte ich mir. „Solange sie schlafen, haben wir schulfrei.“ Mein Bett habe ich vorsichtshalber mit dem Zahlenschloss meiner Schwester angekettet. Leider hat das nichts gebracht. Am nächsten Morgen wachte ich von einem Rumsen und Scheppern auf, und als ich um mich blinzle, sehe ich gerade noch mein Bett aus dem Zimmer rattern. Ich muss zugeben, dass das Zahlenschloss meiner Schwester nicht viel taugte. Aber ich hätte dennoch nicht gedacht, dass sich mein Bett losreißen könnte, um unbeirrt zur Schule zu rattern und dort die gesamte Lehrerschaft rechtzeitig zu Schulbeginn in den Schulhof zu kippen. Aus dem schulfreien Tag wurde nichts!
Leider war das das letzte Erlebnis mit meinem Wunderbett. Der Rektor beschwerte sich nämlich bei meinen Eltern. Die wollten keine Scherereien mit der Schule haben, nahmen mir das Bett weg und verkauften es über das Internet an einen Liebhaber. Da konnte ich maulen und jammern, so viel ich wollte. Zum Trost durfte ich mir dafür im Möbelgeschäft ein neues Bett aussuchen. Das war zwar auch nicht hässlich, aber es war eben kein Wunderbett, sondern blieb stur an der Stelle stehen, wo man es einmal hingestellt hatte. Und was weiter mit dem Wunderbett geschehen ist, wer es gekauft hat und was ihm damit passierte, das weiß ich nicht. Ich denke aber, es wird auch seinem neuen Besitzer noch manche Überraschung beschert haben.
Zeichnungen von Dieter Malzacher